aber ein anderer auf eben demselben Jnstrumente, mit eben denselben Manieren, mit nicht größerer Fertigkeit spielete, würde es vielleicht von dem einen besser als von dem andern gefallen. Nichts als die Art des Vortrages kann also hieran Ursache seyn.
6. §.
Einige glauben, wenn sie ein Adagio mit vielen Manieren auszu- stopfen, und dieselben so zu verziehen wissen, daß oftmals unter zehn Noten kaum eine mit der Grundstimme harmoniret, auch von dem Haupt- gesange wenig zu vernehmen ist; so sey dieses gelehrt. Allein sie irren sich sehr, und geben dadurch zu erkennen, daß sie die wahre Empfindung des guten Geschmackes nicht haben. Sie denken eben so wenig auf die Regeln der Setzkunst, welche erfodern, daß jede Dissonanz nicht nur gut vorbe- reitet werden, sondern auch ihre gehörige Auflösung bekommen, und also dadurch erst ihre Annehmlichkeit erhalten müsse; da sie ausserdem ein übel- lautender Klang seyn und bleiben würde. Sie wissen endlich nicht, daß es eine größere Kunst sey, mit wenigem viel, als mit vielem wenig zu sagen. Gefällt nun ein dergleichen Adagio nicht, so liegt abermals die Schuld am Vortrage.
7. §.
Die Vernunft lehret, daß wenn man durch die bloße Rede von je- manden etwas verlanget, man sich solcher Ausdrücke bedienen müsse, die der andere versteht. Nun ist die Musik nichts anders als eine künstliche Sprache, wodurch man seine musikalischen Gedanken dem Zuhörer bekannt machen soll. Wollte man also dieses auf eine dunkele oder bizarre Art, die dem Zuhörer unbegreiflich wäre, und keine Empfindung machte, aus- richten: was hülfe alsdenn die Bemühung, die man sich seit langer Zeit gemachet hätte, um für gelehrt angesehen zu werden? Wollte man ver- langen, daß die Zuhörer lauter Kenner und Musikgelehrte seyn sollten, so würde die Anzahl der Zuhörer nicht sehr groß seyn: man müßte sie denn unter den Tonkünstlern von Profession, wiewohl nur einzeln aufsuchen. Das schlimmste würde dabey seyn, daß man von diesen den wenigsten Vor- theil zu hoffen hätte. Denn sie können allenfalls nichts anders thun, als durch ihren Beyfall die Geschiklichkeit des Ausführers den Liebhabern zu erkennen geben. Wie schwerlich und selten aber geschieht dieses! weil die meisten mit Affecten und absonderlich mit Eifersucht so eingenommen sind, daß sie nicht allemal das Gute von ihres gleichen einsehen, noch es andern gern bekannt machen mögen. Wüßten aber auch alle Liebhaber so viel
als
Das XI. Hauptſtuͤck. Vom guten Vortrage
aber ein anderer auf eben demſelben Jnſtrumente, mit eben denſelben Manieren, mit nicht groͤßerer Fertigkeit ſpielete, wuͤrde es vielleicht von dem einen beſſer als von dem andern gefallen. Nichts als die Art des Vortrages kann alſo hieran Urſache ſeyn.
6. §.
Einige glauben, wenn ſie ein Adagio mit vielen Manieren auszu- ſtopfen, und dieſelben ſo zu verziehen wiſſen, daß oftmals unter zehn Noten kaum eine mit der Grundſtimme harmoniret, auch von dem Haupt- geſange wenig zu vernehmen iſt; ſo ſey dieſes gelehrt. Allein ſie irren ſich ſehr, und geben dadurch zu erkennen, daß ſie die wahre Empfindung des guten Geſchmackes nicht haben. Sie denken eben ſo wenig auf die Regeln der Setzkunſt, welche erfodern, daß jede Diſſonanz nicht nur gut vorbe- reitet werden, ſondern auch ihre gehoͤrige Aufloͤſung bekommen, und alſo dadurch erſt ihre Annehmlichkeit erhalten muͤſſe; da ſie auſſerdem ein uͤbel- lautender Klang ſeyn und bleiben wuͤrde. Sie wiſſen endlich nicht, daß es eine groͤßere Kunſt ſey, mit wenigem viel, als mit vielem wenig zu ſagen. Gefaͤllt nun ein dergleichen Adagio nicht, ſo liegt abermals die Schuld am Vortrage.
7. §.
Die Vernunft lehret, daß wenn man durch die bloße Rede von je- manden etwas verlanget, man ſich ſolcher Ausdruͤcke bedienen muͤſſe, die der andere verſteht. Nun iſt die Muſik nichts anders als eine kuͤnſtliche Sprache, wodurch man ſeine muſikaliſchen Gedanken dem Zuhoͤrer bekannt machen ſoll. Wollte man alſo dieſes auf eine dunkele oder bizarre Art, die dem Zuhoͤrer unbegreiflich waͤre, und keine Empfindung machte, aus- richten: was huͤlfe alsdenn die Bemuͤhung, die man ſich ſeit langer Zeit gemachet haͤtte, um fuͤr gelehrt angeſehen zu werden? Wollte man ver- langen, daß die Zuhoͤrer lauter Kenner und Muſikgelehrte ſeyn ſollten, ſo wuͤrde die Anzahl der Zuhoͤrer nicht ſehr groß ſeyn: man muͤßte ſie denn unter den Tonkuͤnſtlern von Profeſſion, wiewohl nur einzeln aufſuchen. Das ſchlimmſte wuͤrde dabey ſeyn, daß man von dieſen den wenigſten Vor- theil zu hoffen haͤtte. Denn ſie koͤnnen allenfalls nichts anders thun, als durch ihren Beyfall die Geſchiklichkeit des Ausfuͤhrers den Liebhabern zu erkennen geben. Wie ſchwerlich und ſelten aber geſchieht dieſes! weil die meiſten mit Affecten und abſonderlich mit Eiferſucht ſo eingenommen ſind, daß ſie nicht allemal das Gute von ihres gleichen einſehen, noch es andern gern bekannt machen moͤgen. Wuͤßten aber auch alle Liebhaber ſo viel
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Das XI. Hauptſtuͤck. Vom guten Vortrage
aber ein anderer auf eben demſelben Jnſtrumente, mit eben denſelben
Manieren, mit nicht groͤßerer Fertigkeit ſpielete, wuͤrde es vielleicht von
dem einen beſſer als von dem andern gefallen. Nichts als die Art des
Vortrages kann alſo hieran Urſache ſeyn.
6. §.
Einige glauben, wenn ſie ein Adagio mit vielen Manieren auszu-
ſtopfen, und dieſelben ſo zu verziehen wiſſen, daß oftmals unter zehn
Noten kaum eine mit der Grundſtimme harmoniret, auch von dem Haupt-
geſange wenig zu vernehmen iſt; ſo ſey dieſes gelehrt. Allein ſie irren ſich
ſehr, und geben dadurch zu erkennen, daß ſie die wahre Empfindung des
guten Geſchmackes nicht haben. Sie denken eben ſo wenig auf die Regeln
der Setzkunſt, welche erfodern, daß jede Diſſonanz nicht nur gut vorbe-
reitet werden, ſondern auch ihre gehoͤrige Aufloͤſung bekommen, und alſo
dadurch erſt ihre Annehmlichkeit erhalten muͤſſe; da ſie auſſerdem ein uͤbel-
lautender Klang ſeyn und bleiben wuͤrde. Sie wiſſen endlich nicht, daß
es eine groͤßere Kunſt ſey, mit wenigem viel, als mit vielem wenig zu
ſagen. Gefaͤllt nun ein dergleichen Adagio nicht, ſo liegt abermals die
Schuld am Vortrage.
7. §.
Die Vernunft lehret, daß wenn man durch die bloße Rede von je-
manden etwas verlanget, man ſich ſolcher Ausdruͤcke bedienen muͤſſe, die
der andere verſteht. Nun iſt die Muſik nichts anders als eine kuͤnſtliche
Sprache, wodurch man ſeine muſikaliſchen Gedanken dem Zuhoͤrer bekannt
machen ſoll. Wollte man alſo dieſes auf eine dunkele oder bizarre Art,
die dem Zuhoͤrer unbegreiflich waͤre, und keine Empfindung machte, aus-
richten: was huͤlfe alsdenn die Bemuͤhung, die man ſich ſeit langer Zeit
gemachet haͤtte, um fuͤr gelehrt angeſehen zu werden? Wollte man ver-
langen, daß die Zuhoͤrer lauter Kenner und Muſikgelehrte ſeyn ſollten,
ſo wuͤrde die Anzahl der Zuhoͤrer nicht ſehr groß ſeyn: man muͤßte ſie denn
unter den Tonkuͤnſtlern von Profeſſion, wiewohl nur einzeln aufſuchen.
Das ſchlimmſte wuͤrde dabey ſeyn, daß man von dieſen den wenigſten Vor-
theil zu hoffen haͤtte. Denn ſie koͤnnen allenfalls nichts anders thun, als
durch ihren Beyfall die Geſchiklichkeit des Ausfuͤhrers den Liebhabern zu
erkennen geben. Wie ſchwerlich und ſelten aber geſchieht dieſes! weil die
meiſten mit Affecten und abſonderlich mit Eiferſucht ſo eingenommen ſind,
daß ſie nicht allemal das Gute von ihres gleichen einſehen, noch es andern
gern bekannt machen moͤgen. Wuͤßten aber auch alle Liebhaber ſo viel
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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/120>, abgerufen am 16.02.2025.
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