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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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Das XI. Hauptstück. Vom guten Vortrage etc.
19. §.

Ein jeder Jnstrumentist muß sich bemühen, das Cantable so vorzu-
tragen, wie es ein guter Sänger vorträgt. Der Sänger hingegen muß
im Lebhaften, das Feuer guter Jnstrumentisten, so viel die Singstimme
dessen fähig ist, zu erreichen suchen.

20. §.

Dieses sind also die allgemeinen Regeln des guten Vortrages im
Singen und Spielen überhaupt Jch will nun dieselben auf die Haupt-
arten der Stücke besonders anwenden. Hieraus werden die folgenden
drey Hauptstücke, vom Allegro, von den willkührlichen Veränderungen,
und vom Adagio, bestehen. Auch das XVII. Hauptstück von den Pflich-
ten der Accompagnisten, wird großen Theils hierher gehören. Jch will
alles mit Exempeln erläutern, und dieselben, so viel als möglich seyn wird,
erklären.

21. §.

Der schlechte Vortrag ist das Gegentheil von dem, was zum guten
Vortrage erfodert wird. Jch will seine vornehmsten Kennzeichen, damit
man sie desto leichter mit einander übersehen, und folglich desto sorgfälti-
ger vermeiden könne, hier in der Kürze zusammen fassen. Der Vortrag
also ist schlecht: wenn die Jntonation unrein ist, und der Ton übertrieben
wird; wenn man die Noten undeutlich, dunkel, unverständlich, nicht arti-
culiret, sondern matt, faul, schleppend, schläfrig, grob, und trocken vor-
trägt; wenn man alle Noten ohne Unterschied schleifet oder stößt; wenn
das Zeitmaaß nicht beobachtet wird, und die Noten ihre wahre Geltung
nicht bekommen; wenn die Manieren im Adagio zu sehr verzogen werden,
und nicht mit der Harmonie übereintreffen; wenn man die Manieren
schlecht endiget, oder übereilet; die Dissonanzen aber weder gehörig vorbe-
reitet, noch auflöset; wenn man die Passagien nicht rund und deutlich,
sondern schwer, ängstlich, schleppend, oder übereilend und stolpernd machet,
und mit allerhand Grimassen begleitet; wenn man alles kaltsinnig, in
einerley Farbe, ohne Abwechselung des Piano und Forte singt oder spielet;
wenn man den auszudrückenden Leidenschaften zuwider handelt; und über-
haupt wenn man alles ohne Empfindung, ohne Affect, und ohne selbst ge-
rühret zu werden, vorträgt; so daß es das Ansehen hat, als wenn man in
Commission für einen andern singen oder spielen müßte: wodurch aber
der Zuhörer eher in eine Schläfrigkeit versetzet, als auf eine angenehme

Art
Das XI. Hauptſtuͤck. Vom guten Vortrage ꝛc.
19. §.

Ein jeder Jnſtrumentiſt muß ſich bemuͤhen, das Cantable ſo vorzu-
tragen, wie es ein guter Saͤnger vortraͤgt. Der Saͤnger hingegen muß
im Lebhaften, das Feuer guter Jnſtrumentiſten, ſo viel die Singſtimme
deſſen faͤhig iſt, zu erreichen ſuchen.

20. §.

Dieſes ſind alſo die allgemeinen Regeln des guten Vortrages im
Singen und Spielen uͤberhaupt Jch will nun dieſelben auf die Haupt-
arten der Stuͤcke beſonders anwenden. Hieraus werden die folgenden
drey Hauptſtuͤcke, vom Allegro, von den willkuͤhrlichen Veraͤnderungen,
und vom Adagio, beſtehen. Auch das XVII. Hauptſtuͤck von den Pflich-
ten der Accompagniſten, wird großen Theils hierher gehoͤren. Jch will
alles mit Exempeln erlaͤutern, und dieſelben, ſo viel als moͤglich ſeyn wird,
erklaͤren.

21. §.

Der ſchlechte Vortrag iſt das Gegentheil von dem, was zum guten
Vortrage erfodert wird. Jch will ſeine vornehmſten Kennzeichen, damit
man ſie deſto leichter mit einander uͤberſehen, und folglich deſto ſorgfaͤlti-
ger vermeiden koͤnne, hier in der Kuͤrze zuſammen faſſen. Der Vortrag
alſo iſt ſchlecht: wenn die Jntonation unrein iſt, und der Ton uͤbertrieben
wird; wenn man die Noten undeutlich, dunkel, unverſtaͤndlich, nicht arti-
culiret, ſondern matt, faul, ſchleppend, ſchlaͤfrig, grob, und trocken vor-
traͤgt; wenn man alle Noten ohne Unterſchied ſchleifet oder ſtoͤßt; wenn
das Zeitmaaß nicht beobachtet wird, und die Noten ihre wahre Geltung
nicht bekommen; wenn die Manieren im Adagio zu ſehr verzogen werden,
und nicht mit der Harmonie uͤbereintreffen; wenn man die Manieren
ſchlecht endiget, oder uͤbereilet; die Diſſonanzen aber weder gehoͤrig vorbe-
reitet, noch aufloͤſet; wenn man die Paſſagien nicht rund und deutlich,
ſondern ſchwer, aͤngſtlich, ſchleppend, oder uͤbereilend und ſtolpernd machet,
und mit allerhand Grimaſſen begleitet; wenn man alles kaltſinnig, in
einerley Farbe, ohne Abwechſelung des Piano und Forte ſingt oder ſpielet;
wenn man den auszudruͤckenden Leidenſchaften zuwider handelt; und uͤber-
haupt wenn man alles ohne Empfindung, ohne Affect, und ohne ſelbſt ge-
ruͤhret zu werden, vortraͤgt; ſo daß es das Anſehen hat, als wenn man in
Commiſſion fuͤr einen andern ſingen oder ſpielen muͤßte: wodurch aber
der Zuhoͤrer eher in eine Schlaͤfrigkeit verſetzet, als auf eine angenehme

Art
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[110/0128] Das XI. Hauptſtuͤck. Vom guten Vortrage ꝛc. 19. §. Ein jeder Jnſtrumentiſt muß ſich bemuͤhen, das Cantable ſo vorzu- tragen, wie es ein guter Saͤnger vortraͤgt. Der Saͤnger hingegen muß im Lebhaften, das Feuer guter Jnſtrumentiſten, ſo viel die Singſtimme deſſen faͤhig iſt, zu erreichen ſuchen. 20. §. Dieſes ſind alſo die allgemeinen Regeln des guten Vortrages im Singen und Spielen uͤberhaupt Jch will nun dieſelben auf die Haupt- arten der Stuͤcke beſonders anwenden. Hieraus werden die folgenden drey Hauptſtuͤcke, vom Allegro, von den willkuͤhrlichen Veraͤnderungen, und vom Adagio, beſtehen. Auch das XVII. Hauptſtuͤck von den Pflich- ten der Accompagniſten, wird großen Theils hierher gehoͤren. Jch will alles mit Exempeln erlaͤutern, und dieſelben, ſo viel als moͤglich ſeyn wird, erklaͤren. 21. §. Der ſchlechte Vortrag iſt das Gegentheil von dem, was zum guten Vortrage erfodert wird. Jch will ſeine vornehmſten Kennzeichen, damit man ſie deſto leichter mit einander uͤberſehen, und folglich deſto ſorgfaͤlti- ger vermeiden koͤnne, hier in der Kuͤrze zuſammen faſſen. Der Vortrag alſo iſt ſchlecht: wenn die Jntonation unrein iſt, und der Ton uͤbertrieben wird; wenn man die Noten undeutlich, dunkel, unverſtaͤndlich, nicht arti- culiret, ſondern matt, faul, ſchleppend, ſchlaͤfrig, grob, und trocken vor- traͤgt; wenn man alle Noten ohne Unterſchied ſchleifet oder ſtoͤßt; wenn das Zeitmaaß nicht beobachtet wird, und die Noten ihre wahre Geltung nicht bekommen; wenn die Manieren im Adagio zu ſehr verzogen werden, und nicht mit der Harmonie uͤbereintreffen; wenn man die Manieren ſchlecht endiget, oder uͤbereilet; die Diſſonanzen aber weder gehoͤrig vorbe- reitet, noch aufloͤſet; wenn man die Paſſagien nicht rund und deutlich, ſondern ſchwer, aͤngſtlich, ſchleppend, oder uͤbereilend und ſtolpernd machet, und mit allerhand Grimaſſen begleitet; wenn man alles kaltſinnig, in einerley Farbe, ohne Abwechſelung des Piano und Forte ſingt oder ſpielet; wenn man den auszudruͤckenden Leidenſchaften zuwider handelt; und uͤber- haupt wenn man alles ohne Empfindung, ohne Affect, und ohne ſelbſt ge- ruͤhret zu werden, vortraͤgt; ſo daß es das Anſehen hat, als wenn man in Commiſſion fuͤr einen andern ſingen oder ſpielen muͤßte: wodurch aber der Zuhoͤrer eher in eine Schlaͤfrigkeit verſetzet, als auf eine angenehme Art

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/128>, abgerufen am 21.11.2024.