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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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Von der Art das Adagio zu spielen.
Es wäre denn, daß der Baß unterdessen einige cantabele Noten hätte,
welche dem Gehöre das ersetzeten, was es durch das Schweigen der Ober-
stimme verlöhre. Nichts destoweniger thut es gute Wirkung, wenn die
Oberstimme den letzten Ton, durch ein verlierendes Piano verzieht, und
endiget; und alsdenn die folgenden mit erhabener Kraft wieder anfängt,
und nach oben erwähnter Art fortsetzet, bis wieder ein neuer Einschnitt
oder Endigung des Gedankens vorfällt.

13. §.

Jm Adagio müssen alle Noten, so zu sagen, caressiret und geschmei-
chelt, aber niemals mit der Zunge hart angestoßen werden: Es sey denn,
daß der Componist einige Noten wollte kurz gestoßen haben, damit der
Zuhörer, welcher vorher eingeschläfert zu seyn scheint, wieder ermuntert
werde.

14. §.

Wenn das Adagio sehr platt, und mehr harmoniös, als melodiös
gesetzt ist, und man hier und da in der Melodie einige Noten zusetzen will:
so muß solches niemals im Ueberflusse geschehen: damit die Hauptnoten
nicht verdunkelt, und der simple Gesang unkenntbar werde. Man muß
vielmehr den Hauptsatz gleich Anfangs so spielen, wie er geschrieben ist.
Kömmt er öfters wieder vor: so kann man zum erstenmale ein paar No-
ten, zum zweytenmale noch mehrere, entweder durch eine nacheinander
laufende, oder durch eine, durch die Harmonie gebrochene Passagie, zu-
setzen. Zum drittenmale muß man hiervon wieder abgehen, und fast
nichts zusetzen: um den Zuhörer in beständiger Aufmerksamkeit zu er-
halten.

15. §.

Auf diese Art kann man auch mit dem übrigen Gesange verfahren;
daß man schläfrige, nahe an einander liegende Töne, mit erhabenen,
durch die Harmonie gebrochenen, weiter von einander liegenden Tönen,
abwechsele. Und so ein Gedanke in eben demselben Tone zu wiederholen
wäre; und man sogleich keine Veränderung darüber finden könnte: kann
man diesen Mangel sowohl durch das Piano, als durch geschleifte No-
ten, ersetzen.

16. §.

Mit den Manieren muß man sich im Zeitmaaße nicht übereilen;
sondern dieselben mit vielem Fleiße und Gelassenheit endigen: weil durch
die Uebereilung die schönsten Gedanken unvollkommen werden. Deswe-

gen
S 3

Von der Art das Adagio zu ſpielen.
Es waͤre denn, daß der Baß unterdeſſen einige cantabele Noten haͤtte,
welche dem Gehoͤre das erſetzeten, was es durch das Schweigen der Ober-
ſtimme verloͤhre. Nichts deſtoweniger thut es gute Wirkung, wenn die
Oberſtimme den letzten Ton, durch ein verlierendes Piano verzieht, und
endiget; und alsdenn die folgenden mit erhabener Kraft wieder anfaͤngt,
und nach oben erwaͤhnter Art fortſetzet, bis wieder ein neuer Einſchnitt
oder Endigung des Gedankens vorfaͤllt.

13. §.

Jm Adagio muͤſſen alle Noten, ſo zu ſagen, careſſiret und geſchmei-
chelt, aber niemals mit der Zunge hart angeſtoßen werden: Es ſey denn,
daß der Componiſt einige Noten wollte kurz geſtoßen haben, damit der
Zuhoͤrer, welcher vorher eingeſchlaͤfert zu ſeyn ſcheint, wieder ermuntert
werde.

14. §.

Wenn das Adagio ſehr platt, und mehr harmonioͤs, als melodioͤs
geſetzt iſt, und man hier und da in der Melodie einige Noten zuſetzen will:
ſo muß ſolches niemals im Ueberfluſſe geſchehen: damit die Hauptnoten
nicht verdunkelt, und der ſimple Geſang unkenntbar werde. Man muß
vielmehr den Hauptſatz gleich Anfangs ſo ſpielen, wie er geſchrieben iſt.
Koͤmmt er oͤfters wieder vor: ſo kann man zum erſtenmale ein paar No-
ten, zum zweytenmale noch mehrere, entweder durch eine nacheinander
laufende, oder durch eine, durch die Harmonie gebrochene Paſſagie, zu-
ſetzen. Zum drittenmale muß man hiervon wieder abgehen, und faſt
nichts zuſetzen: um den Zuhoͤrer in beſtaͤndiger Aufmerkſamkeit zu er-
halten.

15. §.

Auf dieſe Art kann man auch mit dem uͤbrigen Geſange verfahren;
daß man ſchlaͤfrige, nahe an einander liegende Toͤne, mit erhabenen,
durch die Harmonie gebrochenen, weiter von einander liegenden Toͤnen,
abwechſele. Und ſo ein Gedanke in eben demſelben Tone zu wiederholen
waͤre; und man ſogleich keine Veraͤnderung daruͤber finden koͤnnte: kann
man dieſen Mangel ſowohl durch das Piano, als durch geſchleifte No-
ten, erſetzen.

16. §.

Mit den Manieren muß man ſich im Zeitmaaße nicht uͤbereilen;
ſondern dieſelben mit vielem Fleiße und Gelaſſenheit endigen: weil durch
die Uebereilung die ſchoͤnſten Gedanken unvollkommen werden. Deswe-

gen
S 3
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[141/0159] Von der Art das Adagio zu ſpielen. Es waͤre denn, daß der Baß unterdeſſen einige cantabele Noten haͤtte, welche dem Gehoͤre das erſetzeten, was es durch das Schweigen der Ober- ſtimme verloͤhre. Nichts deſtoweniger thut es gute Wirkung, wenn die Oberſtimme den letzten Ton, durch ein verlierendes Piano verzieht, und endiget; und alsdenn die folgenden mit erhabener Kraft wieder anfaͤngt, und nach oben erwaͤhnter Art fortſetzet, bis wieder ein neuer Einſchnitt oder Endigung des Gedankens vorfaͤllt. 13. §. Jm Adagio muͤſſen alle Noten, ſo zu ſagen, careſſiret und geſchmei- chelt, aber niemals mit der Zunge hart angeſtoßen werden: Es ſey denn, daß der Componiſt einige Noten wollte kurz geſtoßen haben, damit der Zuhoͤrer, welcher vorher eingeſchlaͤfert zu ſeyn ſcheint, wieder ermuntert werde. 14. §. Wenn das Adagio ſehr platt, und mehr harmonioͤs, als melodioͤs geſetzt iſt, und man hier und da in der Melodie einige Noten zuſetzen will: ſo muß ſolches niemals im Ueberfluſſe geſchehen: damit die Hauptnoten nicht verdunkelt, und der ſimple Geſang unkenntbar werde. Man muß vielmehr den Hauptſatz gleich Anfangs ſo ſpielen, wie er geſchrieben iſt. Koͤmmt er oͤfters wieder vor: ſo kann man zum erſtenmale ein paar No- ten, zum zweytenmale noch mehrere, entweder durch eine nacheinander laufende, oder durch eine, durch die Harmonie gebrochene Paſſagie, zu- ſetzen. Zum drittenmale muß man hiervon wieder abgehen, und faſt nichts zuſetzen: um den Zuhoͤrer in beſtaͤndiger Aufmerkſamkeit zu er- halten. 15. §. Auf dieſe Art kann man auch mit dem uͤbrigen Geſange verfahren; daß man ſchlaͤfrige, nahe an einander liegende Toͤne, mit erhabenen, durch die Harmonie gebrochenen, weiter von einander liegenden Toͤnen, abwechſele. Und ſo ein Gedanke in eben demſelben Tone zu wiederholen waͤre; und man ſogleich keine Veraͤnderung daruͤber finden koͤnnte: kann man dieſen Mangel ſowohl durch das Piano, als durch geſchleifte No- ten, erſetzen. 16. §. Mit den Manieren muß man ſich im Zeitmaaße nicht uͤbereilen; ſondern dieſelben mit vielem Fleiße und Gelaſſenheit endigen: weil durch die Uebereilung die ſchoͤnſten Gedanken unvollkommen werden. Deswe- gen S 3

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/159>, abgerufen am 21.11.2024.