Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Das VII. Hauptstück. Vom Athemholen.
Sänger als Blasinstrumentisten hierinne so häufige Fehler begehen. Al-
lein wer wollte alle Fälle bestimmen, wo man öfters mit einem Athem
nicht so lange aushalten kann, als es wohl seyn sollte. Die Ursachen davon
sind so verschieden, daß es nicht allemal möglich ist zu sagen, ob der Compo-
nist, oder der Ausführer, oder der Ort wo man singt oder spielet, oder
die Furcht, welche eine Beklemmung der Brust verursachet, Schuld daran
seyn, daß man nicht allemal den Athem zu rechter Zeit nehmen kann.
So viel ist gewiß, daß man, wenn man vor sich allein singt oder spielet,
zum wenigsten wo nicht zweymal, doch noch einmal so viel in einem Athem
heraus bringen kann, als wenn man in Gegenwart vieler Zuhörer sin-
gen oder spielen muß. Jm letztern Falle ist es nun nöthig, daß man sich
aller möglichen Kunstgriffe zu bedienen wisse, welche nur immer die Ein-
sicht in die Ausführungskunst hier darreichet. Man bemühe sich also, voll-
kommen einsehen und begreifen zu lernen, was einen musikalischen Sinn
ausmache, und folglich zusammen hängen müsse. Man hüte sich eben so
sorgfältig, das was zusammen gehöret, zu zertrennen; als man sich in
Acht nehmen muß, das was mehr als einen Sinn in sich begreift, und
folglich von einander abzusondern ist, kettenweis zusammen zu hengen:
denn hierauf kömmt ein großer Theil des wahren Ausdrucks in der Aus-
führung, an. Diejenigen Sänger und Blasinstrumentisten, welche
nicht fähig sind den Sinn des Componisten einzusehen, (derer giebt es
aber eine große Menge,) sind immer der Gefahr ausgesetzet, hier Fehler
zu begehen, und ihre Schwäche zu verrathen. Ueberhaupt aber haben die
Seyteninstrumentisten, in diesem Stücke, einen großen Vortheil vor jenen
voraus; wofern sie sich nur nach der oben erfoderten Einsicht bestreben,
und sich durch die schlechten Beyspiele dererjenigen, die alles, ohne Un-
terschied, auf eine leyernde Art zusammen hengen, nicht verführen
lassen wollen.

Das

Das VII. Hauptſtuͤck. Vom Athemholen.
Saͤnger als Blasinſtrumentiſten hierinne ſo haͤufige Fehler begehen. Al-
lein wer wollte alle Faͤlle beſtimmen, wo man oͤfters mit einem Athem
nicht ſo lange aushalten kann, als es wohl ſeyn ſollte. Die Urſachen davon
ſind ſo verſchieden, daß es nicht allemal moͤglich iſt zu ſagen, ob der Compo-
niſt, oder der Ausfuͤhrer, oder der Ort wo man ſingt oder ſpielet, oder
die Furcht, welche eine Beklemmung der Bruſt verurſachet, Schuld daran
ſeyn, daß man nicht allemal den Athem zu rechter Zeit nehmen kann.
So viel iſt gewiß, daß man, wenn man vor ſich allein ſingt oder ſpielet,
zum wenigſten wo nicht zweymal, doch noch einmal ſo viel in einem Athem
heraus bringen kann, als wenn man in Gegenwart vieler Zuhoͤrer ſin-
gen oder ſpielen muß. Jm letztern Falle iſt es nun noͤthig, daß man ſich
aller moͤglichen Kunſtgriffe zu bedienen wiſſe, welche nur immer die Ein-
ſicht in die Ausfuͤhrungskunſt hier darreichet. Man bemuͤhe ſich alſo, voll-
kommen einſehen und begreifen zu lernen, was einen muſikaliſchen Sinn
ausmache, und folglich zuſammen haͤngen muͤſſe. Man huͤte ſich eben ſo
ſorgfaͤltig, das was zuſammen gehoͤret, zu zertrennen; als man ſich in
Acht nehmen muß, das was mehr als einen Sinn in ſich begreift, und
folglich von einander abzuſondern iſt, kettenweis zuſammen zu hengen:
denn hierauf koͤmmt ein großer Theil des wahren Ausdrucks in der Aus-
fuͤhrung, an. Diejenigen Saͤnger und Blasinſtrumentiſten, welche
nicht faͤhig ſind den Sinn des Componiſten einzuſehen, (derer giebt es
aber eine große Menge,) ſind immer der Gefahr ausgeſetzet, hier Fehler
zu begehen, und ihre Schwaͤche zu verrathen. Ueberhaupt aber haben die
Seyteninſtrumentiſten, in dieſem Stuͤcke, einen großen Vortheil vor jenen
voraus; wofern ſie ſich nur nach der oben erfoderten Einſicht beſtreben,
und ſich durch die ſchlechten Beyſpiele dererjenigen, die alles, ohne Un-
terſchied, auf eine leyernde Art zuſammen hengen, nicht verfuͤhren
laſſen wollen.

Das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0094" n="76"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das <hi rendition="#aq">VII.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck. Vom Athemholen.</hi></fw><lb/>
Sa&#x0364;nger als Blasin&#x017F;trumenti&#x017F;ten hierinne &#x017F;o ha&#x0364;ufige Fehler begehen. Al-<lb/>
lein wer wollte alle Fa&#x0364;lle be&#x017F;timmen, wo man o&#x0364;fters mit einem Athem<lb/>
nicht &#x017F;o lange aushalten kann, als es wohl &#x017F;eyn &#x017F;ollte. Die Ur&#x017F;achen davon<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;o ver&#x017F;chieden, daß es nicht allemal mo&#x0364;glich i&#x017F;t zu &#x017F;agen, ob der Compo-<lb/>
ni&#x017F;t, oder der Ausfu&#x0364;hrer, oder der Ort wo man &#x017F;ingt oder &#x017F;pielet, oder<lb/>
die Furcht, welche eine Beklemmung der Bru&#x017F;t verur&#x017F;achet, Schuld daran<lb/>
&#x017F;eyn, daß man nicht allemal den Athem zu rechter Zeit nehmen kann.<lb/>
So viel i&#x017F;t gewiß, daß man, wenn man vor &#x017F;ich allein &#x017F;ingt oder &#x017F;pielet,<lb/>
zum wenig&#x017F;ten wo nicht zweymal, doch noch einmal &#x017F;o viel in einem Athem<lb/>
heraus bringen kann, als wenn man in Gegenwart vieler Zuho&#x0364;rer &#x017F;in-<lb/>
gen oder &#x017F;pielen muß. Jm letztern Falle i&#x017F;t es nun no&#x0364;thig, daß man &#x017F;ich<lb/>
aller mo&#x0364;glichen Kun&#x017F;tgriffe zu bedienen wi&#x017F;&#x017F;e, welche nur immer die Ein-<lb/>
&#x017F;icht in die Ausfu&#x0364;hrungskun&#x017F;t hier darreichet. Man bemu&#x0364;he &#x017F;ich al&#x017F;o, voll-<lb/>
kommen ein&#x017F;ehen und begreifen zu lernen, was einen mu&#x017F;ikali&#x017F;chen Sinn<lb/>
ausmache, und folglich zu&#x017F;ammen ha&#x0364;ngen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Man hu&#x0364;te &#x017F;ich eben &#x017F;o<lb/>
&#x017F;orgfa&#x0364;ltig, das was zu&#x017F;ammen geho&#x0364;ret, zu zertrennen; als man &#x017F;ich in<lb/>
Acht nehmen muß, das was mehr als einen Sinn in &#x017F;ich begreift, und<lb/>
folglich von einander abzu&#x017F;ondern i&#x017F;t, kettenweis zu&#x017F;ammen zu hengen:<lb/>
denn hierauf ko&#x0364;mmt ein großer Theil des wahren Ausdrucks in der Aus-<lb/>
fu&#x0364;hrung, an. Diejenigen Sa&#x0364;nger und Blasin&#x017F;trumenti&#x017F;ten, welche<lb/>
nicht fa&#x0364;hig &#x017F;ind den Sinn des Componi&#x017F;ten einzu&#x017F;ehen, (derer giebt es<lb/>
aber eine große Menge,) &#x017F;ind immer der Gefahr ausge&#x017F;etzet, hier Fehler<lb/>
zu begehen, und ihre Schwa&#x0364;che zu verrathen. Ueberhaupt aber haben die<lb/>
Seytenin&#x017F;trumenti&#x017F;ten, in die&#x017F;em Stu&#x0364;cke, einen großen Vortheil vor jenen<lb/>
voraus; wofern &#x017F;ie &#x017F;ich nur nach der oben erfoderten Ein&#x017F;icht be&#x017F;treben,<lb/>
und &#x017F;ich durch die &#x017F;chlechten Bey&#x017F;piele dererjenigen, die alles, ohne Un-<lb/>
ter&#x017F;chied, auf eine leyernde Art zu&#x017F;ammen hengen, nicht verfu&#x0364;hren<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en wollen.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Das</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0094] Das VII. Hauptſtuͤck. Vom Athemholen. Saͤnger als Blasinſtrumentiſten hierinne ſo haͤufige Fehler begehen. Al- lein wer wollte alle Faͤlle beſtimmen, wo man oͤfters mit einem Athem nicht ſo lange aushalten kann, als es wohl ſeyn ſollte. Die Urſachen davon ſind ſo verſchieden, daß es nicht allemal moͤglich iſt zu ſagen, ob der Compo- niſt, oder der Ausfuͤhrer, oder der Ort wo man ſingt oder ſpielet, oder die Furcht, welche eine Beklemmung der Bruſt verurſachet, Schuld daran ſeyn, daß man nicht allemal den Athem zu rechter Zeit nehmen kann. So viel iſt gewiß, daß man, wenn man vor ſich allein ſingt oder ſpielet, zum wenigſten wo nicht zweymal, doch noch einmal ſo viel in einem Athem heraus bringen kann, als wenn man in Gegenwart vieler Zuhoͤrer ſin- gen oder ſpielen muß. Jm letztern Falle iſt es nun noͤthig, daß man ſich aller moͤglichen Kunſtgriffe zu bedienen wiſſe, welche nur immer die Ein- ſicht in die Ausfuͤhrungskunſt hier darreichet. Man bemuͤhe ſich alſo, voll- kommen einſehen und begreifen zu lernen, was einen muſikaliſchen Sinn ausmache, und folglich zuſammen haͤngen muͤſſe. Man huͤte ſich eben ſo ſorgfaͤltig, das was zuſammen gehoͤret, zu zertrennen; als man ſich in Acht nehmen muß, das was mehr als einen Sinn in ſich begreift, und folglich von einander abzuſondern iſt, kettenweis zuſammen zu hengen: denn hierauf koͤmmt ein großer Theil des wahren Ausdrucks in der Aus- fuͤhrung, an. Diejenigen Saͤnger und Blasinſtrumentiſten, welche nicht faͤhig ſind den Sinn des Componiſten einzuſehen, (derer giebt es aber eine große Menge,) ſind immer der Gefahr ausgeſetzet, hier Fehler zu begehen, und ihre Schwaͤche zu verrathen. Ueberhaupt aber haben die Seyteninſtrumentiſten, in dieſem Stuͤcke, einen großen Vortheil vor jenen voraus; wofern ſie ſich nur nach der oben erfoderten Einſicht beſtreben, und ſich durch die ſchlechten Beyſpiele dererjenigen, die alles, ohne Un- terſchied, auf eine leyernde Art zuſammen hengen, nicht verfuͤhren laſſen wollen. Das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/94
Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/94>, abgerufen am 24.11.2024.