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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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13. §.

Bey dem Bemühen weiter zu kommen, muß sich aber nicht etwan eine Ungedult einschleichen; daß man Lust bekäme da anzufangen, wo andere aufhören. Einige begehen diesen Fehler. Sie erwählen entweder solche schwere Stücke zu ihrer Uebung, denen sie noch nicht gewachsen sind, und wodurch sie sich gewöhnen, die Noten zu überruscheln, und undeutlich vorzutragen: oder sie wollen vor der Zeit galant thun, und verfallen auf allzuleichte Stücke, welche weiter keinen Vortheil geben, als dem Gehöre zu schmeicheln: Diejenigen Stücke hingegen, die den musikalischen Verstand schärfen, die Einsicht in die Harmonie befördern, den Bogenstrich, Zungenstoß, Ansatz, und Finger geschikt machen; die zum Notenlesen, Eintheilung der Noten, und zur Erlernung des Zeitmaaßes bequem sind; die aber nicht sogleich die Sinne so kützeln wie jene; solche Stücke, sage ich, verabsäumen sie, und halten sie wohl gar für einen Zeitverlust: ungeachtet man ohne solche Stücke, weder einen guten Vortrag, noch einen guten Geschmack in der Ausführung erlangen kann.

14. §.

Eine große Hinderniß des Fleißes und weitern Nachdenkens ist es, wenn man sich zu viel auf sein Talent verläßt. Die Erfahrung lehret, daß man unter denjenigen, welche besonders gute Naturgaben besitzen, mehr Unwißende antrifft, als unter denen, die ihrem mittelmäßigen Talente durch Fleiß und Nachdenken zu Hülfe gekommen sind. Manchen gereichet das besonders gute Naturell mehr zum Schaden als zum Vortheile. Wer davon Beweis verlanget, der betrachte nur die meisten Componisten nach der Mode, itziger Zeit. Wie viele findet man unter ihnen: die die Setzkunst nach den Regeln erlernet haben? Sind nicht die meisten fast pure Naturalisten? Wenn es hoch kömmt, so verstehen sie etwan den Generalbaß; und glauben es sey in einer so tiefsinnigen Wissenschaft, als die Composition ist, nichts mehr zu wissen nöthig, als daß man nur so viel Einsicht besitze, verbothene Quinten und Octaven zu vermeiden, und etwan einen Trummelbaß, und zu demselben eine oder zwo magere Mittelstimmen dazu zu setzen: das übrige sey eine schädliche Pedanterey, die nur am guten Geschmacke und am guten Gesange hindere. Wenn keine Wissenschaft nöthig, und das pure Naturell hinlänglich wäre; wie kömmt es denn, daß die Stücke von erfahrnen Componisten mehr Eindruck machen, allgemeiner werden, und sich länger im Credit erhalten, als die von selbst gewachsenen Naturalisten; und daß eines jeden guten Componisten erstere

13. §.

Bey dem Bemühen weiter zu kommen, muß sich aber nicht etwan eine Ungedult einschleichen; daß man Lust bekäme da anzufangen, wo andere aufhören. Einige begehen diesen Fehler. Sie erwählen entweder solche schwere Stücke zu ihrer Uebung, denen sie noch nicht gewachsen sind, und wodurch sie sich gewöhnen, die Noten zu überruscheln, und undeutlich vorzutragen: oder sie wollen vor der Zeit galant thun, und verfallen auf allzuleichte Stücke, welche weiter keinen Vortheil geben, als dem Gehöre zu schmeicheln: Diejenigen Stücke hingegen, die den musikalischen Verstand schärfen, die Einsicht in die Harmonie befördern, den Bogenstrich, Zungenstoß, Ansatz, und Finger geschikt machen; die zum Notenlesen, Eintheilung der Noten, und zur Erlernung des Zeitmaaßes bequem sind; die aber nicht sogleich die Sinne so kützeln wie jene; solche Stücke, sage ich, verabsäumen sie, und halten sie wohl gar für einen Zeitverlust: ungeachtet man ohne solche Stücke, weder einen guten Vortrag, noch einen guten Geschmack in der Ausführung erlangen kann.

14. §.

Eine große Hinderniß des Fleißes und weitern Nachdenkens ist es, wenn man sich zu viel auf sein Talent verläßt. Die Erfahrung lehret, daß man unter denjenigen, welche besonders gute Naturgaben besitzen, mehr Unwißende antrifft, als unter denen, die ihrem mittelmäßigen Talente durch Fleiß und Nachdenken zu Hülfe gekommen sind. Manchen gereichet das besonders gute Naturell mehr zum Schaden als zum Vortheile. Wer davon Beweis verlanget, der betrachte nur die meisten Componisten nach der Mode, itziger Zeit. Wie viele findet man unter ihnen: die die Setzkunst nach den Regeln erlernet haben? Sind nicht die meisten fast pure Naturalisten? Wenn es hoch kömmt, so verstehen sie etwan den Generalbaß; und glauben es sey in einer so tiefsinnigen Wissenschaft, als die Composition ist, nichts mehr zu wissen nöthig, als daß man nur so viel Einsicht besitze, verbothene Quinten und Octaven zu vermeiden, und etwan einen Trummelbaß, und zu demselben eine oder zwo magere Mittelstimmen dazu zu setzen: das übrige sey eine schädliche Pedanterey, die nur am guten Geschmacke und am guten Gesange hindere. Wenn keine Wissenschaft nöthig, und das pure Naturell hinlänglich wäre; wie kömmt es denn, daß die Stücke von erfahrnen Componisten mehr Eindruck machen, allgemeiner werden, und sich länger im Credit erhalten, als die von selbst gewachsenen Naturalisten; und daß eines jeden guten Componisten erstere

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[12/0026] 13. §. Bey dem Bemühen weiter zu kommen, muß sich aber nicht etwan eine Ungedult einschleichen; daß man Lust bekäme da anzufangen, wo andere aufhören. Einige begehen diesen Fehler. Sie erwählen entweder solche schwere Stücke zu ihrer Uebung, denen sie noch nicht gewachsen sind, und wodurch sie sich gewöhnen, die Noten zu überruscheln, und undeutlich vorzutragen: oder sie wollen vor der Zeit galant thun, und verfallen auf allzuleichte Stücke, welche weiter keinen Vortheil geben, als dem Gehöre zu schmeicheln: Diejenigen Stücke hingegen, die den musikalischen Verstand schärfen, die Einsicht in die Harmonie befördern, den Bogenstrich, Zungenstoß, Ansatz, und Finger geschikt machen; die zum Notenlesen, Eintheilung der Noten, und zur Erlernung des Zeitmaaßes bequem sind; die aber nicht sogleich die Sinne so kützeln wie jene; solche Stücke, sage ich, verabsäumen sie, und halten sie wohl gar für einen Zeitverlust: ungeachtet man ohne solche Stücke, weder einen guten Vortrag, noch einen guten Geschmack in der Ausführung erlangen kann. 14. §. Eine große Hinderniß des Fleißes und weitern Nachdenkens ist es, wenn man sich zu viel auf sein Talent verläßt. Die Erfahrung lehret, daß man unter denjenigen, welche besonders gute Naturgaben besitzen, mehr Unwißende antrifft, als unter denen, die ihrem mittelmäßigen Talente durch Fleiß und Nachdenken zu Hülfe gekommen sind. Manchen gereichet das besonders gute Naturell mehr zum Schaden als zum Vortheile. Wer davon Beweis verlanget, der betrachte nur die meisten Componisten nach der Mode, itziger Zeit. Wie viele findet man unter ihnen: die die Setzkunst nach den Regeln erlernet haben? Sind nicht die meisten fast pure Naturalisten? Wenn es hoch kömmt, so verstehen sie etwan den Generalbaß; und glauben es sey in einer so tiefsinnigen Wissenschaft, als die Composition ist, nichts mehr zu wissen nöthig, als daß man nur so viel Einsicht besitze, verbothene Quinten und Octaven zu vermeiden, und etwan einen Trummelbaß, und zu demselben eine oder zwo magere Mittelstimmen dazu zu setzen: das übrige sey eine schädliche Pedanterey, die nur am guten Geschmacke und am guten Gesange hindere. Wenn keine Wissenschaft nöthig, und das pure Naturell hinlänglich wäre; wie kömmt es denn, daß die Stücke von erfahrnen Componisten mehr Eindruck machen, allgemeiner werden, und sich länger im Credit erhalten, als die von selbst gewachsenen Naturalisten; und daß eines jeden guten Componisten erstere

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/26>, abgerufen am 03.12.2024.