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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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Modestie, endlich in eine desto größere Frechheit verfallen, und den ihnen immer noch eigen gewesenen netten und deutlichen Vortrag, in eine bizarre und dunkele Art zu spielen verwandeln möchten. Bey einer neuen und fremden Sache, wendet man mehrentheils nicht Zeit genug zur Untersuchung derselben an; sondern man fällt gemeiniglich von einem äußersten Ende aufs andere: absonderlich wenn es auf die Wahl junger Leute ankömmt, welche durch alles, was nur neu ist, verblendet werden können.

76. §.

Wollte man endlich die italiänische und französische Nationalmusik, wenn man jede von der besten Seite betrachtet, in der Kürze charakterisiren, und den Unterschied des Geschmackes gegen einander halten; so würde diese Vergleichung, meines Erachtens, ohngefähr also ausfallen:

Die Italiäner sind in der Composition uneingeschränket, prächtig, lebhaft, ausdrückend, tiefsinnig, erhaben in der Denkart, etwas bizarr, frey, verwegen, frech, ausschweifend, im Metrum zuweilen nachlässig; sie sind aber auch singend, schmeichelnd, zärtlich, rührend, und reich an Erfindung. Sie schreiben mehr für Kenner als für Liebhaber. Die Franzosen sind in der Composition zwar lebhaft, ausdrückend, natürlich, dem Publicum gefällig und begreiflich, und richtiger im Metrum als jene; sie sind aber weder tiefsinnig noch kühn; sondern sehr eingeschränket, sklavisch, sich selbst immer ähnlich, niedrig in der Denkart, trocken an Erfindung; sie wärmen die Gedanken ihrer Vorfahren immer wieder auf, und schreiben mehr für Liebhaber als für Kenner.

Die italiänische Singart ist tiefsinnig, und künstlich; sie rühret, und setzet zugleich in Verwunderung; sie beschäftiget den musikalischen Verstand; sie ist gefällig, reizend, ausdrückend, reich im Geschmacke und Vortrage, und versetzet den Zuhörer, auf eine angenehme Art, aus einer Leidenschaft in die andere. Die französische Singart ist mehr simpel als künstlich, mehr sprechend als singend; im Ausdrucke der Leidenschaften, und in der Stimme, mehr übertrieben als natürlich; im Geschmacke und im Vortrage ist sie arm, und sich selbst immer ähnlich; sie ist mehr für Liebhaber als für Musikverständige; sie schicket sich besser zu Trinkliedern als zu ernsthaften Arien, und belustiget zwar die Sinne, den musikalischen Verstand aber läßt sie ganz müßig.

Modestie, endlich in eine desto größere Frechheit verfallen, und den ihnen immer noch eigen gewesenen netten und deutlichen Vortrag, in eine bizarre und dunkele Art zu spielen verwandeln möchten. Bey einer neuen und fremden Sache, wendet man mehrentheils nicht Zeit genug zur Untersuchung derselben an; sondern man fällt gemeiniglich von einem äußersten Ende aufs andere: absonderlich wenn es auf die Wahl junger Leute ankömmt, welche durch alles, was nur neu ist, verblendet werden können.

76. §.

Wollte man endlich die italiänische und französische Nationalmusik, wenn man jede von der besten Seite betrachtet, in der Kürze charakterisiren, und den Unterschied des Geschmackes gegen einander halten; so würde diese Vergleichung, meines Erachtens, ohngefähr also ausfallen:

Die Italiäner sind in der Composition uneingeschränket, prächtig, lebhaft, ausdrückend, tiefsinnig, erhaben in der Denkart, etwas bizarr, frey, verwegen, frech, ausschweifend, im Metrum zuweilen nachlässig; sie sind aber auch singend, schmeichelnd, zärtlich, rührend, und reich an Erfindung. Sie schreiben mehr für Kenner als für Liebhaber. Die Franzosen sind in der Composition zwar lebhaft, ausdrückend, natürlich, dem Publicum gefällig und begreiflich, und richtiger im Metrum als jene; sie sind aber weder tiefsinnig noch kühn; sondern sehr eingeschränket, sklavisch, sich selbst immer ähnlich, niedrig in der Denkart, trocken an Erfindung; sie wärmen die Gedanken ihrer Vorfahren immer wieder auf, und schreiben mehr für Liebhaber als für Kenner.

Die italiänische Singart ist tiefsinnig, und künstlich; sie rühret, und setzet zugleich in Verwunderung; sie beschäftiget den musikalischen Verstand; sie ist gefällig, reizend, ausdrückend, reich im Geschmacke und Vortrage, und versetzet den Zuhörer, auf eine angenehme Art, aus einer Leidenschaft in die andere. Die französische Singart ist mehr simpel als künstlich, mehr sprechend als singend; im Ausdrucke der Leidenschaften, und in der Stimme, mehr übertrieben als natürlich; im Geschmacke und im Vortrage ist sie arm, und sich selbst immer ähnlich; sie ist mehr für Liebhaber als für Musikverständige; sie schicket sich besser zu Trinkliedern als zu ernsthaften Arien, und belustiget zwar die Sinne, den musikalischen Verstand aber läßt sie ganz müßig.

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[323/0337] Modestie, endlich in eine desto größere Frechheit verfallen, und den ihnen immer noch eigen gewesenen netten und deutlichen Vortrag, in eine bizarre und dunkele Art zu spielen verwandeln möchten. Bey einer neuen und fremden Sache, wendet man mehrentheils nicht Zeit genug zur Untersuchung derselben an; sondern man fällt gemeiniglich von einem äußersten Ende aufs andere: absonderlich wenn es auf die Wahl junger Leute ankömmt, welche durch alles, was nur neu ist, verblendet werden können. 76. §. Wollte man endlich die italiänische und französische Nationalmusik, wenn man jede von der besten Seite betrachtet, in der Kürze charakterisiren, und den Unterschied des Geschmackes gegen einander halten; so würde diese Vergleichung, meines Erachtens, ohngefähr also ausfallen: Die Italiäner sind in der Composition uneingeschränket, prächtig, lebhaft, ausdrückend, tiefsinnig, erhaben in der Denkart, etwas bizarr, frey, verwegen, frech, ausschweifend, im Metrum zuweilen nachlässig; sie sind aber auch singend, schmeichelnd, zärtlich, rührend, und reich an Erfindung. Sie schreiben mehr für Kenner als für Liebhaber. Die Franzosen sind in der Composition zwar lebhaft, ausdrückend, natürlich, dem Publicum gefällig und begreiflich, und richtiger im Metrum als jene; sie sind aber weder tiefsinnig noch kühn; sondern sehr eingeschränket, sklavisch, sich selbst immer ähnlich, niedrig in der Denkart, trocken an Erfindung; sie wärmen die Gedanken ihrer Vorfahren immer wieder auf, und schreiben mehr für Liebhaber als für Kenner. Die italiänische Singart ist tiefsinnig, und künstlich; sie rühret, und setzet zugleich in Verwunderung; sie beschäftiget den musikalischen Verstand; sie ist gefällig, reizend, ausdrückend, reich im Geschmacke und Vortrage, und versetzet den Zuhörer, auf eine angenehme Art, aus einer Leidenschaft in die andere. Die französische Singart ist mehr simpel als künstlich, mehr sprechend als singend; im Ausdrucke der Leidenschaften, und in der Stimme, mehr übertrieben als natürlich; im Geschmacke und im Vortrage ist sie arm, und sich selbst immer ähnlich; sie ist mehr für Liebhaber als für Musikverständige; sie schicket sich besser zu Trinkliedern als zu ernsthaften Arien, und belustiget zwar die Sinne, den musikalischen Verstand aber läßt sie ganz müßig.

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/337>, abgerufen am 24.11.2024.