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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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auch auf vielen Instrumenten, sehr weit gebracht hatten. Vom guten Geschmacke aber, und von schönen Melodieen, findet man, außer einigen alten Kirchengesängen, wenig Merkmaale; sondern vielmehr daß sowohl ihr Geschmack, als ihre Melodieen, länger als bey ihren Nachbarn, ziemlich platt, trocken, mager, und einfältig gewesen.

79. §.

Ihre Composition war, wie gesagt, harmonisch und vollstimmig; aber nicht melodisch und reizend.

Sie sucheten mehr künstlich, als begreiflich und gefällig; mehr für das Gesicht, als für das Gehör zu setzen.

Die ganz Alten brachten, in einem ausgearbeiteten Stücke, zu viele und zu überflüßige Cadenzen nach einander an: indem sie fast aus keiner Tonart in die andere, ohne vorher zu cadenziren, auszuweichen pflegeten: durch welche Aufrichtigkeit aber das Gehör selten überraschet wurde.

Es fehlete ihnen an einer guten Wahl und Verbindung der Gedanken.

Die Leidenschaften zu erregen und zu stillen, war ihnen etwas unbekanntes.

80. §.

In ihrer Singmusik sucheten sie mehr die bloßen Wörter, als den Sinn derselben, oder den damit verknüpfeten Affect, auszudrücken. Viele glaubeten dieserwegen schon eine Gnüge geleistet zu haben, wenn sie z. E. die Worte: Himmel und Hölle, durch die äußerste Höhe und Tiefe ausdrücketen: wodurch denn oft viel Lächerliches mit unterzulaufen pflegete. In Singstücken liebten sie sehr die äußerste Höhe, und ließen in derselben immer Worte aussprechen. Hierzu mögen die Falsetstimmen erwachsener Mannespersonen, welchen die Tiefe gemeiniglich beschwerlich ist, einige Ursache gegeben haben. Den Sängern gaben sie unter geschwinden Noten viele Worte nach einander auszusprechen; welches aber der Eigenschaft des guten Singens zuwider ist, den Sänger verhindert die Töne in ihrer gehörigen Schönheit hervor zu bringen, und sich von der gemeinen Rede allzuwenig unterscheidet(*). Ihre Singarien bestunden mehrentheils aus zwo Reprisen; sie waren sehr kurz; aber auch sehr einfältig und trocken.

(*) Obgleich einige wenige Deutsche, durch Nachahmung des italiänischen Geschmackes, diesen Fehler, welcher nur in der komischen Musik eine Schönheit ist, abgeleget haben: so ist er doch, auch zu itziger Zeit, noch nicht gänzlich ausgerottet.

auch auf vielen Instrumenten, sehr weit gebracht hatten. Vom guten Geschmacke aber, und von schönen Melodieen, findet man, außer einigen alten Kirchengesängen, wenig Merkmaale; sondern vielmehr daß sowohl ihr Geschmack, als ihre Melodieen, länger als bey ihren Nachbarn, ziemlich platt, trocken, mager, und einfältig gewesen.

79. §.

Ihre Composition war, wie gesagt, harmonisch und vollstimmig; aber nicht melodisch und reizend.

Sie sucheten mehr künstlich, als begreiflich und gefällig; mehr für das Gesicht, als für das Gehör zu setzen.

Die ganz Alten brachten, in einem ausgearbeiteten Stücke, zu viele und zu überflüßige Cadenzen nach einander an: indem sie fast aus keiner Tonart in die andere, ohne vorher zu cadenziren, auszuweichen pflegeten: durch welche Aufrichtigkeit aber das Gehör selten überraschet wurde.

Es fehlete ihnen an einer guten Wahl und Verbindung der Gedanken.

Die Leidenschaften zu erregen und zu stillen, war ihnen etwas unbekanntes.

80. §.

In ihrer Singmusik sucheten sie mehr die bloßen Wörter, als den Sinn derselben, oder den damit verknüpfeten Affect, auszudrücken. Viele glaubeten dieserwegen schon eine Gnüge geleistet zu haben, wenn sie z. E. die Worte: Himmel und Hölle, durch die äußerste Höhe und Tiefe ausdrücketen: wodurch denn oft viel Lächerliches mit unterzulaufen pflegete. In Singstücken liebten sie sehr die äußerste Höhe, und ließen in derselben immer Worte aussprechen. Hierzu mögen die Falsetstimmen erwachsener Mannespersonen, welchen die Tiefe gemeiniglich beschwerlich ist, einige Ursache gegeben haben. Den Sängern gaben sie unter geschwinden Noten viele Worte nach einander auszusprechen; welches aber der Eigenschaft des guten Singens zuwider ist, den Sänger verhindert die Töne in ihrer gehörigen Schönheit hervor zu bringen, und sich von der gemeinen Rede allzuwenig unterscheidet(*). Ihre Singarien bestunden mehrentheils aus zwo Reprisen; sie waren sehr kurz; aber auch sehr einfältig und trocken.

(*) Obgleich einige wenige Deutsche, durch Nachahmung des italiänischen Geschmackes, diesen Fehler, welcher nur in der komischen Musik eine Schönheit ist, abgeleget haben: so ist er doch, auch zu itziger Zeit, noch nicht gänzlich ausgerottet.
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[325/0339] auch auf vielen Instrumenten, sehr weit gebracht hatten. Vom guten Geschmacke aber, und von schönen Melodieen, findet man, außer einigen alten Kirchengesängen, wenig Merkmaale; sondern vielmehr daß sowohl ihr Geschmack, als ihre Melodieen, länger als bey ihren Nachbarn, ziemlich platt, trocken, mager, und einfältig gewesen. 79. §. Ihre Composition war, wie gesagt, harmonisch und vollstimmig; aber nicht melodisch und reizend. Sie sucheten mehr künstlich, als begreiflich und gefällig; mehr für das Gesicht, als für das Gehör zu setzen. Die ganz Alten brachten, in einem ausgearbeiteten Stücke, zu viele und zu überflüßige Cadenzen nach einander an: indem sie fast aus keiner Tonart in die andere, ohne vorher zu cadenziren, auszuweichen pflegeten: durch welche Aufrichtigkeit aber das Gehör selten überraschet wurde. Es fehlete ihnen an einer guten Wahl und Verbindung der Gedanken. Die Leidenschaften zu erregen und zu stillen, war ihnen etwas unbekanntes. 80. §. In ihrer Singmusik sucheten sie mehr die bloßen Wörter, als den Sinn derselben, oder den damit verknüpfeten Affect, auszudrücken. Viele glaubeten dieserwegen schon eine Gnüge geleistet zu haben, wenn sie z. E. die Worte: Himmel und Hölle, durch die äußerste Höhe und Tiefe ausdrücketen: wodurch denn oft viel Lächerliches mit unterzulaufen pflegete. In Singstücken liebten sie sehr die äußerste Höhe, und ließen in derselben immer Worte aussprechen. Hierzu mögen die Falsetstimmen erwachsener Mannespersonen, welchen die Tiefe gemeiniglich beschwerlich ist, einige Ursache gegeben haben. Den Sängern gaben sie unter geschwinden Noten viele Worte nach einander auszusprechen; welches aber der Eigenschaft des guten Singens zuwider ist, den Sänger verhindert die Töne in ihrer gehörigen Schönheit hervor zu bringen, und sich von der gemeinen Rede allzuwenig unterscheidet ⁽*⁾ . Ihre Singarien bestunden mehrentheils aus zwo Reprisen; sie waren sehr kurz; aber auch sehr einfältig und trocken. ⁽*⁾ Obgleich einige wenige Deutsche, durch Nachahmung des italiänischen Geschmackes, diesen Fehler, welcher nur in der komischen Musik eine Schönheit ist, abgeleget haben: so ist er doch, auch zu itziger Zeit, noch nicht gänzlich ausgerottet.

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/339>, abgerufen am 24.11.2024.