Neutonianische Farben gut hervortreten, obgleich der blättrige Bruch nicht stark ist. Levy und Dufrenoy haben die Krystalle daher auch nach der Säule s/s aufrecht gestellt, doch ist das gleichgültig, und spricht ganz gegen die bisher übliche Anschauung.
Zwillinge finden sich besonders auf den Erzgängen von Andreas- berg, wo man sie zuerst kennen lernte: zwei Individuen kreuzen sich so, daß das eine seine schmale hinlegt, wo das andere seine breite Fläche hat. Dadurch entsteht ein ausgezeichnetes Kreuz. Spiegelt man die Oktaederflächen im Licht oder in der Sonne, so kommt nie von zwei anliegenden Zwillingsflächen zugleich ein Bild ins Auge, was sein müßte, wenn die Oktaeder viergliedrig wären, wie sie Hauy nahm. Es zeigt sich vielmehr in der Zwillingskante ein ein- oder ausspringender Winkel von 179° · 23' (Phillips maß 178° 45'). Man sieht dieß leicht durch eine kleine Projektion ein, worin
[Abbildung]
a : b das eine, und a' : b' das andere Oktaeder bezeichnet, beide schneiden sich in p. Der Zonenpunkt
[Formel 1]
dieß in die Winkelformel der Kantenzone des regulären Systems pag. 55 ge- setzt, gibt
[Formel 2]
. Der einspringende Winkel häufig auf der angewachsenen Seite. Füllen die Fugen der gekreuzten Säulen sich aus, so entsteht ein scheinbar einfacher Krystall mit einer Federstreifung auf den Oktaederflächen: wir haben eine quadratische Säule mit einem sehr stumpfwinkligen 4 + 4kantner, wenn die ausspringenden Winkel zum Vorschein kommen. Uebrigens sind diese kleinen Winkel- unterschiede durch Streifung so versteckt, daß man noch gegründete Zweifel haben kann, ob die Form des ein-
[Abbildung]
fachen Krystalls nicht doch ein Granatoeder sei, dessen Flächen P o q nur unbeschadet der Winkel physikalisch different geworden sind, und die nun ein Bestreben zeigen, durch den Zwilling diese Differenz wieder auszu- gleichen.
Vierlinge und Sechslinge entstehen, wenn sich Zwillinge zwei oder dreifach rechtwinklig wie das Axen- kreuz unter einander kreuzen, die P so ge- stellt, daß je zwei möglichst einspiegeln. Beim Sechsling sind dann auf diese Weise die Differenzen vollkommen wieder ausge- glichen. Würden sich die Fugen ausfüllen, so entstände ein vollkommenes Granatoeder, woran jede Fläche blos einen stumpfen Knick nach den beiden Diagonalen zeigte. So sehen wir, wie aus einer zweigliedrigen
[Abbildung]
I. Cl. 7te Fam.: Kreuzſtein.
Neutonianiſche Farben gut hervortreten, obgleich der blättrige Bruch nicht ſtark iſt. Levy und Dufrénoy haben die Kryſtalle daher auch nach der Säule s/s aufrecht geſtellt, doch iſt das gleichgültig, und ſpricht ganz gegen die bisher übliche Anſchauung.
Zwillinge finden ſich beſonders auf den Erzgängen von Andreas- berg, wo man ſie zuerſt kennen lernte: zwei Individuen kreuzen ſich ſo, daß das eine ſeine ſchmale hinlegt, wo das andere ſeine breite Fläche hat. Dadurch entſteht ein ausgezeichnetes Kreuz. Spiegelt man die Oktaederflächen im Licht oder in der Sonne, ſo kommt nie von zwei anliegenden Zwillingsflächen zugleich ein Bild ins Auge, was ſein müßte, wenn die Oktaeder viergliedrig wären, wie ſie Hauy nahm. Es zeigt ſich vielmehr in der Zwillingskante ein ein- oder ausſpringender Winkel von 179° · 23′ (Phillips maß 178° 45′). Man ſieht dieß leicht durch eine kleine Projektion ein, worin
[Abbildung]
a : b das eine, und a' : b' das andere Oktaeder bezeichnet, beide ſchneiden ſich in p. Der Zonenpunkt
[Formel 1]
dieß in die Winkelformel der Kantenzone des regulären Syſtems pag. 55 ge- ſetzt, gibt
[Formel 2]
. Der einſpringende Winkel häufig auf der angewachſenen Seite. Füllen die Fugen der gekreuzten Säulen ſich aus, ſo entſteht ein ſcheinbar einfacher Kryſtall mit einer Federſtreifung auf den Oktaederflächen: wir haben eine quadratiſche Säule mit einem ſehr ſtumpfwinkligen 4 + 4kantner, wenn die ausſpringenden Winkel zum Vorſchein kommen. Uebrigens ſind dieſe kleinen Winkel- unterſchiede durch Streifung ſo verſteckt, daß man noch gegründete Zweifel haben kann, ob die Form des ein-
[Abbildung]
fachen Kryſtalls nicht doch ein Granatoeder ſei, deſſen Flächen P o q nur unbeſchadet der Winkel phyſikaliſch different geworden ſind, und die nun ein Beſtreben zeigen, durch den Zwilling dieſe Differenz wieder auszu- gleichen.
Vierlinge und Sechslinge entſtehen, wenn ſich Zwillinge zwei oder dreifach rechtwinklig wie das Axen- kreuz unter einander kreuzen, die P ſo ge- ſtellt, daß je zwei möglichſt einſpiegeln. Beim Sechsling ſind dann auf dieſe Weiſe die Differenzen vollkommen wieder ausge- glichen. Würden ſich die Fugen ausfüllen, ſo entſtände ein vollkommenes Granatoeder, woran jede Fläche blos einen ſtumpfen Knick nach den beiden Diagonalen zeigte. So ſehen wir, wie aus einer zweigliedrigen
[Abbildung]
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0297"n="285"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">I.</hi> Cl. 7te Fam.: Kreuzſtein.</fw><lb/>
Neutonianiſche Farben gut hervortreten, obgleich der blättrige Bruch nicht<lb/>ſtark iſt. Levy und Dufrénoy haben die Kryſtalle daher auch nach der<lb/>
Säule <hirendition="#aq">s/s</hi> aufrecht geſtellt, doch iſt das gleichgültig, und ſpricht ganz gegen<lb/>
die bisher übliche Anſchauung.</p><lb/><p><hirendition="#g">Zwillinge</hi> finden ſich beſonders auf den Erzgängen von Andreas-<lb/>
berg, wo man ſie zuerſt kennen lernte: zwei Individuen kreuzen ſich ſo,<lb/>
daß das eine ſeine ſchmale hinlegt, wo das andere ſeine breite Fläche<lb/>
hat. Dadurch entſteht ein ausgezeichnetes Kreuz.<lb/>
Spiegelt man die Oktaederflächen im Licht oder in<lb/>
der Sonne, ſo kommt nie von zwei anliegenden<lb/>
Zwillingsflächen zugleich ein Bild ins Auge, was<lb/>ſein müßte, wenn die Oktaeder viergliedrig wären,<lb/>
wie ſie Hauy nahm. Es zeigt ſich vielmehr in der<lb/>
Zwillingskante ein ein- oder ausſpringender Winkel<lb/>
von 179° · 23′ (Phillips maß 178° 45′). Man ſieht<lb/>
dieß leicht durch eine kleine Projektion ein, worin<lb/><figure/><hirendition="#aq">a : b</hi> das eine, und <hirendition="#aq">a' : b'</hi> das andere Oktaeder bezeichnet, beide ſchneiden<lb/>ſich in <hirendition="#aq">p.</hi> Der Zonenpunkt<lb/><hirendition="#c"><formula/></hi> dieß in die Winkelformel der Kantenzone des regulären Syſtems <hirendition="#aq">pag.</hi> 55 ge-<lb/>ſetzt, gibt<lb/><hirendition="#c"><formula/>.</hi><lb/>
Der einſpringende Winkel häufig auf der angewachſenen<lb/>
Seite. Füllen die Fugen der gekreuzten Säulen ſich<lb/>
aus, ſo entſteht ein ſcheinbar einfacher Kryſtall mit<lb/>
einer Federſtreifung auf den Oktaederflächen: wir haben<lb/>
eine quadratiſche Säule mit einem ſehr ſtumpfwinkligen<lb/>
4 + 4kantner, wenn die ausſpringenden Winkel zum<lb/>
Vorſchein kommen. Uebrigens ſind dieſe kleinen Winkel-<lb/>
unterſchiede durch Streifung ſo verſteckt, daß man noch<lb/>
gegründete Zweifel haben kann, ob die Form des ein-<lb/><figure/> fachen Kryſtalls nicht doch ein Granatoeder ſei, deſſen Flächen <hirendition="#aq">P o q</hi> nur<lb/>
unbeſchadet der Winkel phyſikaliſch different geworden ſind, und die nun<lb/>
ein Beſtreben zeigen, durch den Zwilling dieſe Differenz wieder auszu-<lb/>
gleichen.</p><lb/><p><hirendition="#g">Vierlinge</hi> und <hirendition="#g">Sechslinge</hi> entſtehen, wenn ſich Zwillinge zwei<lb/>
oder dreifach rechtwinklig wie das Axen-<lb/>
kreuz unter einander kreuzen, die <hirendition="#aq">P</hi>ſo ge-<lb/>ſtellt, daß je zwei möglichſt einſpiegeln.<lb/>
Beim Sechsling ſind dann auf dieſe Weiſe<lb/>
die Differenzen vollkommen wieder ausge-<lb/>
glichen. Würden ſich die Fugen ausfüllen,<lb/>ſo entſtände ein vollkommenes Granatoeder,<lb/>
woran jede Fläche blos einen ſtumpfen<lb/>
Knick nach den beiden Diagonalen zeigte.<lb/>
So ſehen wir, wie aus einer zweigliedrigen<lb/><figure/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[285/0297]
I. Cl. 7te Fam.: Kreuzſtein.
Neutonianiſche Farben gut hervortreten, obgleich der blättrige Bruch nicht
ſtark iſt. Levy und Dufrénoy haben die Kryſtalle daher auch nach der
Säule s/s aufrecht geſtellt, doch iſt das gleichgültig, und ſpricht ganz gegen
die bisher übliche Anſchauung.
Zwillinge finden ſich beſonders auf den Erzgängen von Andreas-
berg, wo man ſie zuerſt kennen lernte: zwei Individuen kreuzen ſich ſo,
daß das eine ſeine ſchmale hinlegt, wo das andere ſeine breite Fläche
hat. Dadurch entſteht ein ausgezeichnetes Kreuz.
Spiegelt man die Oktaederflächen im Licht oder in
der Sonne, ſo kommt nie von zwei anliegenden
Zwillingsflächen zugleich ein Bild ins Auge, was
ſein müßte, wenn die Oktaeder viergliedrig wären,
wie ſie Hauy nahm. Es zeigt ſich vielmehr in der
Zwillingskante ein ein- oder ausſpringender Winkel
von 179° · 23′ (Phillips maß 178° 45′). Man ſieht
dieß leicht durch eine kleine Projektion ein, worin
[Abbildung]
a : b das eine, und a' : b' das andere Oktaeder bezeichnet, beide ſchneiden
ſich in p. Der Zonenpunkt
[FORMEL] dieß in die Winkelformel der Kantenzone des regulären Syſtems pag. 55 ge-
ſetzt, gibt
[FORMEL].
Der einſpringende Winkel häufig auf der angewachſenen
Seite. Füllen die Fugen der gekreuzten Säulen ſich
aus, ſo entſteht ein ſcheinbar einfacher Kryſtall mit
einer Federſtreifung auf den Oktaederflächen: wir haben
eine quadratiſche Säule mit einem ſehr ſtumpfwinkligen
4 + 4kantner, wenn die ausſpringenden Winkel zum
Vorſchein kommen. Uebrigens ſind dieſe kleinen Winkel-
unterſchiede durch Streifung ſo verſteckt, daß man noch
gegründete Zweifel haben kann, ob die Form des ein-
[Abbildung]
fachen Kryſtalls nicht doch ein Granatoeder ſei, deſſen Flächen P o q nur
unbeſchadet der Winkel phyſikaliſch different geworden ſind, und die nun
ein Beſtreben zeigen, durch den Zwilling dieſe Differenz wieder auszu-
gleichen.
Vierlinge und Sechslinge entſtehen, wenn ſich Zwillinge zwei
oder dreifach rechtwinklig wie das Axen-
kreuz unter einander kreuzen, die P ſo ge-
ſtellt, daß je zwei möglichſt einſpiegeln.
Beim Sechsling ſind dann auf dieſe Weiſe
die Differenzen vollkommen wieder ausge-
glichen. Würden ſich die Fugen ausfüllen,
ſo entſtände ein vollkommenes Granatoeder,
woran jede Fläche blos einen ſtumpfen
Knick nach den beiden Diagonalen zeigte.
So ſehen wir, wie aus einer zweigliedrigen
[Abbildung]
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Quenstedt, Friedrich August: Handbuch der Mineralogie. Tübingen, 1855, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quenstedt_mineralogie_1854/297>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.