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Quenstedt, Friedrich August: Handbuch der Mineralogie. Tübingen, 1855.

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VI. Cl. Inflammabilien: Bernstein.
Bernstein in jener Gegend, selbst von Bauern beim Pflügen, gefunden
wird, muß bei Strafe abgeliefert werden, doch erhält der Finder des
Werthes. Die sandigen Ufer sind stellenweis 100--150' hoch, und an
ihrem Fuße liegt ein schwarzer mit Stücken von Braunkohlen gemengter
sehr vitriolischer thonigter Sand, der den Bernstein enthält. Landein-
wärts bei Groß-Hubnicken und Kraxtepellen sucht man die Schicht durch
Grabarbeit zu erreichen: der Landbernstein ist größer als der Seebern-
stein, an der Oberfläche rauher, und hat die meisten organischen Einschlüsse.
Als G. Rose (Reise Ural pag. 4) 1829 durch Königsberg kam, sah er
bei dem Pächter Hr. Douglas einen Vorrath von 150,000 Lb in einem
massiven durch eiserne Thüren verschlossenen Gewölbe aufgespeichert, und
in Kisten und Körbe nach der Größe der Stücke geordnet. Man hat
Tabellen, die bis in das Jahr 1535 hinaufreichen, und nach diesen ist
die alljährliche Ausbeute von 150 Tonnen a 80 Berliner Quart sich gleich
geblieben.

Die Größe und der Werth der Stücke ist sehr verschieden: das
größte befindet sich im Berliner Museum von 13 Zoll Länge, 8" Breite
und 3--6" Dicke, es wiegt 13 Lb 15 3/4 Lth. und 8 Lth. wurden von dem
Finder abgeschlagen, derselbe bekam 1000 Rthlr. Belohnung, so daß es
auf 10,000 Rthlr. geschätzt ist. Es fand sich 1803 in einem Wassergraben
auf dem Gute Schlappachen zwischen Gumbinnen und Insterburg. Auch
Plinius erwähnt eines Stückes von 13 Lb (a 24 Lth.): maximum pon-
dus is glebae attulit XIII librarum.
Das Museum von Madrid soll eines
von 8 Lb besitzen. Für den Handel werden sie in 5 Klassen gebracht:

1) Sortiment 0,8 p. C., Stücke von 5 Lth. und darüber;
2) Tonnenstein 9,6 p. C., 30--40 Stücke auf 1 Lb gehend;
3) Fernitz 6 p. C., kleine reine Stücke von 1--2 Cubikzoll;
4) Sandstein 64,7 p. C. bildet noch kleinere Stücke;
5) Schluck 18,9 p. C. heißt der unreine Sandstein.

Sandstein und Schluck, so wie der Abgang beim Dreher dient größten-
theils zur Destillation der Bernsteinsäure, welche officinell ist, und der
Rückstand gibt das Colophonium succini zur Bereitung des Bernstein-
firnisses. Aus dem Tonnenstein und Fernitz werden hauptsächlich Perlen
gemacht. Das Sortiment geht meist roh nach Constantinopel, wo es zu
Pfeifenspitzen verarbeitet wird, weil die Türken glauben, dieselben nähmen
keine ansteckenden Stoffe auf: eine große Spitze von milchweißem Bern-
stein ohne Flecken und Adern soll daselbst mit 40--100 Rthlr. bezahlt
werden.

Dieser Handel mit Bernstein ist uralt, und geht noch heute nach
Jahrtausenden seinen Landweg über Breslau, Odessa nach Constan-
tinopel. Jene kalten Gegenden Germaniens würden für die südlichen
Völker wenig Reiz gehabt haben, wenn sie nicht mit diesem kostbaren
Produkt bevorzugt wären. Und gerade der Bernstein gibt uns einen der
schönsten Beweise, wie weit schon alte Völker herum kamen. Bei den
Griechen wird er bereits mit den Dichtungen und Mythen über die älte-
sten Nationalgötter in Verbindung gebracht. Die Mythe bezeichnet ihn
als Thränen der Schwestern des Phaeton, Sohn des Sonnengottes, der
mit dem Wagen seines Vaters fast die Erde verbrannt hätte. Im Westen
heruntergeschleudert beweinten ihn seine Schwestern, die Heliaden, und

VI. Cl. Inflammabilien: Bernſtein.
Bernſtein in jener Gegend, ſelbſt von Bauern beim Pflügen, gefunden
wird, muß bei Strafe abgeliefert werden, doch erhält der Finder des
Werthes. Die ſandigen Ufer ſind ſtellenweis 100—150′ hoch, und an
ihrem Fuße liegt ein ſchwarzer mit Stücken von Braunkohlen gemengter
ſehr vitrioliſcher thonigter Sand, der den Bernſtein enthält. Landein-
wärts bei Groß-Hubnicken und Kraxtepellen ſucht man die Schicht durch
Grabarbeit zu erreichen: der Landbernſtein iſt größer als der Seebern-
ſtein, an der Oberfläche rauher, und hat die meiſten organiſchen Einſchlüſſe.
Als G. Roſe (Reiſe Ural pag. 4) 1829 durch Königsberg kam, ſah er
bei dem Pächter Hr. Douglas einen Vorrath von 150,000 ℔ in einem
maſſiven durch eiſerne Thüren verſchloſſenen Gewölbe aufgeſpeichert, und
in Kiſten und Körbe nach der Größe der Stücke geordnet. Man hat
Tabellen, die bis in das Jahr 1535 hinaufreichen, und nach dieſen iſt
die alljährliche Ausbeute von 150 Tonnen à 80 Berliner Quart ſich gleich
geblieben.

Die Größe und der Werth der Stücke iſt ſehr verſchieden: das
größte befindet ſich im Berliner Muſeum von 13 Zoll Länge, 8″ Breite
und 3—6″ Dicke, es wiegt 13 ℔ 15 ¾ Lth. und 8 Lth. wurden von dem
Finder abgeſchlagen, derſelbe bekam 1000 Rthlr. Belohnung, ſo daß es
auf 10,000 Rthlr. geſchätzt iſt. Es fand ſich 1803 in einem Waſſergraben
auf dem Gute Schlappachen zwiſchen Gumbinnen und Inſterburg. Auch
Plinius erwähnt eines Stückes von 13 ℔ (à 24 Lth.): maximum pon-
dus is glebae attulit XIII librarum.
Das Muſeum von Madrid ſoll eines
von 8 ℔ beſitzen. Für den Handel werden ſie in 5 Klaſſen gebracht:

1) Sortiment 0,8 p. C., Stücke von 5 Lth. und darüber;
2) Tonnenſtein 9,6 p. C., 30—40 Stücke auf 1 ℔ gehend;
3) Fernitz 6 p. C., kleine reine Stücke von 1—2 Cubikzoll;
4) Sandſtein 64,7 p. C. bildet noch kleinere Stücke;
5) Schluck 18,9 p. C. heißt der unreine Sandſtein.

Sandſtein und Schluck, ſo wie der Abgang beim Dreher dient größten-
theils zur Deſtillation der Bernſteinſäure, welche officinell iſt, und der
Rückſtand gibt das Colophonium succini zur Bereitung des Bernſtein-
firniſſes. Aus dem Tonnenſtein und Fernitz werden hauptſächlich Perlen
gemacht. Das Sortiment geht meiſt roh nach Conſtantinopel, wo es zu
Pfeifenſpitzen verarbeitet wird, weil die Türken glauben, dieſelben nähmen
keine anſteckenden Stoffe auf: eine große Spitze von milchweißem Bern-
ſtein ohne Flecken und Adern ſoll daſelbſt mit 40—100 Rthlr. bezahlt
werden.

Dieſer Handel mit Bernſtein iſt uralt, und geht noch heute nach
Jahrtauſenden ſeinen Landweg über Breslau, Odeſſa nach Conſtan-
tinopel. Jene kalten Gegenden Germaniens würden für die ſüdlichen
Völker wenig Reiz gehabt haben, wenn ſie nicht mit dieſem koſtbaren
Produkt bevorzugt wären. Und gerade der Bernſtein gibt uns einen der
ſchönſten Beweiſe, wie weit ſchon alte Völker herum kamen. Bei den
Griechen wird er bereits mit den Dichtungen und Mythen über die älte-
ſten Nationalgötter in Verbindung gebracht. Die Mythe bezeichnet ihn
als Thränen der Schweſtern des Phaeton, Sohn des Sonnengottes, der
mit dem Wagen ſeines Vaters faſt die Erde verbrannt hätte. Im Weſten
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[654/0666] VI. Cl. Inflammabilien: Bernſtein. Bernſtein in jener Gegend, ſelbſt von Bauern beim Pflügen, gefunden wird, muß bei Strafe abgeliefert werden, doch erhält der Finder [FORMEL] des Werthes. Die ſandigen Ufer ſind ſtellenweis 100—150′ hoch, und an ihrem Fuße liegt ein ſchwarzer mit Stücken von Braunkohlen gemengter ſehr vitrioliſcher thonigter Sand, der den Bernſtein enthält. Landein- wärts bei Groß-Hubnicken und Kraxtepellen ſucht man die Schicht durch Grabarbeit zu erreichen: der Landbernſtein iſt größer als der Seebern- ſtein, an der Oberfläche rauher, und hat die meiſten organiſchen Einſchlüſſe. Als G. Roſe (Reiſe Ural pag. 4) 1829 durch Königsberg kam, ſah er bei dem Pächter Hr. Douglas einen Vorrath von 150,000 ℔ in einem maſſiven durch eiſerne Thüren verſchloſſenen Gewölbe aufgeſpeichert, und in Kiſten und Körbe nach der Größe der Stücke geordnet. Man hat Tabellen, die bis in das Jahr 1535 hinaufreichen, und nach dieſen iſt die alljährliche Ausbeute von 150 Tonnen à 80 Berliner Quart ſich gleich geblieben. Die Größe und der Werth der Stücke iſt ſehr verſchieden: das größte befindet ſich im Berliner Muſeum von 13[FORMEL] Zoll Länge, 8[FORMEL]″ Breite und 3—6″ Dicke, es wiegt 13 ℔ 15 ¾ Lth. und 8 Lth. wurden von dem Finder abgeſchlagen, derſelbe bekam 1000 Rthlr. Belohnung, ſo daß es auf 10,000 Rthlr. geſchätzt iſt. Es fand ſich 1803 in einem Waſſergraben auf dem Gute Schlappachen zwiſchen Gumbinnen und Inſterburg. Auch Plinius erwähnt eines Stückes von 13 ℔ (à 24 Lth.): maximum pon- dus is glebae attulit XIII librarum. Das Muſeum von Madrid ſoll eines von 8 ℔ beſitzen. Für den Handel werden ſie in 5 Klaſſen gebracht: 1) Sortiment 0,8 p. C., Stücke von 5 Lth. und darüber; 2) Tonnenſtein 9,6 p. C., 30—40 Stücke auf 1 ℔ gehend; 3) Fernitz 6 p. C., kleine reine Stücke von 1—2 Cubikzoll; 4) Sandſtein 64,7 p. C. bildet noch kleinere Stücke; 5) Schluck 18,9 p. C. heißt der unreine Sandſtein. Sandſtein und Schluck, ſo wie der Abgang beim Dreher dient größten- theils zur Deſtillation der Bernſteinſäure, welche officinell iſt, und der Rückſtand gibt das Colophonium succini zur Bereitung des Bernſtein- firniſſes. Aus dem Tonnenſtein und Fernitz werden hauptſächlich Perlen gemacht. Das Sortiment geht meiſt roh nach Conſtantinopel, wo es zu Pfeifenſpitzen verarbeitet wird, weil die Türken glauben, dieſelben nähmen keine anſteckenden Stoffe auf: eine große Spitze von milchweißem Bern- ſtein ohne Flecken und Adern ſoll daſelbſt mit 40—100 Rthlr. bezahlt werden. Dieſer Handel mit Bernſtein iſt uralt, und geht noch heute nach Jahrtauſenden ſeinen Landweg über Breslau, Odeſſa nach Conſtan- tinopel. Jene kalten Gegenden Germaniens würden für die ſüdlichen Völker wenig Reiz gehabt haben, wenn ſie nicht mit dieſem koſtbaren Produkt bevorzugt wären. Und gerade der Bernſtein gibt uns einen der ſchönſten Beweiſe, wie weit ſchon alte Völker herum kamen. Bei den Griechen wird er bereits mit den Dichtungen und Mythen über die älte- ſten Nationalgötter in Verbindung gebracht. Die Mythe bezeichnet ihn als Thränen der Schweſtern des Phaeton, Sohn des Sonnengottes, der mit dem Wagen ſeines Vaters faſt die Erde verbrannt hätte. Im Weſten heruntergeſchleudert beweinten ihn ſeine Schweſtern, die Heliaden, und

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Zitationshilfe: Quenstedt, Friedrich August: Handbuch der Mineralogie. Tübingen, 1855, S. 654. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quenstedt_mineralogie_1854/666>, abgerufen am 21.11.2024.