dorff hinter dem Rücken von Vater und Mutter geschrieben hatte, dort von Hand zu Hand gegangen. Wie sehr erwachsene, verständige, vernünftige Leute wir draußen in den Gassen der Reichshauptstadt sein mochten, in Leonie des Beaux' Reiche waren wir noch dergestalt unmündig Volk, daß wir die höchsten Ehrenstellen und Sitze im Kinderhimmel des Evangeliums hätten in Anspruch nehmen dürfen. Und wir wußten es natürlich nicht und hielten uns im Gegentheil für außerordentlich weltklug. Fräulein Leonie vielleicht ausgenommen.
Die achtete mit immer größeren, schärferen und -- ängstlicheren Augen auf den neuen Freund ihres Bruders, auf den närrischen Velten Andres. Daß es mir freilich damals aufgefallen wäre, kann ich nicht sagen: ich kann es eben nicht genug wiederholen, daß das Meiste aus dieser Vergangenheit mir selber erst klar und deutlich wird und einen logischen Zusammenhang gewinnt, wie ich diese Blätter be¬ schreibe und -- paginire.
Ob er, der Junge aus dem Vogelsang, je in seinem Leben einen Begriff davon bekommen hat, was diese großen, anfangs so freudigen, dann mehr und mehr ernsten, traurigen Augen für ihn bedeuteten, weiß ich nicht. Wie viele treu besorgte Blicke aus lieben Augen gehen Einem verloren, während man auf
dorff hinter dem Rücken von Vater und Mutter geſchrieben hatte, dort von Hand zu Hand gegangen. Wie ſehr erwachſene, verſtändige, vernünftige Leute wir draußen in den Gaſſen der Reichshauptſtadt ſein mochten, in Leonie des Beaux' Reiche waren wir noch dergeſtalt unmündig Volk, daß wir die höchſten Ehrenſtellen und Sitze im Kinderhimmel des Evangeliums hätten in Anſpruch nehmen dürfen. Und wir wußten es natürlich nicht und hielten uns im Gegentheil für außerordentlich weltklug. Fräulein Leonie vielleicht ausgenommen.
Die achtete mit immer größeren, ſchärferen und — ängſtlicheren Augen auf den neuen Freund ihres Bruders, auf den närriſchen Velten Andres. Daß es mir freilich damals aufgefallen wäre, kann ich nicht ſagen: ich kann es eben nicht genug wiederholen, daß das Meiſte aus dieſer Vergangenheit mir ſelber erſt klar und deutlich wird und einen logiſchen Zuſammenhang gewinnt, wie ich dieſe Blätter be¬ ſchreibe und — paginire.
Ob er, der Junge aus dem Vogelſang, je in ſeinem Leben einen Begriff davon bekommen hat, was dieſe großen, anfangs ſo freudigen, dann mehr und mehr ernſten, traurigen Augen für ihn bedeuteten, weiß ich nicht. Wie viele treu beſorgte Blicke aus lieben Augen gehen Einem verloren, während man auf
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0140"n="130"/>
dorff hinter dem Rücken von Vater und Mutter<lb/>
geſchrieben hatte, dort von Hand zu Hand gegangen.<lb/>
Wie ſehr erwachſene, verſtändige, vernünftige Leute<lb/>
wir draußen in den Gaſſen der Reichshauptſtadt<lb/>ſein mochten, in Leonie des Beaux' Reiche waren<lb/>
wir noch dergeſtalt unmündig Volk, daß wir die<lb/>
höchſten Ehrenſtellen und Sitze im Kinderhimmel des<lb/>
Evangeliums hätten in Anſpruch nehmen dürfen.<lb/>
Und wir wußten es natürlich nicht und hielten uns<lb/>
im Gegentheil für außerordentlich weltklug. Fräulein<lb/>
Leonie vielleicht ausgenommen.</p><lb/><p>Die achtete mit immer größeren, ſchärferen und<lb/>— ängſtlicheren Augen auf den neuen Freund ihres<lb/>
Bruders, auf den närriſchen Velten Andres. Daß<lb/>
es mir freilich damals aufgefallen wäre, kann ich<lb/>
nicht ſagen: ich kann es eben nicht genug wiederholen,<lb/>
daß das Meiſte aus dieſer Vergangenheit mir ſelber<lb/>
erſt klar und deutlich wird und einen logiſchen<lb/>
Zuſammenhang gewinnt, wie ich dieſe Blätter be¬<lb/>ſchreibe und — paginire.</p><lb/><p>Ob er, der Junge aus dem Vogelſang, je in<lb/>ſeinem Leben einen Begriff davon bekommen hat,<lb/>
was dieſe großen, anfangs ſo freudigen, dann mehr<lb/>
und mehr ernſten, traurigen Augen für ihn bedeuteten,<lb/>
weiß ich nicht. Wie viele treu beſorgte Blicke aus<lb/>
lieben Augen gehen Einem verloren, während man auf<lb/></p></body></text></TEI>
[130/0140]
dorff hinter dem Rücken von Vater und Mutter
geſchrieben hatte, dort von Hand zu Hand gegangen.
Wie ſehr erwachſene, verſtändige, vernünftige Leute
wir draußen in den Gaſſen der Reichshauptſtadt
ſein mochten, in Leonie des Beaux' Reiche waren
wir noch dergeſtalt unmündig Volk, daß wir die
höchſten Ehrenſtellen und Sitze im Kinderhimmel des
Evangeliums hätten in Anſpruch nehmen dürfen.
Und wir wußten es natürlich nicht und hielten uns
im Gegentheil für außerordentlich weltklug. Fräulein
Leonie vielleicht ausgenommen.
Die achtete mit immer größeren, ſchärferen und
— ängſtlicheren Augen auf den neuen Freund ihres
Bruders, auf den närriſchen Velten Andres. Daß
es mir freilich damals aufgefallen wäre, kann ich
nicht ſagen: ich kann es eben nicht genug wiederholen,
daß das Meiſte aus dieſer Vergangenheit mir ſelber
erſt klar und deutlich wird und einen logiſchen
Zuſammenhang gewinnt, wie ich dieſe Blätter be¬
ſchreibe und — paginire.
Ob er, der Junge aus dem Vogelſang, je in
ſeinem Leben einen Begriff davon bekommen hat,
was dieſe großen, anfangs ſo freudigen, dann mehr
und mehr ernſten, traurigen Augen für ihn bedeuteten,
weiß ich nicht. Wie viele treu beſorgte Blicke aus
lieben Augen gehen Einem verloren, während man auf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/140>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.