Es war ein wunderlich behagliches Leben dort bei der Frau Fechtmeisterin Feucht in Veltens erstem Studentenstübchen und in des alten deutsch-französischen Schneidermeisters und seiner Kinder Zaubererinnerungs¬ raum. Von außen sah man es dem Hause in der Doro¬ theenstraße wahrhaftig nicht an, was es in seinem innersten Innern barg. Daß ich, ein deutscher Studiosus der Jurisprudenz, nach Berlin gekommen sei, um mich in meiner Wissenschaft daselbst noch mehr zu vervollkommnen, ging mir von Tag zu Tage mehr aus dem Begriff verloren. In dieser Beziehung war es ein Glück zu nennen, daß mein Aufenthalt mir nur kurz von meinem Vater bemessen worden war. Die Einzige, der ich zu Hause dieses Semester hätte begreiflich machen können, war die Frau Doktorin Andres. Die aber wußte natürlich schon sehr Bescheid, wies auf einen Haufen Briefe aus der Reichshauptstadt und lächelte trübe:
"Ja, ich weiß schon. Daß sich das Kind drüben in Amerika wieder zu den Seinen finden würde, wußte ich."
Mit einem leisen Seufzer und seinem Blick über die nächste Nähe fügte sie hinzu und glaubte fest an ihr eigen Wort:
"Du kennst ihn ja, lieber Karl, und weißt, wie wenig Einfluß ich von jeher auf ihn gehabt habe."
So reden die Weiber, wie sie das Glück und
Es war ein wunderlich behagliches Leben dort bei der Frau Fechtmeiſterin Feucht in Veltens erſtem Studentenſtübchen und in des alten deutſch-franzöſiſchen Schneidermeiſters und ſeiner Kinder Zaubererinnerungs¬ raum. Von außen ſah man es dem Hauſe in der Doro¬ theenſtraße wahrhaftig nicht an, was es in ſeinem innerſten Innern barg. Daß ich, ein deutſcher Studioſus der Jurisprudenz, nach Berlin gekommen ſei, um mich in meiner Wiſſenſchaft daſelbſt noch mehr zu vervollkommnen, ging mir von Tag zu Tage mehr aus dem Begriff verloren. In dieſer Beziehung war es ein Glück zu nennen, daß mein Aufenthalt mir nur kurz von meinem Vater bemeſſen worden war. Die Einzige, der ich zu Hauſe dieſes Semeſter hätte begreiflich machen können, war die Frau Doktorin Andres. Die aber wußte natürlich ſchon ſehr Beſcheid, wies auf einen Haufen Briefe aus der Reichshauptſtadt und lächelte trübe:
„Ja, ich weiß ſchon. Daß ſich das Kind drüben in Amerika wieder zu den Seinen finden würde, wußte ich.“
Mit einem leiſen Seufzer und ſeinem Blick über die nächſte Nähe fügte ſie hinzu und glaubte feſt an ihr eigen Wort:
„Du kennſt ihn ja, lieber Karl, und weißt, wie wenig Einfluß ich von jeher auf ihn gehabt habe.“
So reden die Weiber, wie ſie das Glück und
<TEI><text><body><pbfacs="#f0144"n="134"/><p>Es war ein wunderlich behagliches Leben dort<lb/>
bei der Frau Fechtmeiſterin Feucht in Veltens erſtem<lb/>
Studentenſtübchen und in des alten deutſch-franzöſiſchen<lb/>
Schneidermeiſters und ſeiner Kinder Zaubererinnerungs¬<lb/>
raum. Von außen ſah man es dem Hauſe in der Doro¬<lb/>
theenſtraße wahrhaftig nicht an, was es in ſeinem<lb/>
innerſten Innern barg. Daß ich, ein deutſcher<lb/>
Studioſus der Jurisprudenz, nach Berlin gekommen<lb/>ſei, um mich in meiner Wiſſenſchaft daſelbſt noch<lb/>
mehr zu vervollkommnen, ging mir von Tag zu Tage<lb/>
mehr aus dem Begriff verloren. In dieſer Beziehung<lb/>
war es ein Glück zu nennen, daß mein Aufenthalt<lb/>
mir nur kurz von meinem Vater bemeſſen worden<lb/>
war. Die Einzige, der ich zu Hauſe dieſes Semeſter<lb/>
hätte begreiflich machen können, war die Frau Doktorin<lb/>
Andres. Die aber wußte natürlich ſchon ſehr Beſcheid,<lb/>
wies auf einen Haufen Briefe aus der Reichshauptſtadt<lb/>
und lächelte trübe:</p><lb/><p>„Ja, ich weiß ſchon. Daß ſich das Kind drüben in<lb/>
Amerika wieder zu den Seinen finden würde, wußte ich.“</p><lb/><p>Mit einem leiſen Seufzer und <hirendition="#g">ſeinem</hi> Blick<lb/>
über die nächſte Nähe fügte ſie hinzu und glaubte<lb/>
feſt an ihr eigen Wort:</p><lb/><p>„Du kennſt ihn ja, lieber Karl, und weißt, wie<lb/>
wenig Einfluß ich von jeher auf ihn gehabt habe.“</p><lb/><p>So reden die Weiber, wie ſie das Glück und<lb/></p></body></text></TEI>
[134/0144]
Es war ein wunderlich behagliches Leben dort
bei der Frau Fechtmeiſterin Feucht in Veltens erſtem
Studentenſtübchen und in des alten deutſch-franzöſiſchen
Schneidermeiſters und ſeiner Kinder Zaubererinnerungs¬
raum. Von außen ſah man es dem Hauſe in der Doro¬
theenſtraße wahrhaftig nicht an, was es in ſeinem
innerſten Innern barg. Daß ich, ein deutſcher
Studioſus der Jurisprudenz, nach Berlin gekommen
ſei, um mich in meiner Wiſſenſchaft daſelbſt noch
mehr zu vervollkommnen, ging mir von Tag zu Tage
mehr aus dem Begriff verloren. In dieſer Beziehung
war es ein Glück zu nennen, daß mein Aufenthalt
mir nur kurz von meinem Vater bemeſſen worden
war. Die Einzige, der ich zu Hauſe dieſes Semeſter
hätte begreiflich machen können, war die Frau Doktorin
Andres. Die aber wußte natürlich ſchon ſehr Beſcheid,
wies auf einen Haufen Briefe aus der Reichshauptſtadt
und lächelte trübe:
„Ja, ich weiß ſchon. Daß ſich das Kind drüben in
Amerika wieder zu den Seinen finden würde, wußte ich.“
Mit einem leiſen Seufzer und ſeinem Blick
über die nächſte Nähe fügte ſie hinzu und glaubte
feſt an ihr eigen Wort:
„Du kennſt ihn ja, lieber Karl, und weißt, wie
wenig Einfluß ich von jeher auf ihn gehabt habe.“
So reden die Weiber, wie ſie das Glück und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/144>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.