lichstes thun möchte, um mir über diesen Menschen, einen der mir bekanntesten meiner Daseinsgenossen, klar zu werden? Aber es ist immer, als ob man Fäden aus einem Gobelinteppich zupfe und sie unter das Vergrößerungsglas bringe, um die hohe Kunst, die der Meister an das ganze Gewebe gewendet hat, daraus kennen zu lernen.
Wenn je ein Mensch für das Leben unter allen Formen und Bedingungen ausgerüstet war, wenn je einer das Seinige dazu gethan hatte, sich seine Schutz- und Angriffswaffen zu schmieden, so war das Velten Andres. Mit allen den Vorzügen und Tugenden begabt, die Ophelia aufzählt und von denen der dänische Prinz so schlechten Gebrauch machte, ging er wahrlich nicht von "Wittenberg" nach den Ver¬ einigten Staaten von Nordamerika und später seines Weges weiter.
Man hat einen guten Ausdruck dafür, wenn Einem das mühelos oder anscheinend mühelos zu¬ fällt, um was Andere sich sehr quälen müssen. "Es fliegt ihm an", sagt man, und beneidet den Glück¬ lichen, zuckt auch wohl bedenklich die Achseln dabei und zieht "im Ganzen ein solides Sitzfleisch doch vor". Letzteres hat auch seine Vorzüge und nimmt seinen gebührenden Platz später im Lehnstuhl am warmen Ofen, oder in der Julisonne fröstelnd, aber behaglich
lichſtes thun möchte, um mir über dieſen Menſchen, einen der mir bekannteſten meiner Daſeinsgenoſſen, klar zu werden? Aber es iſt immer, als ob man Fäden aus einem Gobelinteppich zupfe und ſie unter das Vergrößerungsglas bringe, um die hohe Kunſt, die der Meiſter an das ganze Gewebe gewendet hat, daraus kennen zu lernen.
Wenn je ein Menſch für das Leben unter allen Formen und Bedingungen ausgerüſtet war, wenn je einer das Seinige dazu gethan hatte, ſich ſeine Schutz- und Angriffswaffen zu ſchmieden, ſo war das Velten Andres. Mit allen den Vorzügen und Tugenden begabt, die Ophelia aufzählt und von denen der däniſche Prinz ſo ſchlechten Gebrauch machte, ging er wahrlich nicht von „Wittenberg“ nach den Ver¬ einigten Staaten von Nordamerika und ſpäter ſeines Weges weiter.
Man hat einen guten Ausdruck dafür, wenn Einem das mühelos oder anſcheinend mühelos zu¬ fällt, um was Andere ſich ſehr quälen müſſen. „Es fliegt ihm an“, ſagt man, und beneidet den Glück¬ lichen, zuckt auch wohl bedenklich die Achſeln dabei und zieht „im Ganzen ein ſolides Sitzfleiſch doch vor“. Letzteres hat auch ſeine Vorzüge und nimmt ſeinen gebührenden Platz ſpäter im Lehnſtuhl am warmen Ofen, oder in der Juliſonne fröſtelnd, aber behaglich
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lichſtes thun möchte, um mir über dieſen Menſchen,
einen der mir bekannteſten meiner Daſeinsgenoſſen,
klar zu werden? Aber es iſt immer, als ob man
Fäden aus einem Gobelinteppich zupfe und ſie unter
das Vergrößerungsglas bringe, um die hohe Kunſt,
die der Meiſter an das ganze Gewebe gewendet hat,
daraus kennen zu lernen.
Wenn je ein Menſch für das Leben unter allen
Formen und Bedingungen ausgerüſtet war, wenn je
einer das Seinige dazu gethan hatte, ſich ſeine Schutz-
und Angriffswaffen zu ſchmieden, ſo war das Velten
Andres. Mit allen den Vorzügen und Tugenden
begabt, die Ophelia aufzählt und von denen der
däniſche Prinz ſo ſchlechten Gebrauch machte, ging
er wahrlich nicht von „Wittenberg“ nach den Ver¬
einigten Staaten von Nordamerika und ſpäter ſeines
Weges weiter.
Man hat einen guten Ausdruck dafür, wenn
Einem das mühelos oder anſcheinend mühelos zu¬
fällt, um was Andere ſich ſehr quälen müſſen. „Es
fliegt ihm an“, ſagt man, und beneidet den Glück¬
lichen, zuckt auch wohl bedenklich die Achſeln dabei
und zieht „im Ganzen ein ſolides Sitzfleiſch doch vor“.
Letzteres hat auch ſeine Vorzüge und nimmt ſeinen
gebührenden Platz ſpäter im Lehnſtuhl am warmen
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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/183>, abgerufen am 25.11.2024.
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