als ob der Bauherr seiner Zeit ihn mit seinen Be¬ dürfnissen eigens dafür ins Auge gefaßt hätte. Nicht wahr, Mutter, wir finden uns schon, unserm Jungen zuliebe, in die veränderten Verhältnisse?"
"Ja, ja, ja! obgleich es mir doch schwer an¬ kommen wird," schluchzte die gute alte Frau. "Freilich rückt uns hier das Neue zu arg auf den Leib, und wo man aus dem Fenster guckt, ist es das Alte nicht mehr; aber weißt Du, Mann, es wird mir doch sein als wie damals, wo man den Sargdeckel auf unser kleines Mädchen legen wollte und ich auch nicht glauben konnte, daß es möglich und nöthig sei. Kein eigenes Waschhaus mehr und keinen Platz zum Wäschetrocknen im eigenen Garten! Aber es ist ja richtig, das schlechte Tanzlokal, das da dicht an unserer grünen Hecke aufgewachsen ist, paßt nicht einmal mehr zu unseren Verhältnissen, also zu unserm Karl seinen gar nicht. Und Du hast Recht, Krumhardt, die Eltern sind dazu da, daß sie ihre Kinder in die Höhe bringen und in immer bessere Gesellschaft, bis in die beste, wenn's möglich, und das ist freilich hier im Vogelsang niemals möglich gewesen, also -- wie Gott will. Ich habe mich in so Vieles im Leben finden müssen und werde mich auch hierein finden. Das Kind wird es ja auch, und vielleicht auch mit seinen Kindern einsehen, was Vater und Mutter an
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als ob der Bauherr ſeiner Zeit ihn mit ſeinen Be¬ dürfniſſen eigens dafür ins Auge gefaßt hätte. Nicht wahr, Mutter, wir finden uns ſchon, unſerm Jungen zuliebe, in die veränderten Verhältniſſe?“
„Ja, ja, ja! obgleich es mir doch ſchwer an¬ kommen wird,“ ſchluchzte die gute alte Frau. „Freilich rückt uns hier das Neue zu arg auf den Leib, und wo man aus dem Fenſter guckt, iſt es das Alte nicht mehr; aber weißt Du, Mann, es wird mir doch ſein als wie damals, wo man den Sargdeckel auf unſer kleines Mädchen legen wollte und ich auch nicht glauben konnte, daß es möglich und nöthig ſei. Kein eigenes Waſchhaus mehr und keinen Platz zum Wäſchetrocknen im eigenen Garten! Aber es iſt ja richtig, das ſchlechte Tanzlokal, das da dicht an unſerer grünen Hecke aufgewachſen iſt, paßt nicht einmal mehr zu unſeren Verhältniſſen, alſo zu unſerm Karl ſeinen gar nicht. Und Du haſt Recht, Krumhardt, die Eltern ſind dazu da, daß ſie ihre Kinder in die Höhe bringen und in immer beſſere Geſellſchaft, bis in die beſte, wenn's möglich, und das iſt freilich hier im Vogelſang niemals möglich geweſen, alſo — wie Gott will. Ich habe mich in ſo Vieles im Leben finden müſſen und werde mich auch hierein finden. Das Kind wird es ja auch, und vielleicht auch mit ſeinen Kindern einſehen, was Vater und Mutter an
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als ob der Bauherr ſeiner Zeit ihn mit ſeinen Be¬
dürfniſſen eigens dafür ins Auge gefaßt hätte. Nicht
wahr, Mutter, wir finden uns ſchon, unſerm Jungen
zuliebe, in die veränderten Verhältniſſe?“
„Ja, ja, ja! obgleich es mir doch ſchwer an¬
kommen wird,“ ſchluchzte die gute alte Frau. „Freilich
rückt uns hier das Neue zu arg auf den Leib, und
wo man aus dem Fenſter guckt, iſt es das Alte nicht
mehr; aber weißt Du, Mann, es wird mir doch ſein
als wie damals, wo man den Sargdeckel auf unſer
kleines Mädchen legen wollte und ich auch nicht
glauben konnte, daß es möglich und nöthig ſei. Kein
eigenes Waſchhaus mehr und keinen Platz zum
Wäſchetrocknen im eigenen Garten! Aber es iſt ja
richtig, das ſchlechte Tanzlokal, das da dicht an
unſerer grünen Hecke aufgewachſen iſt, paßt nicht
einmal mehr zu unſeren Verhältniſſen, alſo zu unſerm
Karl ſeinen gar nicht. Und Du haſt Recht, Krumhardt,
die Eltern ſind dazu da, daß ſie ihre Kinder in die
Höhe bringen und in immer beſſere Geſellſchaft, bis
in die beſte, wenn's möglich, und das iſt freilich hier
im Vogelſang niemals möglich geweſen, alſo — wie
Gott will. Ich habe mich in ſo Vieles im Leben
finden müſſen und werde mich auch hierein finden.
Das Kind wird es ja auch, und vielleicht auch mit
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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/189>, abgerufen am 25.11.2024.
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