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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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lag auch auf dem Nähtischchen der Frau Doktorin,
und der Begleitbrief Veltens daneben.

Die Mutter des Freundes reichte mir ihre Hand,
nachdem sie ihr feuchtes Taschentuch zwischen die
Blumentöpfe in ihrer Fensterbank geschoben hatte,
und sagte: "Sieh, das ist freundlich von Dir, Karl.
Wenn sich die Welt um Einen her verändert, hält
man sich am besten an die Jungen aus seiner alten
Bekanntschaft, an die, welche ihr Recht noch vom
nächsten Tag erwarten, lustig in der neuen Fluth
schwimmen, und aus ihrem jungen Recht an die
Zeit den Alten wenigstens den Kopf ein wenig zurecht¬
setzen können, wenn auch nicht das Herz. Elly hat
sich verheirathet, Velten hat geschrieben. Da ist sein
Brief und Du kannst ihn lesen. Ich hätte es nie
für möglich gehalten, daß sich der Vogelsang so sehr
für mich verändern könnte. Aber so geht es eben,
wenn der Mensch es nicht glauben kann, daß ihm
seine liebsten Hoffnungen aus dem Leben weggewischt
werden können."

Sie sah sich hier in ihrem Stübchen, in welchem
sie unter all ihren Erinnerungen saß, wie die Frau
Fechtmeisterin Feucht in der Dorotheenstraße zu
Berlin unter den ihrigen, mit einem kummervollen
Blicke um: "Wie doch Alles dem Menschen auf ein¬
mal so ganz andere Gesichter schneiden kann! Und

lag auch auf dem Nähtiſchchen der Frau Doktorin,
und der Begleitbrief Veltens daneben.

Die Mutter des Freundes reichte mir ihre Hand,
nachdem ſie ihr feuchtes Taſchentuch zwiſchen die
Blumentöpfe in ihrer Fenſterbank geſchoben hatte,
und ſagte: „Sieh, das iſt freundlich von Dir, Karl.
Wenn ſich die Welt um Einen her verändert, hält
man ſich am beſten an die Jungen aus ſeiner alten
Bekanntſchaft, an die, welche ihr Recht noch vom
nächſten Tag erwarten, luſtig in der neuen Fluth
ſchwimmen, und aus ihrem jungen Recht an die
Zeit den Alten wenigſtens den Kopf ein wenig zurecht¬
ſetzen können, wenn auch nicht das Herz. Elly hat
ſich verheirathet, Velten hat geſchrieben. Da iſt ſein
Brief und Du kannſt ihn leſen. Ich hätte es nie
für möglich gehalten, daß ſich der Vogelſang ſo ſehr
für mich verändern könnte. Aber ſo geht es eben,
wenn der Menſch es nicht glauben kann, daß ihm
ſeine liebſten Hoffnungen aus dem Leben weggewiſcht
werden können.“

Sie ſah ſich hier in ihrem Stübchen, in welchem
ſie unter all ihren Erinnerungen ſaß, wie die Frau
Fechtmeiſterin Feucht in der Dorotheenſtraße zu
Berlin unter den ihrigen, mit einem kummervollen
Blicke um: „Wie doch Alles dem Menſchen auf ein¬
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[182/0192] lag auch auf dem Nähtiſchchen der Frau Doktorin, und der Begleitbrief Veltens daneben. Die Mutter des Freundes reichte mir ihre Hand, nachdem ſie ihr feuchtes Taſchentuch zwiſchen die Blumentöpfe in ihrer Fenſterbank geſchoben hatte, und ſagte: „Sieh, das iſt freundlich von Dir, Karl. Wenn ſich die Welt um Einen her verändert, hält man ſich am beſten an die Jungen aus ſeiner alten Bekanntſchaft, an die, welche ihr Recht noch vom nächſten Tag erwarten, luſtig in der neuen Fluth ſchwimmen, und aus ihrem jungen Recht an die Zeit den Alten wenigſtens den Kopf ein wenig zurecht¬ ſetzen können, wenn auch nicht das Herz. Elly hat ſich verheirathet, Velten hat geſchrieben. Da iſt ſein Brief und Du kannſt ihn leſen. Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß ſich der Vogelſang ſo ſehr für mich verändern könnte. Aber ſo geht es eben, wenn der Menſch es nicht glauben kann, daß ihm ſeine liebſten Hoffnungen aus dem Leben weggewiſcht werden können.“ Sie ſah ſich hier in ihrem Stübchen, in welchem ſie unter all ihren Erinnerungen ſaß, wie die Frau Fechtmeiſterin Feucht in der Dorotheenſtraße zu Berlin unter den ihrigen, mit einem kummervollen Blicke um: „Wie doch Alles dem Menſchen auf ein¬ mal ſo ganz andere Geſichter ſchneiden kann! Und

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/192>, abgerufen am 24.11.2024.