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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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liebes armes kleines Mädchen, was würde dem
jetzt mit einem zerfließenden Liebhaber gedient
sein? Also -- trocken überschlucken und ein Kreuz
über eine närrische Lebensepoche ziehen, wie über
eine Kalenderwoche, die bis Donnerstag im Sonnen¬
schein lag und am Freitag in einen Landregen
überging! Unserm lieben Wildfang gebe ich gar
keine Schuld; -- kann man überhaupt einem
Menschenkinde Schuld an seinem Schicksal geben?
Was kann die Lerche gegen den Spiegelblitz, der
sie aus der blauen Luft in die Versandtschachtel
und die Bratpfanne holt? Mit ihrem tückischen
Glanz haben sie auch unser liebes Singvögelchen
aus dem Vogelsang hernieder in ihr Netz stürzen
machen und ihr nicht nur das arme, dumme, kleine
Schädelchen und Gehirnchen, sondern auch das
schöne weite Herz eingedrückt. Sie wird eine statt¬
liche Mistreß Mungo: die Nadel der Kleopatra,
jetzt im hiesigen Centralpark, die doch schon in
Ägypten viel gesehen hat, und hier im Lande täglich
auch noch manches sieht, sah nimmer ein schöneres,
vornehmeres Weib an sich vorbei und durch ihren
Schatten gleiten. So wächst das immer aus dem
Schlamm empor, einerlei ob am Nil oder am
Hudson! Mir fehlen wieder mal die Knöpfe am
Hemdärmel, alte Mutter zu Hause; aber Elly wird

liebes armes kleines Mädchen, was würde dem
jetzt mit einem zerfließenden Liebhaber gedient
ſein? Alſo — trocken überſchlucken und ein Kreuz
über eine närriſche Lebensepoche ziehen, wie über
eine Kalenderwoche, die bis Donnerstag im Sonnen¬
ſchein lag und am Freitag in einen Landregen
überging! Unſerm lieben Wildfang gebe ich gar
keine Schuld; — kann man überhaupt einem
Menſchenkinde Schuld an ſeinem Schickſal geben?
Was kann die Lerche gegen den Spiegelblitz, der
ſie aus der blauen Luft in die Verſandtſchachtel
und die Bratpfanne holt? Mit ihrem tückiſchen
Glanz haben ſie auch unſer liebes Singvögelchen
aus dem Vogelſang hernieder in ihr Netz ſtürzen
machen und ihr nicht nur das arme, dumme, kleine
Schädelchen und Gehirnchen, ſondern auch das
ſchöne weite Herz eingedrückt. Sie wird eine ſtatt¬
liche Miſtreß Mungo: die Nadel der Kleopatra,
jetzt im hieſigen Centralpark, die doch ſchon in
Ägypten viel geſehen hat, und hier im Lande täglich
auch noch manches ſieht, ſah nimmer ein ſchöneres,
vornehmeres Weib an ſich vorbei und durch ihren
Schatten gleiten. So wächſt das immer aus dem
Schlamm empor, einerlei ob am Nil oder am
Hudſon! Mir fehlen wieder mal die Knöpfe am
Hemdärmel, alte Mutter zu Hauſe; aber Elly wird

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[185/0195] liebes armes kleines Mädchen, was würde dem jetzt mit einem zerfließenden Liebhaber gedient ſein? Alſo — trocken überſchlucken und ein Kreuz über eine närriſche Lebensepoche ziehen, wie über eine Kalenderwoche, die bis Donnerstag im Sonnen¬ ſchein lag und am Freitag in einen Landregen überging! Unſerm lieben Wildfang gebe ich gar keine Schuld; — kann man überhaupt einem Menſchenkinde Schuld an ſeinem Schickſal geben? Was kann die Lerche gegen den Spiegelblitz, der ſie aus der blauen Luft in die Verſandtſchachtel und die Bratpfanne holt? Mit ihrem tückiſchen Glanz haben ſie auch unſer liebes Singvögelchen aus dem Vogelſang hernieder in ihr Netz ſtürzen machen und ihr nicht nur das arme, dumme, kleine Schädelchen und Gehirnchen, ſondern auch das ſchöne weite Herz eingedrückt. Sie wird eine ſtatt¬ liche Miſtreß Mungo: die Nadel der Kleopatra, jetzt im hieſigen Centralpark, die doch ſchon in Ägypten viel geſehen hat, und hier im Lande täglich auch noch manches ſieht, ſah nimmer ein ſchöneres, vornehmeres Weib an ſich vorbei und durch ihren Schatten gleiten. So wächſt das immer aus dem Schlamm empor, einerlei ob am Nil oder am Hudſon! Mir fehlen wieder mal die Knöpfe am Hemdärmel, alte Mutter zu Hauſe; aber Elly wird

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/195>, abgerufen am 24.11.2024.