lahmen Linken damals denken müssen, und jedesmal waren dann meine vier sicheren Wände drohend, beängstigend auf mich eingerückt, es war mir bänglich und asthmatisch zu Muthe, ich traute auch dem zier¬ lichen Stuck des Plafonds nicht: ja, ich fühlte mich dann jedesmal recht unbehaglich in meinen vier Pfählen und im Erdenleben überhaupt.
Er hatte Recht gehabt, der Freund. Am späten Abend war das Todesathmen eingetreten und gegen vier Uhr Morgens hatte sich auch "dieses liebe Bild verflüchtigt". Wer kann ein Lächeln, den Klang einer Stimme, das Neigen einer Stirn, die Bewegung, den Druck und die Wärme einer Hand in den -- Akten festhalten?
Als ich gegen neun Uhr zu Velten kam, fand ich ihn ruhig bereits mit den nöthigen Vorbereitungen und Formalitäten zur Beerdigung beschäftigt. Ich wollte ihn, auch im Auftrage meiner Frau, aus seinem leeren Hause mit in unsere Gastzimmer nehmen, aber er wollte nicht. Lächelnd wies er die dringende, wiederholte Bitte ab.
"Ich bin euch dankbar, Kinder," sagte er, "und könnte wohl auch kommen, wenn die Kleine jetzt nicht
lahmen Linken damals denken müſſen, und jedesmal waren dann meine vier ſicheren Wände drohend, beängſtigend auf mich eingerückt, es war mir bänglich und aſthmatiſch zu Muthe, ich traute auch dem zier¬ lichen Stuck des Plafonds nicht: ja, ich fühlte mich dann jedesmal recht unbehaglich in meinen vier Pfählen und im Erdenleben überhaupt.
Er hatte Recht gehabt, der Freund. Am ſpäten Abend war das Todesathmen eingetreten und gegen vier Uhr Morgens hatte ſich auch „dieſes liebe Bild verflüchtigt“. Wer kann ein Lächeln, den Klang einer Stimme, das Neigen einer Stirn, die Bewegung, den Druck und die Wärme einer Hand in den — Akten feſthalten?
Als ich gegen neun Uhr zu Velten kam, fand ich ihn ruhig bereits mit den nöthigen Vorbereitungen und Formalitäten zur Beerdigung beſchäftigt. Ich wollte ihn, auch im Auftrage meiner Frau, aus ſeinem leeren Hauſe mit in unſere Gaſtzimmer nehmen, aber er wollte nicht. Lächelnd wies er die dringende, wiederholte Bitte ab.
„Ich bin euch dankbar, Kinder,“ ſagte er, „und könnte wohl auch kommen, wenn die Kleine jetzt nicht
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0261"n="251"/>
lahmen Linken damals denken müſſen, und jedesmal<lb/>
waren dann meine vier ſicheren Wände drohend,<lb/>
beängſtigend auf mich eingerückt, es war mir bänglich<lb/>
und aſthmatiſch zu Muthe, ich traute auch dem zier¬<lb/>
lichen Stuck des Plafonds nicht: ja, ich fühlte mich<lb/>
dann jedesmal recht unbehaglich in meinen vier<lb/>
Pfählen und im Erdenleben überhaupt.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Er hatte Recht gehabt, der Freund. Am ſpäten<lb/>
Abend war das Todesathmen eingetreten und gegen<lb/>
vier Uhr Morgens hatte ſich auch „dieſes liebe Bild<lb/>
verflüchtigt“. Wer kann ein Lächeln, den Klang<lb/>
einer Stimme, das Neigen einer Stirn, die Bewegung,<lb/>
den Druck und die Wärme einer Hand in den —<lb/>
Akten feſthalten?</p><lb/><p>Als ich gegen neun Uhr zu Velten kam, fand<lb/>
ich ihn ruhig bereits mit den nöthigen Vorbereitungen<lb/>
und Formalitäten zur Beerdigung beſchäftigt. Ich<lb/>
wollte ihn, auch im Auftrage meiner Frau, aus<lb/>ſeinem leeren Hauſe mit in unſere Gaſtzimmer<lb/>
nehmen, aber er wollte nicht. Lächelnd wies er die<lb/>
dringende, wiederholte Bitte ab.</p><lb/><p>„Ich bin euch dankbar, Kinder,“ſagte er, „und<lb/>
könnte wohl auch kommen, wenn die Kleine jetzt nicht<lb/></p></body></text></TEI>
[251/0261]
lahmen Linken damals denken müſſen, und jedesmal
waren dann meine vier ſicheren Wände drohend,
beängſtigend auf mich eingerückt, es war mir bänglich
und aſthmatiſch zu Muthe, ich traute auch dem zier¬
lichen Stuck des Plafonds nicht: ja, ich fühlte mich
dann jedesmal recht unbehaglich in meinen vier
Pfählen und im Erdenleben überhaupt.
Er hatte Recht gehabt, der Freund. Am ſpäten
Abend war das Todesathmen eingetreten und gegen
vier Uhr Morgens hatte ſich auch „dieſes liebe Bild
verflüchtigt“. Wer kann ein Lächeln, den Klang
einer Stimme, das Neigen einer Stirn, die Bewegung,
den Druck und die Wärme einer Hand in den —
Akten feſthalten?
Als ich gegen neun Uhr zu Velten kam, fand
ich ihn ruhig bereits mit den nöthigen Vorbereitungen
und Formalitäten zur Beerdigung beſchäftigt. Ich
wollte ihn, auch im Auftrage meiner Frau, aus
ſeinem leeren Hauſe mit in unſere Gaſtzimmer
nehmen, aber er wollte nicht. Lächelnd wies er die
dringende, wiederholte Bitte ab.
„Ich bin euch dankbar, Kinder,“ ſagte er, „und
könnte wohl auch kommen, wenn die Kleine jetzt nicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/261>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.