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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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blümchen da oben im Walde gefunden und gepflückt
und drückte sich mit dem Frühlingsstrauß ängstlich
an mich an.

"Siehst Du's, da hat er es! Sie stürmen ihm
das Haus! Was hat er nun wieder Neues --
Schändliches angefangen -- Dein -- Freund?"

Es sah in der That bedrohlich aus; und wir
hatten Mühe, durch den menschenvollen Garten zu
der Hausthür zu gelangen, die er aus den Angeln
hatte heben lassen, und mit welcher auf der Schulter
ein alter Hausknecht weiland Nachbar Hartlebens
durch das Gewühl das Freie zu erreichen suchte. Nun
fand es sich aber, daß es doch im Ganzen lauter gute
alte Bekannte und Freunde waren, die er sich aus
den "letzten Gassen" und von den Zäunen des Vogel¬
sangs mit dem Wort: "Seht zu, Kinder, was ihr
von dem Kram gebrauchen könnt!" eingeladen hatte,
wie der König im Evangelium das Volk zu seinem
Festmahl. Sie machten auch gern Platz, so viel es
ihnen möglich war und zogen die Mützen, und Einigen,
denen ich zu hoch gestiegen war, als daß sie mir die
Hand hätten reichen können, mußte ich sie hinhalten:
"Na, alter Freund, das geht hier lustig zu!"

"Ja, sagen Sie mal, Herr Assessor! So was
hat der Vogelsang gewiß noch nicht erlebt. Zu
so was gehörte einzig und allein unsere selige

blümchen da oben im Walde gefunden und gepflückt
und drückte ſich mit dem Frühlingsſtrauß ängſtlich
an mich an.

„Siehſt Du's, da hat er es! Sie ſtürmen ihm
das Haus! Was hat er nun wieder Neues —
Schändliches angefangen — Dein — Freund?“

Es ſah in der That bedrohlich aus; und wir
hatten Mühe, durch den menſchenvollen Garten zu
der Hausthür zu gelangen, die er aus den Angeln
hatte heben laſſen, und mit welcher auf der Schulter
ein alter Hausknecht weiland Nachbar Hartlebens
durch das Gewühl das Freie zu erreichen ſuchte. Nun
fand es ſich aber, daß es doch im Ganzen lauter gute
alte Bekannte und Freunde waren, die er ſich aus
den „letzten Gaſſen“ und von den Zäunen des Vogel¬
ſangs mit dem Wort: „Seht zu, Kinder, was ihr
von dem Kram gebrauchen könnt!“ eingeladen hatte,
wie der König im Evangelium das Volk zu ſeinem
Feſtmahl. Sie machten auch gern Platz, ſo viel es
ihnen möglich war und zogen die Mützen, und Einigen,
denen ich zu hoch geſtiegen war, als daß ſie mir die
Hand hätten reichen können, mußte ich ſie hinhalten:
„Na, alter Freund, das geht hier luſtig zu!“

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hat der Vogelſang gewiß noch nicht erlebt. Zu
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[267/0277] blümchen da oben im Walde gefunden und gepflückt und drückte ſich mit dem Frühlingsſtrauß ängſtlich an mich an. „Siehſt Du's, da hat er es! Sie ſtürmen ihm das Haus! Was hat er nun wieder Neues — Schändliches angefangen — Dein — Freund?“ Es ſah in der That bedrohlich aus; und wir hatten Mühe, durch den menſchenvollen Garten zu der Hausthür zu gelangen, die er aus den Angeln hatte heben laſſen, und mit welcher auf der Schulter ein alter Hausknecht weiland Nachbar Hartlebens durch das Gewühl das Freie zu erreichen ſuchte. Nun fand es ſich aber, daß es doch im Ganzen lauter gute alte Bekannte und Freunde waren, die er ſich aus den „letzten Gaſſen“ und von den Zäunen des Vogel¬ ſangs mit dem Wort: „Seht zu, Kinder, was ihr von dem Kram gebrauchen könnt!“ eingeladen hatte, wie der König im Evangelium das Volk zu ſeinem Feſtmahl. Sie machten auch gern Platz, ſo viel es ihnen möglich war und zogen die Mützen, und Einigen, denen ich zu hoch geſtiegen war, als daß ſie mir die Hand hätten reichen können, mußte ich ſie hinhalten: „Na, alter Freund, das geht hier luſtig zu!“ „Ja, ſagen Sie mal, Herr Aſſeſſor! So was hat der Vogelſang gewiß noch nicht erlebt. Zu ſo was gehörte einzig und allein unſere ſelige

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/277>, abgerufen am 22.11.2024.