Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

hätte, was sich vor Wehmuth und Gift umwenden
könnte! Als ob ich allein in diesem Juchhe an
meinen Thränen versticken müßte! Gehen Sie mal
weg, Mamsell Luftspringersche -- da schleppt sich,
wahrhaftigen Gottes, die Bande aus dem Hunger¬
winkel mit meinem -- mit der seligen Frau Doktern
Küchenschrank, als wenn ich nicht jetzt noch den
Schlüssel dazu in der Tasche hätte! Nach dem soll
mir aber wer kommen! Die guten Sachen! Und
als ob man selber gar nicht vierzig Jahre lang
damit hantiert hätte und sie kennte! -- Alles wie
vor die Hunde. Wer die besten Zähne hat zuerst
damit dran! -- Oh, die Ruppsäcke! Wie beim jüngsten
Gericht. Jawohl, am jüngsten Gerichtstage, Herr
Andres, da wird auch noch die Frau Mutter gegen
Sie auferstehen und Ihnen sagen, daß Dieses hier
wirklich nicht in der Ordnung ist und nach Menschen¬
ordnung zugeht, nicht wahr, Herr Assessor, nicht wahr,
Frau Assessorn?"

Sie stand ihm jetzt dicht, Nase gegen Nase,
gegenüber, dem Liebling des Vogelsangs, den sie
voreinst auf den Armen getragen, dessen Mutter sie
zu Tode gewartet hatte und der ihr nun Solches
anthat. Giftig bohrten ihre Augen in seine ruhigen,
freundlichen. Die Fäuste zitterten und zuckten ihr,
wie vor dem Zuschlagen. --

hätte, was ſich vor Wehmuth und Gift umwenden
könnte! Als ob ich allein in dieſem Juchhe an
meinen Thränen verſticken müßte! Gehen Sie mal
weg, Mamſell Luftſpringerſche — da ſchleppt ſich,
wahrhaftigen Gottes, die Bande aus dem Hunger¬
winkel mit meinem — mit der ſeligen Frau Doktern
Küchenſchrank, als wenn ich nicht jetzt noch den
Schlüſſel dazu in der Taſche hätte! Nach dem ſoll
mir aber wer kommen! Die guten Sachen! Und
als ob man ſelber gar nicht vierzig Jahre lang
damit hantiert hätte und ſie kennte! — Alles wie
vor die Hunde. Wer die beſten Zähne hat zuerſt
damit dran! — Oh, die Ruppſäcke! Wie beim jüngſten
Gericht. Jawohl, am jüngſten Gerichtstage, Herr
Andres, da wird auch noch die Frau Mutter gegen
Sie auferſtehen und Ihnen ſagen, daß Dieſes hier
wirklich nicht in der Ordnung iſt und nach Menſchen¬
ordnung zugeht, nicht wahr, Herr Aſſeſſor, nicht wahr,
Frau Aſſeſſorn?“

Sie ſtand ihm jetzt dicht, Naſe gegen Naſe,
gegenüber, dem Liebling des Vogelſangs, den ſie
voreinſt auf den Armen getragen, deſſen Mutter ſie
zu Tode gewartet hatte und der ihr nun Solches
anthat. Giftig bohrten ihre Augen in ſeine ruhigen,
freundlichen. Die Fäuſte zitterten und zuckten ihr,
wie vor dem Zuſchlagen. —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0282" n="272"/>
hätte, was &#x017F;ich vor Wehmuth und Gift umwenden<lb/>
könnte! Als ob ich allein in die&#x017F;em Juchhe an<lb/>
meinen Thränen ver&#x017F;ticken müßte! Gehen Sie mal<lb/>
weg, Mam&#x017F;ell Luft&#x017F;pringer&#x017F;che &#x2014; da &#x017F;chleppt &#x017F;ich,<lb/>
wahrhaftigen Gottes, die Bande aus dem Hunger¬<lb/>
winkel mit meinem &#x2014; mit der &#x017F;eligen Frau Doktern<lb/>
Küchen&#x017F;chrank, als wenn ich nicht jetzt noch den<lb/>
Schlü&#x017F;&#x017F;el dazu in der Ta&#x017F;che hätte! Nach dem &#x017F;oll<lb/>
mir aber wer kommen! Die guten Sachen! Und<lb/>
als ob man &#x017F;elber gar nicht vierzig Jahre lang<lb/>
damit hantiert hätte und &#x017F;ie kennte! &#x2014; Alles wie<lb/>
vor die Hunde. Wer die be&#x017F;ten Zähne hat zuer&#x017F;t<lb/>
damit dran! &#x2014; Oh, die Rupp&#x017F;äcke! Wie beim jüng&#x017F;ten<lb/>
Gericht. Jawohl, am jüng&#x017F;ten Gerichtstage, Herr<lb/>
Andres, da wird auch noch die Frau Mutter gegen<lb/>
Sie aufer&#x017F;tehen und Ihnen &#x017F;agen, daß Die&#x017F;es hier<lb/>
wirklich nicht in der Ordnung i&#x017F;t und nach Men&#x017F;chen¬<lb/>
ordnung zugeht, nicht wahr, Herr A&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;or, nicht wahr,<lb/>
Frau A&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;orn?&#x201C;</p><lb/>
      <p>Sie &#x017F;tand ihm jetzt dicht, Na&#x017F;e gegen Na&#x017F;e,<lb/>
gegenüber, dem Liebling des Vogel&#x017F;angs, den &#x017F;ie<lb/>
vorein&#x017F;t auf den Armen getragen, de&#x017F;&#x017F;en Mutter &#x017F;ie<lb/>
zu Tode gewartet hatte und der ihr nun Solches<lb/>
anthat. Giftig bohrten ihre Augen in &#x017F;eine ruhigen,<lb/>
freundlichen. Die Fäu&#x017F;te zitterten und zuckten ihr,<lb/>
wie vor dem Zu&#x017F;chlagen. &#x2014;</p><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0282] hätte, was ſich vor Wehmuth und Gift umwenden könnte! Als ob ich allein in dieſem Juchhe an meinen Thränen verſticken müßte! Gehen Sie mal weg, Mamſell Luftſpringerſche — da ſchleppt ſich, wahrhaftigen Gottes, die Bande aus dem Hunger¬ winkel mit meinem — mit der ſeligen Frau Doktern Küchenſchrank, als wenn ich nicht jetzt noch den Schlüſſel dazu in der Taſche hätte! Nach dem ſoll mir aber wer kommen! Die guten Sachen! Und als ob man ſelber gar nicht vierzig Jahre lang damit hantiert hätte und ſie kennte! — Alles wie vor die Hunde. Wer die beſten Zähne hat zuerſt damit dran! — Oh, die Ruppſäcke! Wie beim jüngſten Gericht. Jawohl, am jüngſten Gerichtstage, Herr Andres, da wird auch noch die Frau Mutter gegen Sie auferſtehen und Ihnen ſagen, daß Dieſes hier wirklich nicht in der Ordnung iſt und nach Menſchen¬ ordnung zugeht, nicht wahr, Herr Aſſeſſor, nicht wahr, Frau Aſſeſſorn?“ Sie ſtand ihm jetzt dicht, Naſe gegen Naſe, gegenüber, dem Liebling des Vogelſangs, den ſie voreinſt auf den Armen getragen, deſſen Mutter ſie zu Tode gewartet hatte und der ihr nun Solches anthat. Giftig bohrten ihre Augen in ſeine ruhigen, freundlichen. Die Fäuſte zitterten und zuckten ihr, wie vor dem Zuſchlagen. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/282
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/282>, abgerufen am 22.11.2024.