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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Semester in Wittenberg studirt, ehe ich zu den Anthro¬
poiden ging. Mein Herr, Ihr Ruf ist während der
letzten Wochen auch zu uns, und also auch zu mir ge¬
drungen; ich habe dann und wann mit Interesse ein
Stündchen mit vor Ihrem Ofen gesessen. Siehe da,
habe ich mir gesagt, auch einmal wieder Einer, der
aus seiner Haut steigt, während die Übrigen nur
daraus fahren möchten! Mein Herr, ich wünsche
einen recht guten Abend und nicht bloß für den
heutigen Tag."

"Mein Herr," rief aber jetzt Velten Andres, der
seinen unheimlichen Wandnachbar aus dem Theatre-
Variete mit immer steigendem Erstaunen hatte reden
lassen, "mein Herr, nun bitte ich doch, mir genauer
zu sagen, mit wem ich eigentlich die Ehre habe --"

"Mit Einem vom nächsten Ast, mein Herr. Vom
nächsten Ast im Baum Yggdrasil. Man kann sich
auf mehr als eine Art und Weise dran und drin
verklettern, mein Herr. Mit unseren Personal¬
bezüglichkeiten dürfen wir uns wohl gegenseitig ver¬
schonen. Auf bürgerlich festen Boden hilft wohl
Keiner dem Andern wieder hinunter; aber reichen wir
uns wenigstens die Hände von Zweig zu Zweig.
Mein Herr, ich danke Ihnen."

Wofür er dankte, sagte er weiter nicht. Meine
Frau hat es nie begriffen, ich aber habe mir auch

Semeſter in Wittenberg ſtudirt, ehe ich zu den Anthro¬
poiden ging. Mein Herr, Ihr Ruf iſt während der
letzten Wochen auch zu uns, und alſo auch zu mir ge¬
drungen; ich habe dann und wann mit Intereſſe ein
Stündchen mit vor Ihrem Ofen geſeſſen. Siehe da,
habe ich mir geſagt, auch einmal wieder Einer, der
aus ſeiner Haut ſteigt, während die Übrigen nur
daraus fahren möchten! Mein Herr, ich wünſche
einen recht guten Abend und nicht bloß für den
heutigen Tag.“

„Mein Herr,“ rief aber jetzt Velten Andres, der
ſeinen unheimlichen Wandnachbar aus dem Theatre-
Variété mit immer ſteigendem Erſtaunen hatte reden
laſſen, „mein Herr, nun bitte ich doch, mir genauer
zu ſagen, mit wem ich eigentlich die Ehre habe —“

„Mit Einem vom nächſten Aſt, mein Herr. Vom
nächſten Aſt im Baum Yggdraſil. Man kann ſich
auf mehr als eine Art und Weiſe dran und drin
verklettern, mein Herr. Mit unſeren Perſonal¬
bezüglichkeiten dürfen wir uns wohl gegenſeitig ver¬
ſchonen. Auf bürgerlich feſten Boden hilft wohl
Keiner dem Andern wieder hinunter; aber reichen wir
uns wenigſtens die Hände von Zweig zu Zweig.
Mein Herr, ich danke Ihnen.“

Wofür er dankte, ſagte er weiter nicht. Meine
Frau hat es nie begriffen, ich aber habe mir auch

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[276/0286] Semeſter in Wittenberg ſtudirt, ehe ich zu den Anthro¬ poiden ging. Mein Herr, Ihr Ruf iſt während der letzten Wochen auch zu uns, und alſo auch zu mir ge¬ drungen; ich habe dann und wann mit Intereſſe ein Stündchen mit vor Ihrem Ofen geſeſſen. Siehe da, habe ich mir geſagt, auch einmal wieder Einer, der aus ſeiner Haut ſteigt, während die Übrigen nur daraus fahren möchten! Mein Herr, ich wünſche einen recht guten Abend und nicht bloß für den heutigen Tag.“ „Mein Herr,“ rief aber jetzt Velten Andres, der ſeinen unheimlichen Wandnachbar aus dem Theatre- Variété mit immer ſteigendem Erſtaunen hatte reden laſſen, „mein Herr, nun bitte ich doch, mir genauer zu ſagen, mit wem ich eigentlich die Ehre habe —“ „Mit Einem vom nächſten Aſt, mein Herr. Vom nächſten Aſt im Baum Yggdraſil. Man kann ſich auf mehr als eine Art und Weiſe dran und drin verklettern, mein Herr. Mit unſeren Perſonal¬ bezüglichkeiten dürfen wir uns wohl gegenſeitig ver¬ ſchonen. Auf bürgerlich feſten Boden hilft wohl Keiner dem Andern wieder hinunter; aber reichen wir uns wenigſtens die Hände von Zweig zu Zweig. Mein Herr, ich danke Ihnen.“ Wofür er dankte, ſagte er weiter nicht. Meine Frau hat es nie begriffen, ich aber habe mir auch

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/286>, abgerufen am 22.11.2024.