Semester in Wittenberg studirt, ehe ich zu den Anthro¬ poiden ging. Mein Herr, Ihr Ruf ist während der letzten Wochen auch zu uns, und also auch zu mir ge¬ drungen; ich habe dann und wann mit Interesse ein Stündchen mit vor Ihrem Ofen gesessen. Siehe da, habe ich mir gesagt, auch einmal wieder Einer, der aus seiner Haut steigt, während die Übrigen nur daraus fahren möchten! Mein Herr, ich wünsche einen recht guten Abend und nicht bloß für den heutigen Tag."
"Mein Herr," rief aber jetzt Velten Andres, der seinen unheimlichen Wandnachbar aus dem Theatre- Variete mit immer steigendem Erstaunen hatte reden lassen, "mein Herr, nun bitte ich doch, mir genauer zu sagen, mit wem ich eigentlich die Ehre habe --"
"Mit Einem vom nächsten Ast, mein Herr. Vom nächsten Ast im Baum Yggdrasil. Man kann sich auf mehr als eine Art und Weise dran und drin verklettern, mein Herr. Mit unseren Personal¬ bezüglichkeiten dürfen wir uns wohl gegenseitig ver¬ schonen. Auf bürgerlich festen Boden hilft wohl Keiner dem Andern wieder hinunter; aber reichen wir uns wenigstens die Hände von Zweig zu Zweig. Mein Herr, ich danke Ihnen."
Wofür er dankte, sagte er weiter nicht. Meine Frau hat es nie begriffen, ich aber habe mir auch
Semeſter in Wittenberg ſtudirt, ehe ich zu den Anthro¬ poiden ging. Mein Herr, Ihr Ruf iſt während der letzten Wochen auch zu uns, und alſo auch zu mir ge¬ drungen; ich habe dann und wann mit Intereſſe ein Stündchen mit vor Ihrem Ofen geſeſſen. Siehe da, habe ich mir geſagt, auch einmal wieder Einer, der aus ſeiner Haut ſteigt, während die Übrigen nur daraus fahren möchten! Mein Herr, ich wünſche einen recht guten Abend und nicht bloß für den heutigen Tag.“
„Mein Herr,“ rief aber jetzt Velten Andres, der ſeinen unheimlichen Wandnachbar aus dem Theatre- Variété mit immer ſteigendem Erſtaunen hatte reden laſſen, „mein Herr, nun bitte ich doch, mir genauer zu ſagen, mit wem ich eigentlich die Ehre habe —“
„Mit Einem vom nächſten Aſt, mein Herr. Vom nächſten Aſt im Baum Yggdraſil. Man kann ſich auf mehr als eine Art und Weiſe dran und drin verklettern, mein Herr. Mit unſeren Perſonal¬ bezüglichkeiten dürfen wir uns wohl gegenſeitig ver¬ ſchonen. Auf bürgerlich feſten Boden hilft wohl Keiner dem Andern wieder hinunter; aber reichen wir uns wenigſtens die Hände von Zweig zu Zweig. Mein Herr, ich danke Ihnen.“
Wofür er dankte, ſagte er weiter nicht. Meine Frau hat es nie begriffen, ich aber habe mir auch
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0286"n="276"/>
Semeſter in Wittenberg ſtudirt, ehe ich zu den Anthro¬<lb/>
poiden ging. Mein Herr, Ihr Ruf iſt während der<lb/>
letzten Wochen auch zu uns, und alſo auch zu mir ge¬<lb/>
drungen; ich habe dann und wann mit Intereſſe ein<lb/>
Stündchen mit vor Ihrem Ofen geſeſſen. Siehe da,<lb/>
habe ich mir geſagt, auch einmal wieder Einer, der<lb/>
aus ſeiner Haut ſteigt, während die Übrigen nur<lb/>
daraus fahren möchten! Mein Herr, ich wünſche<lb/>
einen recht guten Abend und nicht bloß für den<lb/>
heutigen Tag.“</p><lb/><p>„Mein Herr,“ rief aber jetzt Velten Andres, der<lb/>ſeinen unheimlichen Wandnachbar aus dem Theatre-<lb/>
Vari<hirendition="#aq">é</hi>t<hirendition="#aq">é</hi> mit immer ſteigendem Erſtaunen hatte reden<lb/>
laſſen, „mein Herr, nun bitte ich doch, mir genauer<lb/>
zu ſagen, mit wem ich eigentlich die Ehre habe —“</p><lb/><p>„Mit Einem vom nächſten Aſt, mein Herr. Vom<lb/>
nächſten Aſt im Baum Yggdraſil. Man kann ſich<lb/>
auf mehr als eine Art und Weiſe dran und drin<lb/>
verklettern, mein Herr. Mit unſeren Perſonal¬<lb/>
bezüglichkeiten dürfen wir uns wohl gegenſeitig ver¬<lb/>ſchonen. Auf bürgerlich feſten Boden hilft wohl<lb/>
Keiner dem Andern wieder hinunter; aber reichen wir<lb/>
uns wenigſtens die Hände von Zweig zu Zweig.<lb/>
Mein Herr, ich danke Ihnen.“</p><lb/><p>Wofür er dankte, ſagte er weiter nicht. Meine<lb/>
Frau hat es nie begriffen, ich aber habe mir auch<lb/></p></body></text></TEI>
[276/0286]
Semeſter in Wittenberg ſtudirt, ehe ich zu den Anthro¬
poiden ging. Mein Herr, Ihr Ruf iſt während der
letzten Wochen auch zu uns, und alſo auch zu mir ge¬
drungen; ich habe dann und wann mit Intereſſe ein
Stündchen mit vor Ihrem Ofen geſeſſen. Siehe da,
habe ich mir geſagt, auch einmal wieder Einer, der
aus ſeiner Haut ſteigt, während die Übrigen nur
daraus fahren möchten! Mein Herr, ich wünſche
einen recht guten Abend und nicht bloß für den
heutigen Tag.“
„Mein Herr,“ rief aber jetzt Velten Andres, der
ſeinen unheimlichen Wandnachbar aus dem Theatre-
Variété mit immer ſteigendem Erſtaunen hatte reden
laſſen, „mein Herr, nun bitte ich doch, mir genauer
zu ſagen, mit wem ich eigentlich die Ehre habe —“
„Mit Einem vom nächſten Aſt, mein Herr. Vom
nächſten Aſt im Baum Yggdraſil. Man kann ſich
auf mehr als eine Art und Weiſe dran und drin
verklettern, mein Herr. Mit unſeren Perſonal¬
bezüglichkeiten dürfen wir uns wohl gegenſeitig ver¬
ſchonen. Auf bürgerlich feſten Boden hilft wohl
Keiner dem Andern wieder hinunter; aber reichen wir
uns wenigſtens die Hände von Zweig zu Zweig.
Mein Herr, ich danke Ihnen.“
Wofür er dankte, ſagte er weiter nicht. Meine
Frau hat es nie begriffen, ich aber habe mir auch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/286>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.