Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

tausendfachem Tand in dieser Mottenwelt uns dränget.
Die Luft entging mir, und es war mir eine Er¬
lösung aus traumhaft wüstem Bann, als mich doch
noch eine Menschenstimme ansprach, und die Freundin,
unsere Freundin, sagte:

"Laß uns niedersitzen, lieber Karl;" und mit
hartem Lächeln hinzufügte: "erzählend trübe Mär
vom Tod der Könige."

Sie sprach das Dichterwort englisch: "Let us
sit upon the ground, and tell sad stories of the
death of kings,"
und als ich nach dem Stuhl griff,
ließ sie sich wieder auf der eisernen Bettstatt nieder,
von der sie sich bei meinem Eintritt erhoben hatte,
und deutete auf den Platz ihr zur Seite:

"Dahin, mein Freund! Erinnerst Du Dich wohl
noch der Bank auf dem Osterberge, von welcher aus
wir vor hundert Jahren einmal die Sterne fallen
sahen und die Götter versuchten, indem wir unsere
Wünsche und Hoffnungen damit verknüpften?"

Sie wartete meine Antwort nicht ab, sondern
fuhr hastig fort, als fürchte sie sogar, durch eine
Zwischenrede in ihrem wilden Drange, ihrer Seele
Luft zu machen, aufgehalten zu werden:

"Seht," (sie sprach, als ob Velten noch wie
damals zwischen uns sitze), "ich hätte mir lieber die
Zunge abgebissen, als ganz wahr davon gesprochen,

20 *

tauſendfachem Tand in dieſer Mottenwelt uns dränget.
Die Luft entging mir, und es war mir eine Er¬
löſung aus traumhaft wüſtem Bann, als mich doch
noch eine Menſchenſtimme anſprach, und die Freundin,
unſere Freundin, ſagte:

„Laß uns niederſitzen, lieber Karl;“ und mit
hartem Lächeln hinzufügte: „erzählend trübe Mär
vom Tod der Könige.“

Sie ſprach das Dichterwort engliſch: „Let us
sit upon the ground, and tell sad stories of the
death of kings,“
und als ich nach dem Stuhl griff,
ließ ſie ſich wieder auf der eiſernen Bettſtatt nieder,
von der ſie ſich bei meinem Eintritt erhoben hatte,
und deutete auf den Platz ihr zur Seite:

„Dahin, mein Freund! Erinnerſt Du Dich wohl
noch der Bank auf dem Oſterberge, von welcher aus
wir vor hundert Jahren einmal die Sterne fallen
ſahen und die Götter verſuchten, indem wir unſere
Wünſche und Hoffnungen damit verknüpften?“

Sie wartete meine Antwort nicht ab, ſondern
fuhr haſtig fort, als fürchte ſie ſogar, durch eine
Zwiſchenrede in ihrem wilden Drange, ihrer Seele
Luft zu machen, aufgehalten zu werden:

„Seht,“ (ſie ſprach, als ob Velten noch wie
damals zwiſchen uns ſitze), „ich hätte mir lieber die
Zunge abgebiſſen, als ganz wahr davon geſprochen,

20 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0317" n="307"/>
tau&#x017F;endfachem Tand in die&#x017F;er Mottenwelt uns dränget.<lb/>
Die Luft entging mir, und es war mir eine Er¬<lb/>&#x017F;ung aus traumhaft wü&#x017F;tem Bann, als mich doch<lb/>
noch eine Men&#x017F;chen&#x017F;timme an&#x017F;prach, und die Freundin,<lb/>
un&#x017F;ere Freundin, &#x017F;agte:</p><lb/>
      <p>&#x201E;Laß uns nieder&#x017F;itzen, lieber Karl;&#x201C; und mit<lb/>
hartem Lächeln hinzufügte: &#x201E;erzählend trübe Mär<lb/>
vom Tod der Könige.&#x201C;</p><lb/>
      <p>Sie &#x017F;prach das Dichterwort engli&#x017F;ch: <hi rendition="#aq">&#x201E;Let us<lb/>
sit upon the ground, and tell sad stories of the<lb/>
death of kings,&#x201C;</hi> und als ich nach dem Stuhl griff,<lb/>
ließ &#x017F;ie &#x017F;ich wieder auf der ei&#x017F;ernen Bett&#x017F;tatt nieder,<lb/>
von der &#x017F;ie &#x017F;ich bei meinem Eintritt erhoben hatte,<lb/>
und deutete auf den Platz ihr zur Seite:</p><lb/>
      <p>&#x201E;Dahin, mein Freund! Erinner&#x017F;t Du Dich wohl<lb/>
noch der Bank auf dem O&#x017F;terberge, von welcher aus<lb/>
wir vor hundert Jahren einmal die Sterne fallen<lb/>
&#x017F;ahen und die Götter ver&#x017F;uchten, indem wir un&#x017F;ere<lb/>
Wün&#x017F;che und Hoffnungen damit verknüpften?&#x201C;</p><lb/>
      <p>Sie wartete meine Antwort nicht ab, &#x017F;ondern<lb/>
fuhr ha&#x017F;tig fort, als fürchte &#x017F;ie &#x017F;ogar, durch eine<lb/>
Zwi&#x017F;chenrede in ihrem wilden Drange, ihrer Seele<lb/>
Luft zu machen, aufgehalten zu werden:</p><lb/>
      <p>&#x201E;Seht,&#x201C; (&#x017F;ie &#x017F;prach, als ob Velten noch wie<lb/>
damals zwi&#x017F;chen uns &#x017F;itze), &#x201E;ich hätte mir lieber die<lb/>
Zunge abgebi&#x017F;&#x017F;en, als ganz wahr davon ge&#x017F;prochen,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">20 *<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[307/0317] tauſendfachem Tand in dieſer Mottenwelt uns dränget. Die Luft entging mir, und es war mir eine Er¬ löſung aus traumhaft wüſtem Bann, als mich doch noch eine Menſchenſtimme anſprach, und die Freundin, unſere Freundin, ſagte: „Laß uns niederſitzen, lieber Karl;“ und mit hartem Lächeln hinzufügte: „erzählend trübe Mär vom Tod der Könige.“ Sie ſprach das Dichterwort engliſch: „Let us sit upon the ground, and tell sad stories of the death of kings,“ und als ich nach dem Stuhl griff, ließ ſie ſich wieder auf der eiſernen Bettſtatt nieder, von der ſie ſich bei meinem Eintritt erhoben hatte, und deutete auf den Platz ihr zur Seite: „Dahin, mein Freund! Erinnerſt Du Dich wohl noch der Bank auf dem Oſterberge, von welcher aus wir vor hundert Jahren einmal die Sterne fallen ſahen und die Götter verſuchten, indem wir unſere Wünſche und Hoffnungen damit verknüpften?“ Sie wartete meine Antwort nicht ab, ſondern fuhr haſtig fort, als fürchte ſie ſogar, durch eine Zwiſchenrede in ihrem wilden Drange, ihrer Seele Luft zu machen, aufgehalten zu werden: „Seht,“ (ſie ſprach, als ob Velten noch wie damals zwiſchen uns ſitze), „ich hätte mir lieber die Zunge abgebiſſen, als ganz wahr davon geſprochen, 20 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/317
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/317>, abgerufen am 23.11.2024.