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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Wand, auf die letzte Spur von Velten Andres'
Erdenwanderschaft; dann nahm sie das Gesicht in
beide Hände und senkte das Haupt tiefer, und ein
Frostschauer schien ihr über den Nacken zu laufen.
Nun griff sie nach meiner Hand und drückte sie zu¬
sammen, daß sie schmerzte:

"Sprich nicht zu mir, Karl! Was könntest Du
sagen? Laß mich sprechen! Wen habe ich denn auf
der ganzen weiten Erde, zu dem ich von mir reden
könnte? Ich, die ich die ganze weite Erde zum Eigen¬
thum habe und nur die mit Gold gefüllte Hand
hinzuhalten brauche, um meinen Willen zu haben,
wie ich ihn auf dem Osterberg in mein Herz desto
zorniger verschloß, weil ihr schon zuviel davon wußtet!
Wäre ich doch wie Andere, die sich damit trösten
können und es auch thun, daß sie verkauft worden
seien, daß es von Vater und Mutter her sei, wenn
sie gleich wie Andere auf dem Markte der Welt eine
Waare gewesen sind! Aber das wäre eine Lüge,
und gelogen habe ich nie, und feige bin ich auch
nicht, und wenn er was von mir wußte, war es
das. Was ich geworden bin, ist aus mir selber,
nicht von meiner armen Mutter her und noch weniger
von meinem Vater. In unserm Vogelsang unter
unserm Osterberge war ich dieselbe, die ich jetzt war,
wo ich hier lag vor diesem Bett und ihn mit meinen

Wand, auf die letzte Spur von Velten Andres'
Erdenwanderſchaft; dann nahm ſie das Geſicht in
beide Hände und ſenkte das Haupt tiefer, und ein
Froſtſchauer ſchien ihr über den Nacken zu laufen.
Nun griff ſie nach meiner Hand und drückte ſie zu¬
ſammen, daß ſie ſchmerzte:

„Sprich nicht zu mir, Karl! Was könnteſt Du
ſagen? Laß mich ſprechen! Wen habe ich denn auf
der ganzen weiten Erde, zu dem ich von mir reden
könnte? Ich, die ich die ganze weite Erde zum Eigen¬
thum habe und nur die mit Gold gefüllte Hand
hinzuhalten brauche, um meinen Willen zu haben,
wie ich ihn auf dem Oſterberg in mein Herz deſto
zorniger verſchloß, weil ihr ſchon zuviel davon wußtet!
Wäre ich doch wie Andere, die ſich damit tröſten
können und es auch thun, daß ſie verkauft worden
ſeien, daß es von Vater und Mutter her ſei, wenn
ſie gleich wie Andere auf dem Markte der Welt eine
Waare geweſen ſind! Aber das wäre eine Lüge,
und gelogen habe ich nie, und feige bin ich auch
nicht, und wenn er was von mir wußte, war es
das. Was ich geworden bin, iſt aus mir ſelber,
nicht von meiner armen Mutter her und noch weniger
von meinem Vater. In unſerm Vogelſang unter
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[309/0319] Wand, auf die letzte Spur von Velten Andres' Erdenwanderſchaft; dann nahm ſie das Geſicht in beide Hände und ſenkte das Haupt tiefer, und ein Froſtſchauer ſchien ihr über den Nacken zu laufen. Nun griff ſie nach meiner Hand und drückte ſie zu¬ ſammen, daß ſie ſchmerzte: „Sprich nicht zu mir, Karl! Was könnteſt Du ſagen? Laß mich ſprechen! Wen habe ich denn auf der ganzen weiten Erde, zu dem ich von mir reden könnte? Ich, die ich die ganze weite Erde zum Eigen¬ thum habe und nur die mit Gold gefüllte Hand hinzuhalten brauche, um meinen Willen zu haben, wie ich ihn auf dem Oſterberg in mein Herz deſto zorniger verſchloß, weil ihr ſchon zuviel davon wußtet! Wäre ich doch wie Andere, die ſich damit tröſten können und es auch thun, daß ſie verkauft worden ſeien, daß es von Vater und Mutter her ſei, wenn ſie gleich wie Andere auf dem Markte der Welt eine Waare geweſen ſind! Aber das wäre eine Lüge, und gelogen habe ich nie, und feige bin ich auch nicht, und wenn er was von mir wußte, war es das. Was ich geworden bin, iſt aus mir ſelber, nicht von meiner armen Mutter her und noch weniger von meinem Vater. In unſerm Vogelſang unter unſerm Oſterberge war ich dieſelbe, die ich jetzt war, wo ich hier lag vor dieſem Bett und ihn mit meinen

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/319>, abgerufen am 23.11.2024.