Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.vollständig im Grün, und eine lebendige Hecke ging Und dann -- Dort vor dem Thor lag eine Sphinx, Ein Zwitter von Schrecken und Lüsten, Der Leib und die Tatzen wie ein Löw', Ein Weib an Haupt und Brüsten. Und dann -- Die Nachtigal sang: O schöne Sphinx! O Liebe! was soll es bedeuten, Daß Du vermischest mit Todesqual All' Deine Seligkeiten? Und wenn sich alle Schulmeister der Welt auf vollſtändig im Grün, und eine lebendige Hecke ging Und dann — Dort vor dem Thor lag eine Sphinx, Ein Zwitter von Schrecken und Lüſten, Der Leib und die Tatzen wie ein Löw', Ein Weib an Haupt und Brüſten. Und dann — Die Nachtigal ſang: O ſchöne Sphinx! O Liebe! was ſoll es bedeuten, Daß Du vermiſcheſt mit Todesqual All' Deine Seligkeiten? Und wenn ſich alle Schulmeiſter der Welt auf <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0056" n="46"/> vollſtändig im Grün, und eine lebendige Hecke ging<lb/> um ihn her. Hohe Bäume überſchatteten ihn und<lb/> die Vögel ſangen da noch — auch die Nachtigal zu<lb/> ihrer Zeit, und hier war's, wo wir, wenn uns der<lb/> Weg zum Walde hinauf zu ſonnig war, nicht Schiller<lb/> und Goethe (die hingen uns von der Schule her<lb/> aus dem Halſe, wie Velten ſich ausdrückte) ſondern<lb/> Alexander Dumas den Vater laſen und mit ſeinen<lb/> drei Musketieren, wie er, die Welt eroberten.<lb/></p> <p>Und dann —</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Dort vor dem Thor lag eine Sphinx,</l><lb/> <l>Ein Zwitter von Schrecken und Lüſten,</l><lb/> <l>Der Leib und die Tatzen wie ein Löw',</l><lb/> <l>Ein Weib an Haupt und Brüſten.</l><lb/> </lg> <p>Und dann —</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Die Nachtigal ſang: O ſchöne Sphinx!</l><lb/> <l>O Liebe! was ſoll es bedeuten,</l><lb/> <l>Daß Du vermiſcheſt mit Todesqual</l><lb/> <l>All' Deine Seligkeiten?</l><lb/> </lg> <p>Und wenn ſich alle Schulmeiſter der Welt auf<lb/> den Kopf ſtellen, oder vielmehr feſt hinſetzen aufs<lb/> Katheder: ſie erobern die Welt zwiſchen dem ſechzehnten<lb/> und zwanzigſten Lebensjahre doch nicht durch moraliſch,<lb/> ethiſch und politiſch gereinigte Anthologien. Der<lb/> „Unſinn“, der Mondenſchein, der „frivole Ungeſchmack“<lb/> und die Nachtigal, der „Blödſinn“, der Lindenduft,<lb/> das ferne Wetterleuchten und die hübſche Jungfer<lb/></p> </body> </text> </TEI> [46/0056]
vollſtändig im Grün, und eine lebendige Hecke ging
um ihn her. Hohe Bäume überſchatteten ihn und
die Vögel ſangen da noch — auch die Nachtigal zu
ihrer Zeit, und hier war's, wo wir, wenn uns der
Weg zum Walde hinauf zu ſonnig war, nicht Schiller
und Goethe (die hingen uns von der Schule her
aus dem Halſe, wie Velten ſich ausdrückte) ſondern
Alexander Dumas den Vater laſen und mit ſeinen
drei Musketieren, wie er, die Welt eroberten.
Und dann —
Dort vor dem Thor lag eine Sphinx,
Ein Zwitter von Schrecken und Lüſten,
Der Leib und die Tatzen wie ein Löw',
Ein Weib an Haupt und Brüſten.
Und dann —
Die Nachtigal ſang: O ſchöne Sphinx!
O Liebe! was ſoll es bedeuten,
Daß Du vermiſcheſt mit Todesqual
All' Deine Seligkeiten?
Und wenn ſich alle Schulmeiſter der Welt auf
den Kopf ſtellen, oder vielmehr feſt hinſetzen aufs
Katheder: ſie erobern die Welt zwiſchen dem ſechzehnten
und zwanzigſten Lebensjahre doch nicht durch moraliſch,
ethiſch und politiſch gereinigte Anthologien. Der
„Unſinn“, der Mondenſchein, der „frivole Ungeſchmack“
und die Nachtigal, der „Blödſinn“, der Lindenduft,
das ferne Wetterleuchten und die hübſche Jungfer
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