Da, greif zu und zieh mir die Kopfhaut ab, Mamsell Squaw, und das übrige Fell meinetwegen mit. Mir liegt nichts dran."
Es war die höchste Zeit, daß ich mich zwischen sie setzte, denn Helenchen war vollkommen bereit, von der Erlaubniß, die ihr da eben gegeben wurde, Gebrauch zu machen. Ihr bester Kamerad im Vogel¬ sang hatte ihr wirklich seinen Strubbelkopf zu be¬ liebigem Verfahren hingehalten; nun aber sprang sie doch nur auf von der Bank und stand vor uns am Rande des Osterberges und streckte uns die Faust zu und schnuckte und schluchzte zwischen den zusammen¬ geklemmten Zähnen durch:
"Und ich glaube doch an meinen Vater! Ihr mögt alle sagen, was ihr wollt. Ihr könnt die Nasen verziehen und rümpfen, ihr könnt den Kopf schütteln und ihr könnt meiner Mama Sottisen sagen, wie ihr wollt: ich glaube ihr doch, meiner Mama! Ich glaube doch an meinen armen Vater, er mag sein wie er will! Und was könnt ihr hier im Vogelsang von ihm wissen? Ich, die ich als bloßes Wickelkind hierhergebracht worden bin, weiß doch noch mehr von der wirklichen Welt als ihr alle -- Deine Mutter ausgenommen, Velten. Aber die ist auch eine Märchenkönigin -- eine viel höhere als die da unten, die kleine Durchlaucht da in ihrem
Da, greif zu und zieh mir die Kopfhaut ab, Mamſell Squaw, und das übrige Fell meinetwegen mit. Mir liegt nichts dran.“
Es war die höchſte Zeit, daß ich mich zwiſchen ſie ſetzte, denn Helenchen war vollkommen bereit, von der Erlaubniß, die ihr da eben gegeben wurde, Gebrauch zu machen. Ihr beſter Kamerad im Vogel¬ ſang hatte ihr wirklich ſeinen Strubbelkopf zu be¬ liebigem Verfahren hingehalten; nun aber ſprang ſie doch nur auf von der Bank und ſtand vor uns am Rande des Oſterberges und ſtreckte uns die Fauſt zu und ſchnuckte und ſchluchzte zwiſchen den zuſammen¬ geklemmten Zähnen durch:
„Und ich glaube doch an meinen Vater! Ihr mögt alle ſagen, was ihr wollt. Ihr könnt die Naſen verziehen und rümpfen, ihr könnt den Kopf ſchütteln und ihr könnt meiner Mama Sottiſen ſagen, wie ihr wollt: ich glaube ihr doch, meiner Mama! Ich glaube doch an meinen armen Vater, er mag ſein wie er will! Und was könnt ihr hier im Vogelſang von ihm wiſſen? Ich, die ich als bloßes Wickelkind hierhergebracht worden bin, weiß doch noch mehr von der wirklichen Welt als ihr alle — Deine Mutter ausgenommen, Velten. Aber die iſt auch eine Märchenkönigin — eine viel höhere als die da unten, die kleine Durchlaucht da in ihrem
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0081"n="71"/>
Da, greif zu und zieh mir die Kopfhaut ab, Mamſell<lb/>
Squaw, und das übrige Fell meinetwegen mit. Mir<lb/>
liegt nichts dran.“</p><lb/><p>Es war die höchſte Zeit, daß ich mich zwiſchen<lb/>ſie ſetzte, denn Helenchen war vollkommen bereit,<lb/>
von der Erlaubniß, die ihr da eben gegeben wurde,<lb/>
Gebrauch zu machen. Ihr beſter Kamerad im Vogel¬<lb/>ſang hatte ihr wirklich ſeinen Strubbelkopf zu be¬<lb/>
liebigem Verfahren hingehalten; nun aber ſprang<lb/>ſie doch nur auf von der Bank und ſtand vor uns<lb/>
am Rande des Oſterberges und ſtreckte uns die Fauſt<lb/>
zu und ſchnuckte und ſchluchzte zwiſchen den zuſammen¬<lb/>
geklemmten Zähnen durch:</p><lb/><p>„Und ich glaube doch an meinen Vater! Ihr<lb/>
mögt alle ſagen, was ihr wollt. Ihr könnt die<lb/>
Naſen verziehen und rümpfen, ihr könnt den Kopf<lb/>ſchütteln und ihr könnt meiner Mama Sottiſen<lb/>ſagen, wie ihr wollt: ich glaube ihr doch, meiner<lb/>
Mama! Ich glaube doch an meinen armen Vater,<lb/>
er mag ſein wie er will! Und was könnt ihr hier<lb/>
im Vogelſang von ihm wiſſen? Ich, die ich als<lb/>
bloßes Wickelkind hierhergebracht worden bin, weiß<lb/>
doch noch mehr von der wirklichen Welt als ihr<lb/>
alle — Deine Mutter ausgenommen, Velten. Aber<lb/>
die iſt auch eine Märchenkönigin — eine viel höhere<lb/>
als die da unten, die kleine Durchlaucht da in ihrem<lb/></p></body></text></TEI>
[71/0081]
Da, greif zu und zieh mir die Kopfhaut ab, Mamſell
Squaw, und das übrige Fell meinetwegen mit. Mir
liegt nichts dran.“
Es war die höchſte Zeit, daß ich mich zwiſchen
ſie ſetzte, denn Helenchen war vollkommen bereit,
von der Erlaubniß, die ihr da eben gegeben wurde,
Gebrauch zu machen. Ihr beſter Kamerad im Vogel¬
ſang hatte ihr wirklich ſeinen Strubbelkopf zu be¬
liebigem Verfahren hingehalten; nun aber ſprang
ſie doch nur auf von der Bank und ſtand vor uns
am Rande des Oſterberges und ſtreckte uns die Fauſt
zu und ſchnuckte und ſchluchzte zwiſchen den zuſammen¬
geklemmten Zähnen durch:
„Und ich glaube doch an meinen Vater! Ihr
mögt alle ſagen, was ihr wollt. Ihr könnt die
Naſen verziehen und rümpfen, ihr könnt den Kopf
ſchütteln und ihr könnt meiner Mama Sottiſen
ſagen, wie ihr wollt: ich glaube ihr doch, meiner
Mama! Ich glaube doch an meinen armen Vater,
er mag ſein wie er will! Und was könnt ihr hier
im Vogelſang von ihm wiſſen? Ich, die ich als
bloßes Wickelkind hierhergebracht worden bin, weiß
doch noch mehr von der wirklichen Welt als ihr
alle — Deine Mutter ausgenommen, Velten. Aber
die iſt auch eine Märchenkönigin — eine viel höhere
als die da unten, die kleine Durchlaucht da in ihrem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/81>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.