"Ich habe mich dieser Tage mit dem heiligen Bernhard beschäftigt und mich sehr über diese Bekannt¬ schaft gefreut; es möchte schwer sein, in der Geschichte einen zweiten so weltklugen geistlichen Schuft aufzu¬ treiben, der zugleich in einem so trefflichen Elemente sich befände, um eine würdige Rolle zu spielen. Er war das Orakel seiner Zeit und beherrschte sie, ob er gleich und eben darum weil er bloß ein Privatmann blieb und andere auf dem ersten Posten stehen ließ. Päpste waren seine Schüler und Könige seine Crea¬ turen. Er haßte und unterdrückte nach Vermögen alles Strebende und beförderte die dickste Mönchsdummheit, auch war er selbst nur ein Mönchskopf und besaß nichts als Klugheit und Heucheley; aber es ist eine Freude, ihn verherrlicht zu sehen."
"Zu der Bekanntschaft des heiligen Bernhard gra¬ tulire ich," schreibt Goethe. --
Auf Herrn Heinrich folgte Herr Werner, dann kam Hoiko, dann Eberhard, dann Gottschalk, dann Theodor, dann Arnold, dann Ratherius und so fort eine lange Reihe, deren Namen man wohl noch weiß, aber nicht mehr von ihren Gräberplatten aus Wesersandstein, die zerbröckelt und verstoben sind wie die Gebeine der alten Herren, die unter ihnen zum Ausruhen kamen. Wir nennen von den frommen Vätern, die bis zur Refor¬ mation einander ablösten auf dem Abtsstuhl, nur noch einen, nämlich Herrn Werner den Zweiten von Boden¬ werder. Zehn Schuhe soll der Mann lang gewesen sein:
„Ich habe mich dieſer Tage mit dem heiligen Bernhard beſchäftigt und mich ſehr über dieſe Bekannt¬ ſchaft gefreut; es möchte ſchwer ſein, in der Geſchichte einen zweiten ſo weltklugen geiſtlichen Schuft aufzu¬ treiben, der zugleich in einem ſo trefflichen Elemente ſich befände, um eine würdige Rolle zu ſpielen. Er war das Orakel ſeiner Zeit und beherrſchte ſie, ob er gleich und eben darum weil er bloß ein Privatmann blieb und andere auf dem erſten Poſten ſtehen ließ. Päpſte waren ſeine Schüler und Könige ſeine Crea¬ turen. Er haßte und unterdrückte nach Vermögen alles Strebende und beförderte die dickſte Mönchsdummheit, auch war er ſelbſt nur ein Mönchskopf und beſaß nichts als Klugheit und Heucheley; aber es iſt eine Freude, ihn verherrlicht zu ſehen.“
„Zu der Bekanntſchaft des heiligen Bernhard gra¬ tulire ich,“ ſchreibt Goethe. —
Auf Herrn Heinrich folgte Herr Werner, dann kam Hoiko, dann Eberhard, dann Gottſchalk, dann Theodor, dann Arnold, dann Ratherius und ſo fort eine lange Reihe, deren Namen man wohl noch weiß, aber nicht mehr von ihren Gräberplatten aus Weſerſandſtein, die zerbröckelt und verſtoben ſind wie die Gebeine der alten Herren, die unter ihnen zum Ausruhen kamen. Wir nennen von den frommen Vätern, die bis zur Refor¬ mation einander ablöſten auf dem Abtsſtuhl, nur noch einen, nämlich Herrn Werner den Zweiten von Boden¬ werder. Zehn Schuhe ſoll der Mann lang geweſen ſein:
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„Ich habe mich dieſer Tage mit dem heiligen
Bernhard beſchäftigt und mich ſehr über dieſe Bekannt¬
ſchaft gefreut; es möchte ſchwer ſein, in der Geſchichte
einen zweiten ſo weltklugen geiſtlichen Schuft aufzu¬
treiben, der zugleich in einem ſo trefflichen Elemente
ſich befände, um eine würdige Rolle zu ſpielen. Er
war das Orakel ſeiner Zeit und beherrſchte ſie, ob er
gleich und eben darum weil er bloß ein Privatmann
blieb und andere auf dem erſten Poſten ſtehen ließ.
Päpſte waren ſeine Schüler und Könige ſeine Crea¬
turen. Er haßte und unterdrückte nach Vermögen alles
Strebende und beförderte die dickſte Mönchsdummheit,
auch war er ſelbſt nur ein Mönchskopf und beſaß nichts
als Klugheit und Heucheley; aber es iſt eine Freude,
ihn verherrlicht zu ſehen.“
„Zu der Bekanntſchaft des heiligen Bernhard gra¬
tulire ich,“ ſchreibt Goethe. —
Auf Herrn Heinrich folgte Herr Werner, dann kam
Hoiko, dann Eberhard, dann Gottſchalk, dann Theodor,
dann Arnold, dann Ratherius und ſo fort eine lange
Reihe, deren Namen man wohl noch weiß, aber nicht
mehr von ihren Gräberplatten aus Weſerſandſtein, die
zerbröckelt und verſtoben ſind wie die Gebeine der alten
Herren, die unter ihnen zum Ausruhen kamen. Wir
nennen von den frommen Vätern, die bis zur Refor¬
mation einander ablöſten auf dem Abtsſtuhl, nur noch
einen, nämlich Herrn Werner den Zweiten von Boden¬
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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/13>, abgerufen am 21.11.2024.
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