Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

Clairvaux und seiner Cisterciensermönche war, Keiner
verübeln. Noch dazu, da der Lärm draußen vor seiner
Zellenthür, drunten im Kloster immer ärger, immer
schlimmer, immer entsetzlicher wurde.

"Es zieht o Gott, ein Kriegeswetter
"Jetzt über unser Haupt daher.
"Bist Du nicht unser Schutz und Retter,
"So ist die Plage uns zu schwer.
"Sieh, wie die Fürsten sich entzwein,
"Und sich zu unterdrücken dräun!"

"Krah!" schnarrte es dazwischen, und der unver¬
muthete, gespenstische Ton, so dicht neben ihm, ent¬
wurzelte für den ersten Moment all' seine altrömische
Standhaftigkeit mehr als alles Gelärm von draußen.

"Ah so, Du bist!" sprach er aber schon im nächsten
Augenblick beruhigt. Der Rabe auf dem Bettpfosten
war weniger von dem Kriegsgetöse als von dem Vers
aus dem Braunschweigischen Gesangbuch erweckt wor¬
den, und streckte erst das linke Bein und den linken
Flügel und dann das rechte Bein und den rechten
Flügel weit von sich, wie "ein Mensch beim Auf¬
wachen sich dehnend", und sagte:

"Krah!"

"Ja wohl, guten Morgen. Nun werden wir es
ja wohl an unserm Leibe wie auch an unsern Hab¬
seligkeiten in genauere Erfahrung bringen, was Du
und die Deinigen uns gestern aus der Höhe über dem
Odfelde zu bestellen hatten! Fortiter ille facit, qui
miser esse potest
--

Clairvaux und ſeiner Ciſtercienſermönche war, Keiner
verübeln. Noch dazu, da der Lärm draußen vor ſeiner
Zellenthür, drunten im Kloſter immer ärger, immer
ſchlimmer, immer entſetzlicher wurde.

„Es zieht o Gott, ein Kriegeswetter
„Jetzt über unſer Haupt daher.
„Biſt Du nicht unſer Schutz und Retter,
„So iſt die Plage uns zu ſchwer.
„Sieh, wie die Fürſten ſich entzwein,
„Und ſich zu unterdrücken dräun!“

„Krah!“ ſchnarrte es dazwiſchen, und der unver¬
muthete, geſpenſtiſche Ton, ſo dicht neben ihm, ent¬
wurzelte für den erſten Moment all' ſeine altrömiſche
Standhaftigkeit mehr als alles Gelärm von draußen.

„Ah ſo, Du biſt!“ ſprach er aber ſchon im nächſten
Augenblick beruhigt. Der Rabe auf dem Bettpfoſten
war weniger von dem Kriegsgetöſe als von dem Vers
aus dem Braunſchweigiſchen Geſangbuch erweckt wor¬
den, und ſtreckte erſt das linke Bein und den linken
Flügel und dann das rechte Bein und den rechten
Flügel weit von ſich, wie „ein Menſch beim Auf¬
wachen ſich dehnend“, und ſagte:

„Krah!“

„Ja wohl, guten Morgen. Nun werden wir es
ja wohl an unſerm Leibe wie auch an unſern Hab¬
ſeligkeiten in genauere Erfahrung bringen, was Du
und die Deinigen uns geſtern aus der Höhe über dem
Odfelde zu beſtellen hatten! Fortiter ille facit, qui
miser esse potest

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0143" n="135"/>
Clairvaux und &#x017F;einer Ci&#x017F;tercien&#x017F;ermönche war, Keiner<lb/>
verübeln. Noch dazu, da der Lärm draußen vor &#x017F;einer<lb/>
Zellenthür, drunten im Klo&#x017F;ter immer ärger, immer<lb/>
&#x017F;chlimmer, immer ent&#x017F;etzlicher wurde.</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;Es zieht o Gott, ein Kriegeswetter</l><lb/>
          <l>&#x201E;Jetzt über un&#x017F;er Haupt daher.</l><lb/>
          <l>&#x201E;Bi&#x017F;t Du nicht un&#x017F;er Schutz und Retter,</l><lb/>
          <l>&#x201E;So i&#x017F;t die Plage uns zu &#x017F;chwer.</l><lb/>
          <l>&#x201E;Sieh, wie die Für&#x017F;ten &#x017F;ich entzwein,</l><lb/>
          <l>&#x201E;Und &#x017F;ich zu unterdrücken dräun!&#x201C;</l><lb/>
        </lg>
        <p>&#x201E;Krah!&#x201C; &#x017F;chnarrte es dazwi&#x017F;chen, und der unver¬<lb/>
muthete, ge&#x017F;pen&#x017F;ti&#x017F;che Ton, &#x017F;o dicht neben ihm, ent¬<lb/>
wurzelte für den er&#x017F;ten Moment all' &#x017F;eine altrömi&#x017F;che<lb/>
Standhaftigkeit mehr als alles Gelärm von draußen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ah &#x017F;o, Du bi&#x017F;t!&#x201C; &#x017F;prach er aber &#x017F;chon im näch&#x017F;ten<lb/>
Augenblick beruhigt. Der Rabe auf dem Bettpfo&#x017F;ten<lb/>
war weniger von dem Kriegsgetö&#x017F;e als von dem Vers<lb/>
aus dem Braun&#x017F;chweigi&#x017F;chen Ge&#x017F;angbuch erweckt wor¬<lb/>
den, und &#x017F;treckte er&#x017F;t das linke Bein und den linken<lb/>
Flügel und dann das rechte Bein und den rechten<lb/>
Flügel weit von &#x017F;ich, wie &#x201E;ein Men&#x017F;ch beim Auf¬<lb/>
wachen &#x017F;ich dehnend&#x201C;, und &#x017F;agte:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Krah!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja wohl, guten Morgen. Nun werden wir es<lb/>
ja wohl an un&#x017F;erm Leibe wie auch an un&#x017F;ern Hab¬<lb/>
&#x017F;eligkeiten in genauere Erfahrung bringen, was Du<lb/>
und die Deinigen uns ge&#x017F;tern aus der Höhe über dem<lb/>
Odfelde zu be&#x017F;tellen hatten! <hi rendition="#aq">Fortiter ille facit, qui<lb/>
miser esse potest</hi> &#x2014;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0143] Clairvaux und ſeiner Ciſtercienſermönche war, Keiner verübeln. Noch dazu, da der Lärm draußen vor ſeiner Zellenthür, drunten im Kloſter immer ärger, immer ſchlimmer, immer entſetzlicher wurde. „Es zieht o Gott, ein Kriegeswetter „Jetzt über unſer Haupt daher. „Biſt Du nicht unſer Schutz und Retter, „So iſt die Plage uns zu ſchwer. „Sieh, wie die Fürſten ſich entzwein, „Und ſich zu unterdrücken dräun!“ „Krah!“ ſchnarrte es dazwiſchen, und der unver¬ muthete, geſpenſtiſche Ton, ſo dicht neben ihm, ent¬ wurzelte für den erſten Moment all' ſeine altrömiſche Standhaftigkeit mehr als alles Gelärm von draußen. „Ah ſo, Du biſt!“ ſprach er aber ſchon im nächſten Augenblick beruhigt. Der Rabe auf dem Bettpfoſten war weniger von dem Kriegsgetöſe als von dem Vers aus dem Braunſchweigiſchen Geſangbuch erweckt wor¬ den, und ſtreckte erſt das linke Bein und den linken Flügel und dann das rechte Bein und den rechten Flügel weit von ſich, wie „ein Menſch beim Auf¬ wachen ſich dehnend“, und ſagte: „Krah!“ „Ja wohl, guten Morgen. Nun werden wir es ja wohl an unſerm Leibe wie auch an unſern Hab¬ ſeligkeiten in genauere Erfahrung bringen, was Du und die Deinigen uns geſtern aus der Höhe über dem Odfelde zu beſtellen hatten! Fortiter ille facit, qui miser esse potest —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/143
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/143>, abgerufen am 21.11.2024.