Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

wappnet durch die tagtägliche erfreuliche Beschäftigung
mit dem Alterthum! Dem classischen nämlich.

Fast mit einem süßen Grauen wartete er darauf,
daß ihn der Neugallier an der Nase in Ermangelung
eines Bartes zupfe. Er hatte sein volltönend Wort
dafür in Bereitschaft; aber -- er hatte zu warten.
Während der Lärm drunten fortdauerte und drüben von
Augenblick zu Augenblick ärger wurde, ließ sich in seinem
abgelegenen Winkel keine Seele blicken. Er wartete auf
den barbarischen Feind eben so vergeblich wie auf seine
Morgensuppe.

Es blieb ihm wahrhaftig nichts Anderes übrig, als
wie in ruhigeren Zeiten so auch heute zuerst "in das
Wetter" zu sehen.

Er that's, indem er sich mit einem Seufzer von
seinem Stuhl erhob. Sein Stubengenosse hüpfte ihm
dicht auf den Fersen nach, und hob sich wie von dem
selben Gedanken getrieben und sprang neben ihm in die
Fensterbank, gleich Einem, der auch wohl in dieser Hin¬
sicht ein Urtheil abzugeben habe.

Es war nunmehr ein wenig heller geworden, wenn
gleich noch lange nicht Tag. Der Regen hatte aufge¬
hört, aber ein dichter Nebel füllte nicht bloß das Hoop¬
thal, sondern bedeckte die Welt um Amelungsborn über¬
haupt, als habe das alte Kloster seine weiland Mönchs¬
kappe nochmals ob dem Greuel der Welt bis über
die Ohren hinuntergezogen.

"Der wird sich halten," meinte der Magister und

wappnet durch die tagtägliche erfreuliche Beſchäftigung
mit dem Alterthum! Dem claſſiſchen nämlich.

Faſt mit einem ſüßen Grauen wartete er darauf,
daß ihn der Neugallier an der Naſe in Ermangelung
eines Bartes zupfe. Er hatte ſein volltönend Wort
dafür in Bereitſchaft; aber — er hatte zu warten.
Während der Lärm drunten fortdauerte und drüben von
Augenblick zu Augenblick ärger wurde, ließ ſich in ſeinem
abgelegenen Winkel keine Seele blicken. Er wartete auf
den barbariſchen Feind eben ſo vergeblich wie auf ſeine
Morgenſuppe.

Es blieb ihm wahrhaftig nichts Anderes übrig, als
wie in ruhigeren Zeiten ſo auch heute zuerſt „in das
Wetter“ zu ſehen.

Er that's, indem er ſich mit einem Seufzer von
ſeinem Stuhl erhob. Sein Stubengenoſſe hüpfte ihm
dicht auf den Ferſen nach, und hob ſich wie von dem
ſelben Gedanken getrieben und ſprang neben ihm in die
Fenſterbank, gleich Einem, der auch wohl in dieſer Hin¬
ſicht ein Urtheil abzugeben habe.

Es war nunmehr ein wenig heller geworden, wenn
gleich noch lange nicht Tag. Der Regen hatte aufge¬
hört, aber ein dichter Nebel füllte nicht bloß das Hoop¬
thal, ſondern bedeckte die Welt um Amelungsborn über¬
haupt, als habe das alte Kloſter ſeine weiland Mönchs¬
kappe nochmals ob dem Greuel der Welt bis über
die Ohren hinuntergezogen.

„Der wird ſich halten,“ meinte der Magiſter und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0146" n="138"/>
wappnet durch die tagtägliche erfreuliche Be&#x017F;chäftigung<lb/>
mit dem Alterthum! Dem cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen nämlich.</p><lb/>
        <p>Fa&#x017F;t mit einem &#x017F;üßen Grauen wartete er darauf,<lb/>
daß ihn der Neugallier an der Na&#x017F;e in Ermangelung<lb/>
eines Bartes zupfe. Er hatte &#x017F;ein volltönend Wort<lb/>
dafür in Bereit&#x017F;chaft; aber &#x2014; er hatte zu warten.<lb/>
Während der Lärm drunten fortdauerte und drüben von<lb/>
Augenblick zu Augenblick ärger wurde, ließ &#x017F;ich in &#x017F;einem<lb/>
abgelegenen Winkel keine Seele blicken. Er wartete auf<lb/>
den barbari&#x017F;chen Feind eben &#x017F;o vergeblich wie auf &#x017F;eine<lb/>
Morgen&#x017F;uppe.</p><lb/>
        <p>Es blieb ihm wahrhaftig nichts Anderes übrig, als<lb/>
wie in ruhigeren Zeiten &#x017F;o auch heute zuer&#x017F;t &#x201E;in das<lb/>
Wetter&#x201C; zu &#x017F;ehen.</p><lb/>
        <p>Er that's, indem er &#x017F;ich mit einem Seufzer von<lb/>
&#x017F;einem Stuhl erhob. Sein Stubengeno&#x017F;&#x017F;e hüpfte ihm<lb/>
dicht auf den Fer&#x017F;en nach, und hob &#x017F;ich wie von dem<lb/>
&#x017F;elben Gedanken getrieben und &#x017F;prang neben ihm in die<lb/>
Fen&#x017F;terbank, gleich Einem, der auch wohl in die&#x017F;er Hin¬<lb/>
&#x017F;icht ein Urtheil abzugeben habe.</p><lb/>
        <p>Es war nunmehr ein wenig heller geworden, wenn<lb/>
gleich noch lange nicht Tag. Der Regen hatte aufge¬<lb/>
hört, aber ein dichter Nebel füllte nicht bloß das Hoop¬<lb/>
thal, &#x017F;ondern bedeckte die Welt um Amelungsborn über¬<lb/>
haupt, als habe das alte Klo&#x017F;ter &#x017F;eine weiland Mönchs¬<lb/>
kappe nochmals ob dem Greuel der Welt bis über<lb/>
die Ohren hinuntergezogen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Der wird &#x017F;ich halten,&#x201C; meinte der Magi&#x017F;ter und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[138/0146] wappnet durch die tagtägliche erfreuliche Beſchäftigung mit dem Alterthum! Dem claſſiſchen nämlich. Faſt mit einem ſüßen Grauen wartete er darauf, daß ihn der Neugallier an der Naſe in Ermangelung eines Bartes zupfe. Er hatte ſein volltönend Wort dafür in Bereitſchaft; aber — er hatte zu warten. Während der Lärm drunten fortdauerte und drüben von Augenblick zu Augenblick ärger wurde, ließ ſich in ſeinem abgelegenen Winkel keine Seele blicken. Er wartete auf den barbariſchen Feind eben ſo vergeblich wie auf ſeine Morgenſuppe. Es blieb ihm wahrhaftig nichts Anderes übrig, als wie in ruhigeren Zeiten ſo auch heute zuerſt „in das Wetter“ zu ſehen. Er that's, indem er ſich mit einem Seufzer von ſeinem Stuhl erhob. Sein Stubengenoſſe hüpfte ihm dicht auf den Ferſen nach, und hob ſich wie von dem ſelben Gedanken getrieben und ſprang neben ihm in die Fenſterbank, gleich Einem, der auch wohl in dieſer Hin¬ ſicht ein Urtheil abzugeben habe. Es war nunmehr ein wenig heller geworden, wenn gleich noch lange nicht Tag. Der Regen hatte aufge¬ hört, aber ein dichter Nebel füllte nicht bloß das Hoop¬ thal, ſondern bedeckte die Welt um Amelungsborn über¬ haupt, als habe das alte Kloſter ſeine weiland Mönchs¬ kappe nochmals ob dem Greuel der Welt bis über die Ohren hinuntergezogen. „Der wird ſich halten,“ meinte der Magiſter und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/146
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/146>, abgerufen am 21.11.2024.