Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889.bei hellem Verstand und bedienet sich seiner Vernunft "Jeses, Jeses, Jeses!" wimmerte das Wieschen; doch "Ja, der Mensch glaubt am hellen Mittage an ein "Davon sollten der Herr Magister gerade jetzo der bei hellem Verſtand und bedienet ſich ſeiner Vernunft „Jeſes, Jeſes, Jeſes!“ wimmerte das Wieſchen; doch „Ja, der Menſch glaubt am hellen Mittage an ein „Davon ſollten der Herr Magiſter gerade jetzo der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0227" n="219"/> bei hellem Verſtand und bedienet ſich ſeiner Vernunft<lb/> fröhlich bei ſeinem Studio oder in Ueberlegung ſeiner zeit¬<lb/> lichen Umſtände. Und derſelbige Menſch traut am hellen<lb/> Mittage bei leuchtender Sonne unter Gottes blauem Him¬<lb/> mel nicht ſeinen fünf Sinnen! Ja, er ſtehet vor den beiden<lb/> großen Grundſätzen aller unſerer Erkenntniſſe, dem Satz<lb/> des Widerſpruches, nämlich daß es unmöglich iſt, daß etwas<lb/> zugleich ſei und zugleich nicht ſei; und dem Satz des zu¬<lb/> reichenden Grundes, nämlich daß Alles, was iſt, einen zu¬<lb/> reichenden Grund haben muß — er ſtehet, ſage ich, wie die<lb/> Kuh vor dem verſchloſſenen Thor. Was die ſchlimmſten,<lb/> die ärgſten Zweifler oder Skeptici nicht läugnen, das<lb/> ſchwanket in ſeiner Seele. Er ſiehet am hellen Mit¬<lb/> tage Dinge, die Dem ſchnurſtracks widerſprachen, was,<lb/> abgeſehen vom <hi rendition="#aq">Principio rationis sufficientis</hi>, die Alten<lb/> ſchon das <hi rendition="#aq">Principium exclusi medii inter duo con¬<lb/> tradictoria</hi> nannten.“</p><lb/> <p>„Jeſes, Jeſes, Jeſes!“ wimmerte das Wieſchen; doch<lb/> der Magiſter fuhr mit erhobener Stimme fort:</p><lb/> <p>„Ja, der Menſch glaubt am hellen Mittage an ein<lb/> Drittes zwiſchen zwei Widerſprüchen. Auch ich habe<lb/> in dieſen Gegenden am lichten Sommertage, wenn die<lb/> Sonne am heißeſten auf's Geſtein und die Waldblöße<lb/> brannte, Dinge geſehen — Dinge geſehen, ſage ich, die<lb/> mich an mir ſelber und dem Satze, daß etwas entweder<lb/> ſein oder nicht ſein muß, zum herzbebenden Zweifeln<lb/> brachten.“</p><lb/> <p>„Davon ſollten der Herr Magiſter gerade jetzo der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [219/0227]
bei hellem Verſtand und bedienet ſich ſeiner Vernunft
fröhlich bei ſeinem Studio oder in Ueberlegung ſeiner zeit¬
lichen Umſtände. Und derſelbige Menſch traut am hellen
Mittage bei leuchtender Sonne unter Gottes blauem Him¬
mel nicht ſeinen fünf Sinnen! Ja, er ſtehet vor den beiden
großen Grundſätzen aller unſerer Erkenntniſſe, dem Satz
des Widerſpruches, nämlich daß es unmöglich iſt, daß etwas
zugleich ſei und zugleich nicht ſei; und dem Satz des zu¬
reichenden Grundes, nämlich daß Alles, was iſt, einen zu¬
reichenden Grund haben muß — er ſtehet, ſage ich, wie die
Kuh vor dem verſchloſſenen Thor. Was die ſchlimmſten,
die ärgſten Zweifler oder Skeptici nicht läugnen, das
ſchwanket in ſeiner Seele. Er ſiehet am hellen Mit¬
tage Dinge, die Dem ſchnurſtracks widerſprachen, was,
abgeſehen vom Principio rationis sufficientis, die Alten
ſchon das Principium exclusi medii inter duo con¬
tradictoria nannten.“
„Jeſes, Jeſes, Jeſes!“ wimmerte das Wieſchen; doch
der Magiſter fuhr mit erhobener Stimme fort:
„Ja, der Menſch glaubt am hellen Mittage an ein
Drittes zwiſchen zwei Widerſprüchen. Auch ich habe
in dieſen Gegenden am lichten Sommertage, wenn die
Sonne am heißeſten auf's Geſtein und die Waldblöße
brannte, Dinge geſehen — Dinge geſehen, ſage ich, die
mich an mir ſelber und dem Satze, daß etwas entweder
ſein oder nicht ſein muß, zum herzbebenden Zweifeln
brachten.“
„Davon ſollten der Herr Magiſter gerade jetzo der
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