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Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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glück so wirr gemacht, daß er diese einfache Stelle im Gemeinwesen nicht auszufüllen vermochte. Man gab ihm ein noch bescheideneres Amt, aber auch diesem zeigte er sich nicht gewachsen, und wie die Erinnerung an sein ziemlich unverdientes Schicksal bei seinen Mitbürgern immer mehr und mehr verblaßte, ließ man ihn immer mehr und mehr fallen; allmählich kam er immer tiefer herab, bis er beim Strumpfstricken auf der Römerhöhe angelangt war. Auf der Römerhöhe genas seine arme Frau, die aus einem sehr angesehenen Hause war, eines Knäblein, starb aber bald am gebrochenen Herzen im tiefsten Jammer. Sie wurde begraben für den Erlös aus dem letzten Stück ihrer Aussteuer, einer leeren Spinde, in welcher ihre selige Mutter viele Reichthümer und Kostbarkeiten aufbewahrt hatte.

Während Wilhelm Kindler auf diese Weise die Leiter menschlicher Größe hinabstieg, stieg der Zinsmeister in der Liebe und Achtung seiner Mitbürger nicht empor. Obgleich der Reichthum ein gewaltiger Herr ist, welcher mit den andern Großmächten dieser Welt, der Liebe, dem Hunger, der Sorge und dem Tode, in Ansehen der Macht wohl Schritt zu halten vermag, so kann es doch geschehen, daß auch seine Kraft und Herrlichkeit schwach wie ein Strohhalm zerbricht, und so war es in diesem der Fall.

Das gleichalterige Geschlecht der Mitbürger, welches den Anfang und Verlauf des großen Processes contra Kindler vor Augen gehabt hatte, that in den Gassen der

glück so wirr gemacht, daß er diese einfache Stelle im Gemeinwesen nicht auszufüllen vermochte. Man gab ihm ein noch bescheideneres Amt, aber auch diesem zeigte er sich nicht gewachsen, und wie die Erinnerung an sein ziemlich unverdientes Schicksal bei seinen Mitbürgern immer mehr und mehr verblaßte, ließ man ihn immer mehr und mehr fallen; allmählich kam er immer tiefer herab, bis er beim Strumpfstricken auf der Römerhöhe angelangt war. Auf der Römerhöhe genas seine arme Frau, die aus einem sehr angesehenen Hause war, eines Knäblein, starb aber bald am gebrochenen Herzen im tiefsten Jammer. Sie wurde begraben für den Erlös aus dem letzten Stück ihrer Aussteuer, einer leeren Spinde, in welcher ihre selige Mutter viele Reichthümer und Kostbarkeiten aufbewahrt hatte.

Während Wilhelm Kindler auf diese Weise die Leiter menschlicher Größe hinabstieg, stieg der Zinsmeister in der Liebe und Achtung seiner Mitbürger nicht empor. Obgleich der Reichthum ein gewaltiger Herr ist, welcher mit den andern Großmächten dieser Welt, der Liebe, dem Hunger, der Sorge und dem Tode, in Ansehen der Macht wohl Schritt zu halten vermag, so kann es doch geschehen, daß auch seine Kraft und Herrlichkeit schwach wie ein Strohhalm zerbricht, und so war es in diesem der Fall.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/20>, abgerufen am 28.04.2024.