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Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Immer leichter, immer wohler ward ihr zu Muthe, immer weiter und lichtvoller ward ihre Seele. Es war ihr, als sei sie die langen, dunkeln Jahre hindurch nur ein thörichtes Kind gewesen, welches in grundloser Furcht sich quälte und harmlose Schatten für die drohendsten Gespenster nahm. Es war ihr, als habe dieser großmächtige Sturm in der Nacht vom letzten März auf den ersten April nicht nur die Welt und das Haus zur Silberburg, sondern auch ihre innerste Seele von allem Bösen, von allem Grauen gereinigt und befreit. In diesem Augenblick sah Laurentia Heyligerin in die Zukunft wie in eine sonnige, grüngoldene Landschaft, wo reiche Ernten von Glück und Seligkeit ihr entgegenreisten. Da -- fiel ein Schatten auf sie; erschreckt blickte sie empor und streckte mit einem Schrei abwehrend die Hände aus. Vor ihr stand in seinem rothen Mantel, das schreckliche Schwert unter dem Arme tragend, finster und drohend Wolf Scheffer, der Henker.

VII.

Wo ist Euer Vater, Jungfer? fragte der Scharfrichter von Rothenburg das zitternde Mädchen, welches sprachlos ihn anstarrte.

Hat Euch der lustige Wind das Gehör oder die Sprache genommen, Jüngferlein?

O, was wollet Ihr? stöhnte kaum vernehmlich die

Immer leichter, immer wohler ward ihr zu Muthe, immer weiter und lichtvoller ward ihre Seele. Es war ihr, als sei sie die langen, dunkeln Jahre hindurch nur ein thörichtes Kind gewesen, welches in grundloser Furcht sich quälte und harmlose Schatten für die drohendsten Gespenster nahm. Es war ihr, als habe dieser großmächtige Sturm in der Nacht vom letzten März auf den ersten April nicht nur die Welt und das Haus zur Silberburg, sondern auch ihre innerste Seele von allem Bösen, von allem Grauen gereinigt und befreit. In diesem Augenblick sah Laurentia Heyligerin in die Zukunft wie in eine sonnige, grüngoldene Landschaft, wo reiche Ernten von Glück und Seligkeit ihr entgegenreisten. Da — fiel ein Schatten auf sie; erschreckt blickte sie empor und streckte mit einem Schrei abwehrend die Hände aus. Vor ihr stand in seinem rothen Mantel, das schreckliche Schwert unter dem Arme tragend, finster und drohend Wolf Scheffer, der Henker.

VII.

Wo ist Euer Vater, Jungfer? fragte der Scharfrichter von Rothenburg das zitternde Mädchen, welches sprachlos ihn anstarrte.

Hat Euch der lustige Wind das Gehör oder die Sprache genommen, Jüngferlein?

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[0057] Immer leichter, immer wohler ward ihr zu Muthe, immer weiter und lichtvoller ward ihre Seele. Es war ihr, als sei sie die langen, dunkeln Jahre hindurch nur ein thörichtes Kind gewesen, welches in grundloser Furcht sich quälte und harmlose Schatten für die drohendsten Gespenster nahm. Es war ihr, als habe dieser großmächtige Sturm in der Nacht vom letzten März auf den ersten April nicht nur die Welt und das Haus zur Silberburg, sondern auch ihre innerste Seele von allem Bösen, von allem Grauen gereinigt und befreit. In diesem Augenblick sah Laurentia Heyligerin in die Zukunft wie in eine sonnige, grüngoldene Landschaft, wo reiche Ernten von Glück und Seligkeit ihr entgegenreisten. Da — fiel ein Schatten auf sie; erschreckt blickte sie empor und streckte mit einem Schrei abwehrend die Hände aus. Vor ihr stand in seinem rothen Mantel, das schreckliche Schwert unter dem Arme tragend, finster und drohend Wolf Scheffer, der Henker. VII. Wo ist Euer Vater, Jungfer? fragte der Scharfrichter von Rothenburg das zitternde Mädchen, welches sprachlos ihn anstarrte. Hat Euch der lustige Wind das Gehör oder die Sprache genommen, Jüngferlein? O, was wollet Ihr? stöhnte kaum vernehmlich die

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/57>, abgerufen am 10.05.2024.