Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Der liebenswürdige Humorist, dem die kleine Welt der "Sperlingsgasse," bald zu enge wurde, hat seitdem in mancherlei Orten und Zeiten sich heimisch gemacht und in seinen Romanen eine Fülle höchst lebendiger Culturbilder, meist aus dem Jahrhundert des großen Krieges, aufgerollt, die Lei Weitem noch nicht nach ihrem vollen Werthe anerkannt sind. Denn freilich fehlen ihnen die künstlichen, auf die Masse berechneten Effecte, die sentimentalen oder tendenziösen Schlaglichter und die großen Namen der landläufigen geschichtsfalschenden "historischen Romane", während die feinen Züge des Humors, die Wilhelm Raabe's Figuren umspielen, die barocken und phantastischen Arabesken, die sich um die Handlung ranken, nicht in die Ferne zu wirken pflegen. Um den letzten, durchschlagenden Wurf zu thun, ohne sich selbst untreu zu werden, wäre dem Dichter nur ein Stoff zu wünschen, der ihn nöthigte, nicht nur charakteristische Genrebilder und bedeutsame Portraits hinzustellen, sondern an einigen typischen Gestalten seinen Humor zur vollen Höhe sich auswachsen zu lassen. Seinen Siebenkäs, seinen Münchhausen ist er uns noch schuldig: ein Werk, mit andern Worten, das sich mit unverwischbaren Zügen dem Gemüth und der Phantasie seines Volkes einprägte und von dem Namen des Dichters hinfort unzertrennlich wäre.

Der liebenswürdige Humorist, dem die kleine Welt der „Sperlingsgasse,“ bald zu enge wurde, hat seitdem in mancherlei Orten und Zeiten sich heimisch gemacht und in seinen Romanen eine Fülle höchst lebendiger Culturbilder, meist aus dem Jahrhundert des großen Krieges, aufgerollt, die Lei Weitem noch nicht nach ihrem vollen Werthe anerkannt sind. Denn freilich fehlen ihnen die künstlichen, auf die Masse berechneten Effecte, die sentimentalen oder tendenziösen Schlaglichter und die großen Namen der landläufigen geschichtsfalschenden „historischen Romane“, während die feinen Züge des Humors, die Wilhelm Raabe's Figuren umspielen, die barocken und phantastischen Arabesken, die sich um die Handlung ranken, nicht in die Ferne zu wirken pflegen. Um den letzten, durchschlagenden Wurf zu thun, ohne sich selbst untreu zu werden, wäre dem Dichter nur ein Stoff zu wünschen, der ihn nöthigte, nicht nur charakteristische Genrebilder und bedeutsame Portraits hinzustellen, sondern an einigen typischen Gestalten seinen Humor zur vollen Höhe sich auswachsen zu lassen. Seinen Siebenkäs, seinen Münchhausen ist er uns noch schuldig: ein Werk, mit andern Worten, das sich mit unverwischbaren Zügen dem Gemüth und der Phantasie seines Volkes einprägte und von dem Namen des Dichters hinfort unzertrennlich wäre.

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="preface">
        <pb facs="#f0006"/>
        <p>Der liebenswürdige Humorist, dem die kleine Welt der &#x201E;Sperlingsgasse,&#x201C; bald zu enge wurde, hat     seitdem in mancherlei Orten und Zeiten sich heimisch gemacht und in seinen Romanen eine Fülle     höchst lebendiger Culturbilder, meist aus dem Jahrhundert des großen Krieges, aufgerollt, die     Lei Weitem noch nicht nach ihrem vollen Werthe anerkannt sind. Denn freilich fehlen ihnen die     künstlichen, auf die Masse berechneten Effecte, die sentimentalen oder tendenziösen     Schlaglichter und die großen Namen der landläufigen geschichtsfalschenden &#x201E;historischen Romane&#x201C;,     während die feinen Züge des Humors, die Wilhelm Raabe's Figuren umspielen, die barocken und     phantastischen Arabesken, die sich um die Handlung ranken, nicht in die Ferne zu wirken pflegen.     Um den letzten, durchschlagenden Wurf zu thun, ohne sich selbst untreu zu werden, wäre dem     Dichter nur ein Stoff zu wünschen, der ihn nöthigte, nicht nur charakteristische Genrebilder und     bedeutsame Portraits hinzustellen, sondern an einigen typischen Gestalten seinen Humor zur     vollen Höhe sich auswachsen zu lassen. Seinen Siebenkäs, seinen Münchhausen ist er uns noch     schuldig: ein Werk, mit andern Worten, das sich mit unverwischbaren Zügen dem Gemüth und der     Phantasie seines Volkes einprägte und von dem Namen des Dichters hinfort unzertrennlich     wäre.</p><lb/>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0006] Der liebenswürdige Humorist, dem die kleine Welt der „Sperlingsgasse,“ bald zu enge wurde, hat seitdem in mancherlei Orten und Zeiten sich heimisch gemacht und in seinen Romanen eine Fülle höchst lebendiger Culturbilder, meist aus dem Jahrhundert des großen Krieges, aufgerollt, die Lei Weitem noch nicht nach ihrem vollen Werthe anerkannt sind. Denn freilich fehlen ihnen die künstlichen, auf die Masse berechneten Effecte, die sentimentalen oder tendenziösen Schlaglichter und die großen Namen der landläufigen geschichtsfalschenden „historischen Romane“, während die feinen Züge des Humors, die Wilhelm Raabe's Figuren umspielen, die barocken und phantastischen Arabesken, die sich um die Handlung ranken, nicht in die Ferne zu wirken pflegen. Um den letzten, durchschlagenden Wurf zu thun, ohne sich selbst untreu zu werden, wäre dem Dichter nur ein Stoff zu wünschen, der ihn nöthigte, nicht nur charakteristische Genrebilder und bedeutsame Portraits hinzustellen, sondern an einigen typischen Gestalten seinen Humor zur vollen Höhe sich auswachsen zu lassen. Seinen Siebenkäs, seinen Münchhausen ist er uns noch schuldig: ein Werk, mit andern Worten, das sich mit unverwischbaren Zügen dem Gemüth und der Phantasie seines Volkes einprägte und von dem Namen des Dichters hinfort unzertrennlich wäre.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/6
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/6>, abgerufen am 21.11.2024.