Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Gefühl, als ob Wände und Decken des alten Gebäudes zusammenbrechen müßten, nichts wußte.

An der Brust des schwarzen Jürgen lag die arme Laurentia, und der Geliebte duldete nicht, daß die Tochter noch einmal die entstellte Leiche des unglücklichen Vaters zu Gesicht bekam. Wie ein Kind trug Georg die Braut durch den wilden Garten die Römerhöhe hinan zu dem alten Thurme, wo der nichts ahnende Vater im glücklichen Frieden saß, in die blaue, blitzende Ebene hinausblickte und das belehrende Haushaltungsbuch auf seinen Knieen fast ganz vergessen hatte. Es kostete viel Mühe, ihm das Geschehene klar zu machen, und im nächsten Augenblick hatte er es doch wieder vergessen und umschlich verwundert-zärtlich die weinende Jungfrau, die so plötzlich sich in seinem Thurmgemach eingefunden hatte.

Nachdem Georg und Laurentia die Silberburg verlassen hatten, ging auch die alte Magd daraus weg, und mit dem Leichnam hatte von da an Wolf Scheffer das Reich allein darin. In das Gemach Christian Heyliger's trug er Geld, Documente und Kostbarkeiten; die Leiche ließ er an ihrer Stelle, bis der Sarg und die Gruße im Winkel der Selbstmörder an der Kirchhofsmauer fertig waren. Im Triumph schritt er hin und her und baute die phantastischen Luftschlösser künftigen Glanzes, während seine Tritte dumpf wiederhallten in den öden Räumen. Nach Frankreich wollte er mit seinen Schätzen ziehen, der König Louis brauchte solche Män-

dem Gefühl, als ob Wände und Decken des alten Gebäudes zusammenbrechen müßten, nichts wußte.

An der Brust des schwarzen Jürgen lag die arme Laurentia, und der Geliebte duldete nicht, daß die Tochter noch einmal die entstellte Leiche des unglücklichen Vaters zu Gesicht bekam. Wie ein Kind trug Georg die Braut durch den wilden Garten die Römerhöhe hinan zu dem alten Thurme, wo der nichts ahnende Vater im glücklichen Frieden saß, in die blaue, blitzende Ebene hinausblickte und das belehrende Haushaltungsbuch auf seinen Knieen fast ganz vergessen hatte. Es kostete viel Mühe, ihm das Geschehene klar zu machen, und im nächsten Augenblick hatte er es doch wieder vergessen und umschlich verwundert-zärtlich die weinende Jungfrau, die so plötzlich sich in seinem Thurmgemach eingefunden hatte.

Nachdem Georg und Laurentia die Silberburg verlassen hatten, ging auch die alte Magd daraus weg, und mit dem Leichnam hatte von da an Wolf Scheffer das Reich allein darin. In das Gemach Christian Heyliger's trug er Geld, Documente und Kostbarkeiten; die Leiche ließ er an ihrer Stelle, bis der Sarg und die Gruße im Winkel der Selbstmörder an der Kirchhofsmauer fertig waren. Im Triumph schritt er hin und her und baute die phantastischen Luftschlösser künftigen Glanzes, während seine Tritte dumpf wiederhallten in den öden Räumen. Nach Frankreich wollte er mit seinen Schätzen ziehen, der König Louis brauchte solche Män-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="8">
        <p><pb facs="#f0072"/>
dem Gefühl, als ob Wände und Decken des alten Gebäudes      zusammenbrechen müßten, nichts wußte.</p><lb/>
        <p>An der Brust des schwarzen Jürgen lag die arme Laurentia, und der Geliebte duldete nicht, daß      die Tochter noch einmal die entstellte Leiche des unglücklichen Vaters zu Gesicht bekam. Wie      ein Kind trug Georg die Braut durch den wilden Garten die Römerhöhe hinan zu dem alten Thurme,      wo der nichts ahnende Vater im glücklichen Frieden saß, in die blaue, blitzende Ebene      hinausblickte und das belehrende Haushaltungsbuch auf seinen Knieen fast ganz vergessen hatte.      Es kostete viel Mühe, ihm das Geschehene klar zu machen, und im nächsten Augenblick hatte er es      doch wieder vergessen und umschlich verwundert-zärtlich die weinende Jungfrau, die so plötzlich      sich in seinem Thurmgemach eingefunden hatte. </p><lb/>
        <p>Nachdem Georg und Laurentia die Silberburg verlassen hatten, ging auch die alte Magd daraus      weg, und mit dem Leichnam hatte von da an Wolf Scheffer das Reich allein darin. In das Gemach      Christian Heyliger's trug er Geld, Documente und Kostbarkeiten; die Leiche ließ er an ihrer      Stelle, bis der Sarg und die Gruße im Winkel der Selbstmörder an der Kirchhofsmauer fertig      waren. Im Triumph schritt er hin und her und baute die phantastischen Luftschlösser künftigen      Glanzes, während seine Tritte dumpf wiederhallten in den öden Räumen. Nach Frankreich wollte er      mit seinen Schätzen ziehen, der König Louis brauchte solche Män-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0072] dem Gefühl, als ob Wände und Decken des alten Gebäudes zusammenbrechen müßten, nichts wußte. An der Brust des schwarzen Jürgen lag die arme Laurentia, und der Geliebte duldete nicht, daß die Tochter noch einmal die entstellte Leiche des unglücklichen Vaters zu Gesicht bekam. Wie ein Kind trug Georg die Braut durch den wilden Garten die Römerhöhe hinan zu dem alten Thurme, wo der nichts ahnende Vater im glücklichen Frieden saß, in die blaue, blitzende Ebene hinausblickte und das belehrende Haushaltungsbuch auf seinen Knieen fast ganz vergessen hatte. Es kostete viel Mühe, ihm das Geschehene klar zu machen, und im nächsten Augenblick hatte er es doch wieder vergessen und umschlich verwundert-zärtlich die weinende Jungfrau, die so plötzlich sich in seinem Thurmgemach eingefunden hatte. Nachdem Georg und Laurentia die Silberburg verlassen hatten, ging auch die alte Magd daraus weg, und mit dem Leichnam hatte von da an Wolf Scheffer das Reich allein darin. In das Gemach Christian Heyliger's trug er Geld, Documente und Kostbarkeiten; die Leiche ließ er an ihrer Stelle, bis der Sarg und die Gruße im Winkel der Selbstmörder an der Kirchhofsmauer fertig waren. Im Triumph schritt er hin und her und baute die phantastischen Luftschlösser künftigen Glanzes, während seine Tritte dumpf wiederhallten in den öden Räumen. Nach Frankreich wollte er mit seinen Schätzen ziehen, der König Louis brauchte solche Män-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/72
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/72>, abgerufen am 21.11.2024.