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Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Friedrich Martin Kindler entschlief nicht lange nach dem Einsturz der Silberburg, und ganz sanft erlöste ihn der Tod von den Schwierigkeiten der bösen Prudentia oeconomica, die ihm im Leben so viel vergebliches Kopfzerbrechen gemacht hatte. Fast die ganze Stadt gab dem Greis ein ehrenvolles Geleit zu seiner letzten Ruhestätte; aber dessenungeachtet war für Laurentia Heyligerin, die Tochter des Selbstmörders, und Georg Kindler, den Erben des Scharfrichters, keine bleibende Stätte in der kaiserlich freien Reichsstadt Rothenburg im Thal. Man flüsterte zu viel in den Gassen, wenn sie vorübergingen, und so zogen sie von dannen als ziemlich begüterte Leute, nachdem sie in der Stille Hochzeit gemacht hatten. Sie zogen hinaus, "weit ins Oesterreich," in eine Stadt an der Donau, Linz genannt; dort hat nach Jahren noch manch wandernd Bürgerkind aus Rothenburg in ihrem stattlichen Hause herzlich Entgegenkommen, fröhliche Gesichter und gut Quartier gefunden und nach seiner Heimkehr nicht genug erzählen gewußt von dem angesehenen Herrn Georg Kindler, der schönen Frau Laurentia und den Bübeln und Mädeln derselben.

Die Silberburg wurde nicht wieder aufgebaut. Während Georg die Aecker, Wiesen und Weinberge zu guten Preisen an die Liebhaber losschlagen konnte, wollte diesen Platz Niemand kaufen, bis ihn der Rath für einen Pfifferling übernahm. Bei den schweren Zeitläuften war wenig Nahrung in der Welt. Der hispanische Erbfolgekrieg, in den auch die freie Stadt Rothenburg verwickelt

Friedrich Martin Kindler entschlief nicht lange nach dem Einsturz der Silberburg, und ganz sanft erlöste ihn der Tod von den Schwierigkeiten der bösen Prudentia oeconomica, die ihm im Leben so viel vergebliches Kopfzerbrechen gemacht hatte. Fast die ganze Stadt gab dem Greis ein ehrenvolles Geleit zu seiner letzten Ruhestätte; aber dessenungeachtet war für Laurentia Heyligerin, die Tochter des Selbstmörders, und Georg Kindler, den Erben des Scharfrichters, keine bleibende Stätte in der kaiserlich freien Reichsstadt Rothenburg im Thal. Man flüsterte zu viel in den Gassen, wenn sie vorübergingen, und so zogen sie von dannen als ziemlich begüterte Leute, nachdem sie in der Stille Hochzeit gemacht hatten. Sie zogen hinaus, “weit ins Oesterreich,“ in eine Stadt an der Donau, Linz genannt; dort hat nach Jahren noch manch wandernd Bürgerkind aus Rothenburg in ihrem stattlichen Hause herzlich Entgegenkommen, fröhliche Gesichter und gut Quartier gefunden und nach seiner Heimkehr nicht genug erzählen gewußt von dem angesehenen Herrn Georg Kindler, der schönen Frau Laurentia und den Bübeln und Mädeln derselben.

Die Silberburg wurde nicht wieder aufgebaut. Während Georg die Aecker, Wiesen und Weinberge zu guten Preisen an die Liebhaber losschlagen konnte, wollte diesen Platz Niemand kaufen, bis ihn der Rath für einen Pfifferling übernahm. Bei den schweren Zeitläuften war wenig Nahrung in der Welt. Der hispanische Erbfolgekrieg, in den auch die freie Stadt Rothenburg verwickelt

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[0077] Friedrich Martin Kindler entschlief nicht lange nach dem Einsturz der Silberburg, und ganz sanft erlöste ihn der Tod von den Schwierigkeiten der bösen Prudentia oeconomica, die ihm im Leben so viel vergebliches Kopfzerbrechen gemacht hatte. Fast die ganze Stadt gab dem Greis ein ehrenvolles Geleit zu seiner letzten Ruhestätte; aber dessenungeachtet war für Laurentia Heyligerin, die Tochter des Selbstmörders, und Georg Kindler, den Erben des Scharfrichters, keine bleibende Stätte in der kaiserlich freien Reichsstadt Rothenburg im Thal. Man flüsterte zu viel in den Gassen, wenn sie vorübergingen, und so zogen sie von dannen als ziemlich begüterte Leute, nachdem sie in der Stille Hochzeit gemacht hatten. Sie zogen hinaus, “weit ins Oesterreich,“ in eine Stadt an der Donau, Linz genannt; dort hat nach Jahren noch manch wandernd Bürgerkind aus Rothenburg in ihrem stattlichen Hause herzlich Entgegenkommen, fröhliche Gesichter und gut Quartier gefunden und nach seiner Heimkehr nicht genug erzählen gewußt von dem angesehenen Herrn Georg Kindler, der schönen Frau Laurentia und den Bübeln und Mädeln derselben. Die Silberburg wurde nicht wieder aufgebaut. Während Georg die Aecker, Wiesen und Weinberge zu guten Preisen an die Liebhaber losschlagen konnte, wollte diesen Platz Niemand kaufen, bis ihn der Rath für einen Pfifferling übernahm. Bei den schweren Zeitläuften war wenig Nahrung in der Welt. Der hispanische Erbfolgekrieg, in den auch die freie Stadt Rothenburg verwickelt

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/77>, abgerufen am 10.05.2024.