Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.Nach Hause zurückgekehrt, traf ich die kleine Lise, Am Abend begruben wir es unter dem blühenden Eine schöne, bleiche, schwarzgekleidete Dame kam und 7*
Nach Hauſe zurückgekehrt, traf ich die kleine Liſe, Am Abend begruben wir es unter dem blühenden Eine ſchöne, bleiche, ſchwarzgekleidete Dame kam und 7*
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Nach Hauſe zurückgekehrt, traf ich die kleine Liſe,
die bereits aus ihrer Schule zurückgekommen war, über
einer bunten Pappſchachtel an, in welche Martha den
Vogel gelegt hatte. Den Doctor hörte ich drüben ge-
waltig rumoren und von Zeit zu Zeit erſchien er am Fen-
ſter, blies eine Rauchwolke zum blauen Sommerhimmel
hinauf, oder pfiff eine Paſſage aus dem öſtreichiſchen Land-
ſturm, ſeinem Lieblingsſtück. Der kleinen Liſe ſagte ich
von dem Schickſal ihres dicken Freundes noch nichts;
ich wollte ihr das Herz nicht noch ſchwerer machen.
Mittags konnte ſie ſchon ſo vor Betrübniß nichts eſſen,
obgleich ſie ihr Butterbrod richtig weggeſchenkt hatte.
Alle Augenblicke richteten ſich ihre Augen auf die bunte
Schachtel, worin das todte Thier lag.
Am Abend begruben wir es unter dem blühenden
Roſenſtrauch zu den Füßen der Gräber von Franz
und Marie. Die rothen Abendwolken ſegelten über uns
weg, die Roſen dufteten ſo herrlich; überall Licht und
Blumen. Ich ſaß auf dem Bänkchen neben den Grä-
bern; Eliſe hatte ihr Köpfchen an meine Bruſt gelegt,
ſie hatte ſich ſo müde getrauert, daß ſie — o glückliche
Kindheit! — die Augen ſchloß und einſchlummerte.
Eine ſchöne, bleiche, ſchwarzgekleidete Dame kam und
kniete an einem einfachen Denkmale nieder; arme Kin-
der legten, weiter weg an der Kirchhofsmauer, Wald-
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