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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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Wir haben gejubelt und gelacht, -- auch wohl ge-
weint über kleine Schmerzen und verunglückte Freuden!
-- Wie die Jahre kommen und gehen! --

Das Epheu hat nun eine ordentliche, schattige, grüne
Laube gebildet; rothe und blaue Wachsbilder hat eine
kleine schmückende Hand zwischen das Blätterwerk ge-
hängt; wieder flattert ein zahmer Kanarienvogel in der
Stube hin und her, von meinen Büchern und Schreibe-
reien auf eine hübsche runde Schulter im Fenster oder
auf einem niedlichen Finger, der ihm winkend hingehal-
ten wird. -- Elise ist nun dreizehn Jahr alt auf den
Blättern dieser Chronik. Oft wenn ein lustiger Son-
nenstrahl über das Blätterwerk schießt, zwitschert wohl
Flämmchen -- so heißt der neue kleine Freund -- fröh-
lich auf, hüpft aus seinem Bauer, dreht das Köpfchen
mit den funkelnden kohlschwarzen Aeuglein einige Male
hin und her und flattert dann zum offenen Fenster hin-
aus. -- Einen Augenblick glänzt er, hin und her schie-
ßend, wie ein Goldpünktchen im Sonnenschein, dann
flattert er nach der jenseitigen Häuserreihe und verschwin-
det in einem Fenster des mittleren Stockwerkes in Nr.
12. Von dort ward er herübergebracht, auch dort hat
er ein kleines Messingbauer. --

Neue Gesichter sind aufgetaucht, neue Fäden schlin-
gen sich wundersam in unser Leben und damit heute an

Wir haben gejubelt und gelacht, — auch wohl ge-
weint über kleine Schmerzen und verunglückte Freuden!
— Wie die Jahre kommen und gehen! —

Das Epheu hat nun eine ordentliche, ſchattige, grüne
Laube gebildet; rothe und blaue Wachsbilder hat eine
kleine ſchmückende Hand zwiſchen das Blätterwerk ge-
hängt; wieder flattert ein zahmer Kanarienvogel in der
Stube hin und her, von meinen Büchern und Schreibe-
reien auf eine hübſche runde Schulter im Fenſter oder
auf einem niedlichen Finger, der ihm winkend hingehal-
ten wird. — Eliſe iſt nun dreizehn Jahr alt auf den
Blättern dieſer Chronik. Oft wenn ein luſtiger Son-
nenſtrahl über das Blätterwerk ſchießt, zwitſchert wohl
Flämmchen — ſo heißt der neue kleine Freund — fröh-
lich auf, hüpft aus ſeinem Bauer, dreht das Köpfchen
mit den funkelnden kohlſchwarzen Aeuglein einige Male
hin und her und flattert dann zum offenen Fenſter hin-
aus. — Einen Augenblick glänzt er, hin und her ſchie-
ßend, wie ein Goldpünktchen im Sonnenſchein, dann
flattert er nach der jenſeitigen Häuſerreihe und verſchwin-
det in einem Fenſter des mittleren Stockwerkes in Nr.
12. Von dort ward er herübergebracht, auch dort hat
er ein kleines Meſſingbauer. —

Neue Geſichter ſind aufgetaucht, neue Fäden ſchlin-
gen ſich wunderſam in unſer Leben und damit heute an

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[153/0163] Wir haben gejubelt und gelacht, — auch wohl ge- weint über kleine Schmerzen und verunglückte Freuden! — Wie die Jahre kommen und gehen! — Das Epheu hat nun eine ordentliche, ſchattige, grüne Laube gebildet; rothe und blaue Wachsbilder hat eine kleine ſchmückende Hand zwiſchen das Blätterwerk ge- hängt; wieder flattert ein zahmer Kanarienvogel in der Stube hin und her, von meinen Büchern und Schreibe- reien auf eine hübſche runde Schulter im Fenſter oder auf einem niedlichen Finger, der ihm winkend hingehal- ten wird. — Eliſe iſt nun dreizehn Jahr alt auf den Blättern dieſer Chronik. Oft wenn ein luſtiger Son- nenſtrahl über das Blätterwerk ſchießt, zwitſchert wohl Flämmchen — ſo heißt der neue kleine Freund — fröh- lich auf, hüpft aus ſeinem Bauer, dreht das Köpfchen mit den funkelnden kohlſchwarzen Aeuglein einige Male hin und her und flattert dann zum offenen Fenſter hin- aus. — Einen Augenblick glänzt er, hin und her ſchie- ßend, wie ein Goldpünktchen im Sonnenſchein, dann flattert er nach der jenſeitigen Häuſerreihe und verſchwin- det in einem Fenſter des mittleren Stockwerkes in Nr. 12. Von dort ward er herübergebracht, auch dort hat er ein kleines Meſſingbauer. — Neue Geſichter ſind aufgetaucht, neue Fäden ſchlin- gen ſich wunderſam in unſer Leben und damit heute an

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/163>, abgerufen am 25.11.2024.