Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Blut, geschlagen, todmüde. Ich sah, wie er die Cherusca
von Neuem aufrief zum neuen Kampf gegen die "urbs";
wie das Volk zu den Waffen griff: pugnam volunt,
arma rapiunt: plebes, primores, juventus, senes!

Aber wo ist denn die Puppe? kam mir damit plötzlich
in den Sinn. Ich schleuderte den Tacitus in's Gras,
stellte mich auf die Zehen, reckte den Hals aus, so lang
als möglich, und schaute hinüber nach dem Teutoburger
Walde. Da eine vorliegende "Bergdruffel," (wie Joach.
Heinr. Campe sagt) mir einen Theil der fernen blauen
Höhen verbarg, gab ich mir sogar die Mühe, in eine
hohe Buche hinaufzusteigen, wo ich auch das Fernglas
zu Hülfe nahm. Vergeblich; -- nirgends eine Spur vom
Hermannsbild! Alles, was ich zu sehen bekam, war der
große Christoffel bei Cassel und mit einem leisen Fluch
kletterte ich wieder herunter von meinem luftigen Auslug.
Hatte ich aber eben einen leisen Segenswunsch von mir
gegeben, so ließ ich jetzt einen um so lautern los. Ich
sah schön aus! "Das hat man davon," brummte ich,
während ich mir das Blut aus dem aufgeritzten Dau-
men sog, "das hat man davon, wenn man sich nach
deutscher Größe umguckt: einen Dorn stößt man sich in
den Finger, die Hosen zerreißt man, und zu sehen kriegt
man nichts als -- den großen Christoffel." Aergerlich
schob ich mein Fernglas zusammen, steckte den Tacitus

15

Blut, geſchlagen, todmüde. Ich ſah, wie er die Cherusca
von Neuem aufrief zum neuen Kampf gegen die „urbs“;
wie das Volk zu den Waffen griff: pugnam volunt,
arma rapiunt: plebes, primores, juventus, senes!

Aber wo iſt denn die Puppe? kam mir damit plötzlich
in den Sinn. Ich ſchleuderte den Tacitus in’s Gras,
ſtellte mich auf die Zehen, reckte den Hals aus, ſo lang
als möglich, und ſchaute hinüber nach dem Teutoburger
Walde. Da eine vorliegende „Bergdruffel,“ (wie Joach.
Heinr. Campe ſagt) mir einen Theil der fernen blauen
Höhen verbarg, gab ich mir ſogar die Mühe, in eine
hohe Buche hinaufzuſteigen, wo ich auch das Fernglas
zu Hülfe nahm. Vergeblich; — nirgends eine Spur vom
Hermannsbild! Alles, was ich zu ſehen bekam, war der
große Chriſtoffel bei Caſſel und mit einem leiſen Fluch
kletterte ich wieder herunter von meinem luftigen Auslug.
Hatte ich aber eben einen leiſen Segenswunſch von mir
gegeben, ſo ließ ich jetzt einen um ſo lautern los. Ich
ſah ſchön aus! „Das hat man davon,“ brummte ich,
während ich mir das Blut aus dem aufgeritzten Dau-
men ſog, „das hat man davon, wenn man ſich nach
deutſcher Größe umguckt: einen Dorn ſtößt man ſich in
den Finger, die Hoſen zerreißt man, und zu ſehen kriegt
man nichts als — den großen Chriſtoffel.“ Aergerlich
ſchob ich mein Fernglas zuſammen, ſteckte den Tacitus

15
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0235" n="225"/>
Blut, ge&#x017F;chlagen, todmüde. Ich &#x017F;ah, wie er die Cherusca<lb/>
von Neuem aufrief zum neuen Kampf gegen die <hi rendition="#aq">&#x201E;urbs&#x201C;;</hi><lb/>
wie das Volk zu den Waffen griff: <hi rendition="#aq">pugnam volunt,<lb/>
arma rapiunt: plebes, primores, juventus, senes!</hi></p><lb/>
        <p>Aber wo i&#x017F;t denn die Puppe? kam mir damit plötzlich<lb/>
in den Sinn. Ich &#x017F;chleuderte den Tacitus in&#x2019;s Gras,<lb/>
&#x017F;tellte mich auf die Zehen, reckte den Hals aus, &#x017F;o lang<lb/>
als möglich, und &#x017F;chaute hinüber nach dem Teutoburger<lb/>
Walde. Da eine vorliegende &#x201E;Bergdruffel,&#x201C; (wie Joach.<lb/>
Heinr. Campe &#x017F;agt) mir einen Theil der fernen blauen<lb/>
Höhen verbarg, gab ich mir &#x017F;ogar die Mühe, in eine<lb/>
hohe Buche hinaufzu&#x017F;teigen, wo ich auch das Fernglas<lb/>
zu Hülfe nahm. Vergeblich; &#x2014; nirgends eine Spur vom<lb/>
Hermannsbild! Alles, was ich zu &#x017F;ehen bekam, war der<lb/>
große Chri&#x017F;toffel bei Ca&#x017F;&#x017F;el und mit einem lei&#x017F;en Fluch<lb/>
kletterte ich wieder herunter von meinem luftigen Auslug.<lb/>
Hatte ich aber eben einen lei&#x017F;en Segenswun&#x017F;ch von mir<lb/>
gegeben, &#x017F;o ließ ich jetzt einen um &#x017F;o lautern los. Ich<lb/>
&#x017F;ah &#x017F;chön aus! &#x201E;Das hat man davon,&#x201C; brummte ich,<lb/>
während ich mir das Blut aus dem aufgeritzten Dau-<lb/>
men &#x017F;og, &#x201E;das hat man davon, wenn man &#x017F;ich nach<lb/>
deut&#x017F;cher Größe umguckt: einen Dorn &#x017F;tößt man &#x017F;ich in<lb/>
den Finger, die Ho&#x017F;en zerreißt man, und zu &#x017F;ehen kriegt<lb/>
man nichts als &#x2014; den großen Chri&#x017F;toffel.&#x201C; Aergerlich<lb/>
&#x017F;chob ich mein Fernglas zu&#x017F;ammen, &#x017F;teckte den Tacitus<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">15</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0235] Blut, geſchlagen, todmüde. Ich ſah, wie er die Cherusca von Neuem aufrief zum neuen Kampf gegen die „urbs“; wie das Volk zu den Waffen griff: pugnam volunt, arma rapiunt: plebes, primores, juventus, senes! Aber wo iſt denn die Puppe? kam mir damit plötzlich in den Sinn. Ich ſchleuderte den Tacitus in’s Gras, ſtellte mich auf die Zehen, reckte den Hals aus, ſo lang als möglich, und ſchaute hinüber nach dem Teutoburger Walde. Da eine vorliegende „Bergdruffel,“ (wie Joach. Heinr. Campe ſagt) mir einen Theil der fernen blauen Höhen verbarg, gab ich mir ſogar die Mühe, in eine hohe Buche hinaufzuſteigen, wo ich auch das Fernglas zu Hülfe nahm. Vergeblich; — nirgends eine Spur vom Hermannsbild! Alles, was ich zu ſehen bekam, war der große Chriſtoffel bei Caſſel und mit einem leiſen Fluch kletterte ich wieder herunter von meinem luftigen Auslug. Hatte ich aber eben einen leiſen Segenswunſch von mir gegeben, ſo ließ ich jetzt einen um ſo lautern los. Ich ſah ſchön aus! „Das hat man davon,“ brummte ich, während ich mir das Blut aus dem aufgeritzten Dau- men ſog, „das hat man davon, wenn man ſich nach deutſcher Größe umguckt: einen Dorn ſtößt man ſich in den Finger, die Hoſen zerreißt man, und zu ſehen kriegt man nichts als — den großen Chriſtoffel.“ Aergerlich ſchob ich mein Fernglas zuſammen, ſteckte den Tacitus 15

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/235
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/235>, abgerufen am 21.11.2024.