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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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Häuserwänden, das Glitzern der Fensterscheiben, die
ziehenden, beleuchteten Wolken am dunkeln Nachthimmel,
die flüsternden Gruppen in den Hausthüren und an den
Straßenecken, -- alles wird nun zu einem Bilde für
Gustav, zu einem Märchen für Elise. Da beleben sich
die Straßen, Gassen und Plätze mit den wundersamsten
Gestalten; auf den Ecksteinen lauern, zusammengekauert,
grimmbärtige Kobolde; aus den dunkeln Thorwegen der
alten Patrizierhäuser treten seltsame Gesellen mit nicken-
den Federn und weiten Mänteln, und schöne Damen be-
steigen weiße Zelter, in die Nacht davon reitend; Söld-
ner im Harnisch, die Partisanen auf den Schultern,
ziehen über den Markt; Prozessionen vermummter Mönche
winden sich langsam aus dem Domportal und -- alles
liegt morgen in den hübschesten Scizzen festgebannt,
auf Elisens Nähtischchen oder treibt sich auf dem Fuß-
boden umher.

Natürlich sind Gustav und Elise immer einige Schritte
uns voraus, und nur von Zeit zu Zeit kann ich abge-
rissene Sätze ihrer Unterhaltung erfassen. Ich denke an
Paul und Virginie unter den Palmbäumen von eile de
France;
ich denke an die beiden süßen Gestalten des
deutschen Märchens, an Jorinde und Joringel, von
denen es heißt: "Sie waren in den Brauttagen, und sie
hatten ihr größtes Vergnügen eins am andern." -- Nach-

Häuſerwänden, das Glitzern der Fenſterſcheiben, die
ziehenden, beleuchteten Wolken am dunkeln Nachthimmel,
die flüſternden Gruppen in den Hausthüren und an den
Straßenecken, — alles wird nun zu einem Bilde für
Guſtav, zu einem Märchen für Eliſe. Da beleben ſich
die Straßen, Gaſſen und Plätze mit den wunderſamſten
Geſtalten; auf den Eckſteinen lauern, zuſammengekauert,
grimmbärtige Kobolde; aus den dunkeln Thorwegen der
alten Patrizierhäuſer treten ſeltſame Geſellen mit nicken-
den Federn und weiten Mänteln, und ſchöne Damen be-
ſteigen weiße Zelter, in die Nacht davon reitend; Söld-
ner im Harniſch, die Partiſanen auf den Schultern,
ziehen über den Markt; Prozeſſionen vermummter Mönche
winden ſich langſam aus dem Domportal und — alles
liegt morgen in den hübſcheſten Scizzen feſtgebannt,
auf Eliſens Nähtiſchchen oder treibt ſich auf dem Fuß-
boden umher.

Natürlich ſind Guſtav und Eliſe immer einige Schritte
uns voraus, und nur von Zeit zu Zeit kann ich abge-
riſſene Sätze ihrer Unterhaltung erfaſſen. Ich denke an
Paul und Virginie unter den Palmbäumen von île de
France;
ich denke an die beiden ſüßen Geſtalten des
deutſchen Märchens, an Jorinde und Joringel, von
denen es heißt: „Sie waren in den Brauttagen, und ſie
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[234/0244] Häuſerwänden, das Glitzern der Fenſterſcheiben, die ziehenden, beleuchteten Wolken am dunkeln Nachthimmel, die flüſternden Gruppen in den Hausthüren und an den Straßenecken, — alles wird nun zu einem Bilde für Guſtav, zu einem Märchen für Eliſe. Da beleben ſich die Straßen, Gaſſen und Plätze mit den wunderſamſten Geſtalten; auf den Eckſteinen lauern, zuſammengekauert, grimmbärtige Kobolde; aus den dunkeln Thorwegen der alten Patrizierhäuſer treten ſeltſame Geſellen mit nicken- den Federn und weiten Mänteln, und ſchöne Damen be- ſteigen weiße Zelter, in die Nacht davon reitend; Söld- ner im Harniſch, die Partiſanen auf den Schultern, ziehen über den Markt; Prozeſſionen vermummter Mönche winden ſich langſam aus dem Domportal und — alles liegt morgen in den hübſcheſten Scizzen feſtgebannt, auf Eliſens Nähtiſchchen oder treibt ſich auf dem Fuß- boden umher. Natürlich ſind Guſtav und Eliſe immer einige Schritte uns voraus, und nur von Zeit zu Zeit kann ich abge- riſſene Sätze ihrer Unterhaltung erfaſſen. Ich denke an Paul und Virginie unter den Palmbäumen von île de France; ich denke an die beiden ſüßen Geſtalten des deutſchen Märchens, an Jorinde und Joringel, von denen es heißt: „Sie waren in den Brauttagen, und ſie hatten ihr größtes Vergnügen eins am andern.“ — Nach-

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/244>, abgerufen am 21.11.2024.