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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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bedeckt mit mädchenhaft zierlichen Schriftzügen, durch-
woben mit hübschen, feinen Federzeichnungen. Da ist's!
So erzählte Elise an jenem fernen Abend, als der Brun-
nen neben uns plätscherte:

"Ich saß neulich mal des Abends ganz allein. Du
warst ausgegangen, Onkel; Gustav war am Morgen
schon mit seiner großen Mappe abgezogen, um Bäume
und Bauerhäuser zu zeichnen; wo die Tante war, weiß
ich nicht; kurz, ich war mutterseelen allein und nur
mein guter, dicker Kater schnurrte auf der Fußbank
neben mir und putzte sich den Schnauzbart. Ich hatte
eine Menge Augen an meinem Strickzeug fallen lassen
und durchaus keine Lust, sie wieder aufzunehmen. So
schrob ich denn die Lampe tief herunter und schaute aus
dem Fenster in den Mond, der nicht ganz so voll wie
heute über die Dächer und Schornsteine herauf kam.
Es war ganz dämmerig in der Stube und nur zuweilen
tanzte ein Lichtschein aus den Fenstern drüben über die
Wände. Da plötzlich war der Mond hoch genug, --
ein glänzender, lustiger Strahl schoß wie ein weißer
Blitz über meinen Topf mit Nachtviolen und ein Glas
mit Waldblumen, welches neben mir stand und -- mit
ihm kam mein Märchen oder mein Traum. Es war zu
hübsch! -- Zuerst guckte ich eine ganze Weile in die
glänzende Straße auf dem Boden, die immer weiter

bedeckt mit mädchenhaft zierlichen Schriftzügen, durch-
woben mit hübſchen, feinen Federzeichnungen. Da iſt’s!
So erzählte Eliſe an jenem fernen Abend, als der Brun-
nen neben uns plätſcherte:

„Ich ſaß neulich mal des Abends ganz allein. Du
warſt ausgegangen, Onkel; Guſtav war am Morgen
ſchon mit ſeiner großen Mappe abgezogen, um Bäume
und Bauerhäuſer zu zeichnen; wo die Tante war, weiß
ich nicht; kurz, ich war mutterſeelen allein und nur
mein guter, dicker Kater ſchnurrte auf der Fußbank
neben mir und putzte ſich den Schnauzbart. Ich hatte
eine Menge Augen an meinem Strickzeug fallen laſſen
und durchaus keine Luſt, ſie wieder aufzunehmen. So
ſchrob ich denn die Lampe tief herunter und ſchaute aus
dem Fenſter in den Mond, der nicht ganz ſo voll wie
heute über die Dächer und Schornſteine herauf kam.
Es war ganz dämmerig in der Stube und nur zuweilen
tanzte ein Lichtſchein aus den Fenſtern drüben über die
Wände. Da plötzlich war der Mond hoch genug, —
ein glänzender, luſtiger Strahl ſchoß wie ein weißer
Blitz über meinen Topf mit Nachtviolen und ein Glas
mit Waldblumen, welches neben mir ſtand und — mit
ihm kam mein Märchen oder mein Traum. Es war zu
hübſch! — Zuerſt guckte ich eine ganze Weile in die
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[236/0246] bedeckt mit mädchenhaft zierlichen Schriftzügen, durch- woben mit hübſchen, feinen Federzeichnungen. Da iſt’s! So erzählte Eliſe an jenem fernen Abend, als der Brun- nen neben uns plätſcherte: „Ich ſaß neulich mal des Abends ganz allein. Du warſt ausgegangen, Onkel; Guſtav war am Morgen ſchon mit ſeiner großen Mappe abgezogen, um Bäume und Bauerhäuſer zu zeichnen; wo die Tante war, weiß ich nicht; kurz, ich war mutterſeelen allein und nur mein guter, dicker Kater ſchnurrte auf der Fußbank neben mir und putzte ſich den Schnauzbart. Ich hatte eine Menge Augen an meinem Strickzeug fallen laſſen und durchaus keine Luſt, ſie wieder aufzunehmen. So ſchrob ich denn die Lampe tief herunter und ſchaute aus dem Fenſter in den Mond, der nicht ganz ſo voll wie heute über die Dächer und Schornſteine herauf kam. Es war ganz dämmerig in der Stube und nur zuweilen tanzte ein Lichtſchein aus den Fenſtern drüben über die Wände. Da plötzlich war der Mond hoch genug, — ein glänzender, luſtiger Strahl ſchoß wie ein weißer Blitz über meinen Topf mit Nachtviolen und ein Glas mit Waldblumen, welches neben mir ſtand und — mit ihm kam mein Märchen oder mein Traum. Es war zu hübſch! — Zuerſt guckte ich eine ganze Weile in die glänzende Straße auf dem Boden, die immer weiter

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/246>, abgerufen am 24.11.2024.