Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.worden, der sich nur durch erborgte und erheuchelte Sta- Ich lebe durch ein kurzes Jahr von Glück und Ruhe; Plötzlich hört der Regen auf, an die Fenster zu schla- worden, der ſich nur durch erborgte und erheuchelte Sta- Ich lebe durch ein kurzes Jahr von Glück und Ruhe; Plötzlich hört der Regen auf, an die Fenſter zu ſchla- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0030" n="20"/> worden, der ſich nur durch erborgte und erheuchelte Sta-<lb/> cheln zu ſchützen weiß, bis er endlich nach langem Um-<lb/> herſchweifen in der Welt hervorgeht aus dem Kampf,<lb/> ein ernſter, ſehender Mann, der Freund ſeines Freundes<lb/> und deſſen jungen Weibes. —</p><lb/> <p>Ich lebe durch ein kurzes Jahr von Glück und Ruhe;<lb/> ich ſehe während dieſes Jahres eine feine blondlockige<lb/> Geſtalt lächelnd, wie unſer guter Genius, Franz und mich<lb/> umſchweben und ihre ſchützende Hand ausſtrecken über<lb/> ſeine leicht auflodernde Wildheit und meine hinbrütende<lb/> Traurigkeit; — ich ſehe bald ein kleines Kind — Eliſe<lb/> genannt in den Blättern dieſer Chronik — des Abends<lb/> aus den Armen der Mutter in die des Vaters und aus<lb/> den Armen des Vaters in die des Freundes übergehen,<lb/> mit großen, verwunderten Augen zu uns aufſchauend<lb/> — — — —</p><lb/> <p>Plötzlich hört der Regen auf, an die Fenſter zu ſchla-<lb/> gen; ich ſchrecke auf; — es iſt ſpäte Nacht. Einen letz-<lb/> ten Blick werfe ich noch in die Gaſſe hinunter. Sie iſt<lb/> dunkel und öde; der unzureichende Schein der einen Gas-<lb/> laterne ſpiegelt ſich in den Sümpfen des Pflaſters, in<lb/> den Rinnſteinen wieder. Eine verhüllte Geſtalt ſchleicht<lb/> langſam und vorſichtig dicht an den Häuſern hin. Von<lb/> Zeit zu Zeit ſchaut ſie ſich um. Geht ſie zu einem<lb/> Verbrechen, oder geht ſie ein gutes Werk zu thun?<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [20/0030]
worden, der ſich nur durch erborgte und erheuchelte Sta-
cheln zu ſchützen weiß, bis er endlich nach langem Um-
herſchweifen in der Welt hervorgeht aus dem Kampf,
ein ernſter, ſehender Mann, der Freund ſeines Freundes
und deſſen jungen Weibes. —
Ich lebe durch ein kurzes Jahr von Glück und Ruhe;
ich ſehe während dieſes Jahres eine feine blondlockige
Geſtalt lächelnd, wie unſer guter Genius, Franz und mich
umſchweben und ihre ſchützende Hand ausſtrecken über
ſeine leicht auflodernde Wildheit und meine hinbrütende
Traurigkeit; — ich ſehe bald ein kleines Kind — Eliſe
genannt in den Blättern dieſer Chronik — des Abends
aus den Armen der Mutter in die des Vaters und aus
den Armen des Vaters in die des Freundes übergehen,
mit großen, verwunderten Augen zu uns aufſchauend
— — — —
Plötzlich hört der Regen auf, an die Fenſter zu ſchla-
gen; ich ſchrecke auf; — es iſt ſpäte Nacht. Einen letz-
ten Blick werfe ich noch in die Gaſſe hinunter. Sie iſt
dunkel und öde; der unzureichende Schein der einen Gas-
laterne ſpiegelt ſich in den Sümpfen des Pflaſters, in
den Rinnſteinen wieder. Eine verhüllte Geſtalt ſchleicht
langſam und vorſichtig dicht an den Häuſern hin. Von
Zeit zu Zeit ſchaut ſie ſich um. Geht ſie zu einem
Verbrechen, oder geht ſie ein gutes Werk zu thun?
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