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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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Kommens. Diese sind denn auch mit die Anhaltepunkte,
an welche ich bei meinem Rückgedenken den stellenweis
unterbrochenen Faden meiner Chronik wieder anknüpfe.

Einem Wässerchen will ich diese Chronik vergleichen,
einem Wässerchen, welches sich aus dem Schooß der Erde
mühevoll losringt und anfangs trübe, noch die Spu-
ren seiner dunklen, schmerzenvollen Geburtsstätte an sich
trägt. Bald aber wird es in das helle Sonnenlicht
sprudeln, Blumen werden sich in ihm spiegeln, Vögel-
chen werden ihre Schnäbel in ihm netzen. An dieser
Stelle werdet Ihr es fast zu verlieren glauben, an je-
ner wird es fröhlich wieder hervorhüpfen. Es wird seine
eigene Sprache reden in wagehalsigen Sprüngen über
Felsen, im listigen Suchen und Finden der Auswege --
-- Gott bewahre es nur vor dem Verlaufen im
Sande! ...

So fahre ich fort:

Es war, wie gesagt, ein trauriger unheimlicher Tag,
aber nicht er war es, der damals so schwer auf meine
Seele drückte. An jenem Tage sah ich von dem Fenster
dort drüben, die Fenster der Kammer meiner jetzigen
Wohnung weit geöffnet trotz der Kälte, trotz dem Regen.
Die weißen Vorhänge waren herabgelassen und an den
Seiten befestigt, damit der Wind, welcher sie heftig hin
und her bewegte, sie nicht abrisse.

Kommens. Dieſe ſind denn auch mit die Anhaltepunkte,
an welche ich bei meinem Rückgedenken den ſtellenweis
unterbrochenen Faden meiner Chronik wieder anknüpfe.

Einem Wäſſerchen will ich dieſe Chronik vergleichen,
einem Wäſſerchen, welches ſich aus dem Schooß der Erde
mühevoll losringt und anfangs trübe, noch die Spu-
ren ſeiner dunklen, ſchmerzenvollen Geburtsſtätte an ſich
trägt. Bald aber wird es in das helle Sonnenlicht
ſprudeln, Blumen werden ſich in ihm ſpiegeln, Vögel-
chen werden ihre Schnäbel in ihm netzen. An dieſer
Stelle werdet Ihr es faſt zu verlieren glauben, an je-
ner wird es fröhlich wieder hervorhüpfen. Es wird ſeine
eigene Sprache reden in wagehalſigen Sprüngen über
Felſen, im liſtigen Suchen und Finden der Auswege —
— Gott bewahre es nur vor dem Verlaufen im
Sande! …

So fahre ich fort:

Es war, wie geſagt, ein trauriger unheimlicher Tag,
aber nicht er war es, der damals ſo ſchwer auf meine
Seele drückte. An jenem Tage ſah ich von dem Fenſter
dort drüben, die Fenſter der Kammer meiner jetzigen
Wohnung weit geöffnet trotz der Kälte, trotz dem Regen.
Die weißen Vorhänge waren herabgelaſſen und an den
Seiten befeſtigt, damit der Wind, welcher ſie heftig hin
und her bewegte, ſie nicht abriſſe.

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[24/0034] Kommens. Dieſe ſind denn auch mit die Anhaltepunkte, an welche ich bei meinem Rückgedenken den ſtellenweis unterbrochenen Faden meiner Chronik wieder anknüpfe. Einem Wäſſerchen will ich dieſe Chronik vergleichen, einem Wäſſerchen, welches ſich aus dem Schooß der Erde mühevoll losringt und anfangs trübe, noch die Spu- ren ſeiner dunklen, ſchmerzenvollen Geburtsſtätte an ſich trägt. Bald aber wird es in das helle Sonnenlicht ſprudeln, Blumen werden ſich in ihm ſpiegeln, Vögel- chen werden ihre Schnäbel in ihm netzen. An dieſer Stelle werdet Ihr es faſt zu verlieren glauben, an je- ner wird es fröhlich wieder hervorhüpfen. Es wird ſeine eigene Sprache reden in wagehalſigen Sprüngen über Felſen, im liſtigen Suchen und Finden der Auswege — — Gott bewahre es nur vor dem Verlaufen im Sande! … So fahre ich fort: Es war, wie geſagt, ein trauriger unheimlicher Tag, aber nicht er war es, der damals ſo ſchwer auf meine Seele drückte. An jenem Tage ſah ich von dem Fenſter dort drüben, die Fenſter der Kammer meiner jetzigen Wohnung weit geöffnet trotz der Kälte, trotz dem Regen. Die weißen Vorhänge waren herabgelaſſen und an den Seiten befeſtigt, damit der Wind, welcher ſie heftig hin und her bewegte, ſie nicht abriſſe.

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/34>, abgerufen am 21.11.2024.