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Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

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nicht ganz verrückt zu werden, als seinen Sinn und
seine Gedanken auf allerlei Dinge zu richten, auf die
vor ihm noch kein Bauer auf der rothen Schanze ge-
kommen war? Daß ich, Heinrich Schaumann, ge-
nannt Stopfkuchen, ihm dabei zu Hülfe kommen
konnte, mochte Zufall sein, war aber unbedingt
Schicksal. -- Da war zuerst die Geschichte seiner
Burg; und ich sagte ihm: ,Herr Quakatz, von hier
aus hat der Prinz von Sachsen eine ganze Menge
Menschen drunten in der Stadt ums Leben gebracht.'

,Ja, Junge, in der Schwedenzeit.'

,Nein, Herr Quakatz. So lange ist's noch gar
nicht her. Im siebenjährigen Kriege ist's gewesen.'

,Kannst Du mir welche mit Namen nennen?'

,Nein, aber ich kann den Herrn Registrator
Schwartner nach ihnen fragen und sie Ihnen bei
ihm aufschreiben. Er hat sie alle schriftlich.'

,Dann bring mir mal das Register mit heraus,
Dicker. Aber sag' nicht, daß ich es habe haben wollen.
Sie möchten sich sonst wieder was denken.'

"Und an einem der nächsten Tage schon steckten
wir statt über dem Corpus juris, die Köpfe über
meiner Abschrift aus der Sammlung des alten
Schwartner zusammen, und der Bauer auf der rothen
Schanze suchte herauszubringen, welche Leute heute
die Rechtsnachfolger der Todtgeschlagenen von Sieben-
zehnhunderteinundsechzig waren und möglicherweise
die Rechtsnachfolger des Grafen von der Lausitz
darob verklagen konnten. Was für ein Trost damals
für den Papa hierin lag, Tinchen, war mir zu jener

nicht ganz verrückt zu werden, als ſeinen Sinn und
ſeine Gedanken auf allerlei Dinge zu richten, auf die
vor ihm noch kein Bauer auf der rothen Schanze ge-
kommen war? Daß ich, Heinrich Schaumann, ge-
nannt Stopfkuchen, ihm dabei zu Hülfe kommen
konnte, mochte Zufall ſein, war aber unbedingt
Schickſal. — Da war zuerſt die Geſchichte ſeiner
Burg; und ich ſagte ihm: ‚Herr Quakatz, von hier
aus hat der Prinz von Sachſen eine ganze Menge
Menſchen drunten in der Stadt ums Leben gebracht.‘

‚Ja, Junge, in der Schwedenzeit.‘

‚Nein, Herr Quakatz. So lange iſt's noch gar
nicht her. Im ſiebenjährigen Kriege iſt's geweſen.‘

‚Kannſt Du mir welche mit Namen nennen?‘

‚Nein, aber ich kann den Herrn Regiſtrator
Schwartner nach ihnen fragen und ſie Ihnen bei
ihm aufſchreiben. Er hat ſie alle ſchriftlich.‘

‚Dann bring mir mal das Regiſter mit heraus,
Dicker. Aber ſag' nicht, daß ich es habe haben wollen.
Sie möchten ſich ſonſt wieder was denken.‘

„Und an einem der nächſten Tage ſchon ſteckten
wir ſtatt über dem Corpus juris, die Köpfe über
meiner Abſchrift aus der Sammlung des alten
Schwartner zuſammen, und der Bauer auf der rothen
Schanze ſuchte herauszubringen, welche Leute heute
die Rechtsnachfolger der Todtgeſchlagenen von Sieben-
zehnhunderteinundſechzig waren und möglicherweiſe
die Rechtsnachfolger des Grafen von der Lauſitz
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[130/0140] nicht ganz verrückt zu werden, als ſeinen Sinn und ſeine Gedanken auf allerlei Dinge zu richten, auf die vor ihm noch kein Bauer auf der rothen Schanze ge- kommen war? Daß ich, Heinrich Schaumann, ge- nannt Stopfkuchen, ihm dabei zu Hülfe kommen konnte, mochte Zufall ſein, war aber unbedingt Schickſal. — Da war zuerſt die Geſchichte ſeiner Burg; und ich ſagte ihm: ‚Herr Quakatz, von hier aus hat der Prinz von Sachſen eine ganze Menge Menſchen drunten in der Stadt ums Leben gebracht.‘ ‚Ja, Junge, in der Schwedenzeit.‘ ‚Nein, Herr Quakatz. So lange iſt's noch gar nicht her. Im ſiebenjährigen Kriege iſt's geweſen.‘ ‚Kannſt Du mir welche mit Namen nennen?‘ ‚Nein, aber ich kann den Herrn Regiſtrator Schwartner nach ihnen fragen und ſie Ihnen bei ihm aufſchreiben. Er hat ſie alle ſchriftlich.‘ ‚Dann bring mir mal das Regiſter mit heraus, Dicker. Aber ſag' nicht, daß ich es habe haben wollen. Sie möchten ſich ſonſt wieder was denken.‘ „Und an einem der nächſten Tage ſchon ſteckten wir ſtatt über dem Corpus juris, die Köpfe über meiner Abſchrift aus der Sammlung des alten Schwartner zuſammen, und der Bauer auf der rothen Schanze ſuchte herauszubringen, welche Leute heute die Rechtsnachfolger der Todtgeſchlagenen von Sieben- zehnhunderteinundſechzig waren und möglicherweiſe die Rechtsnachfolger des Grafen von der Lauſitz darob verklagen konnten. Was für ein Troſt damals für den Papa hierin lag, Tinchen, war mir zu jener

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/140>, abgerufen am 19.05.2024.