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Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

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je besteigen werde! Auch zur praktischen Ausübung
der Arzneikunst reichte meine Kenntniß der Osteologie
doch nicht aus. Meine Mutter war todt. Freunde
hatte ich nicht -- auch Du theuerster meiner Freunde,
warst in der Ferne, wenn ich nicht irre bereits als
Schiffsarzt ununterbrochen auf dem Wege zwischen
Hamburg und New-York und New-York und Ham-
burg. Was mein Vater sagte? nun so juckt es mich
natürlich, das meinige dazu zu bemerken; aber ich
lasse es doch lieber. Es mischt sich da zum bissigen Nach-
tragen doch etwas wie Gewissensbisse ein. Er war
recht grob und hatte sehr das Recht dazu. Als er
mir erklärte, da die Welt nichts mit mir anzufangen
wisse, so könne ich nicht verlangen, daß er zum zehnten
Male den Versuch mache, mit mir was zu beginnen,
war mir in der That nichts geblieben, was ich da-
gegen einwenden konnte. ,Geh zu Deinem Mord-
bauern, dem Quakatz!' brauchte er gerade nicht mir
vorzuschlagen; aber es war kein übler Rath. Ob er
an jenem unbehaglichen Abend, an welchem wir das
Fazit unseres gegenseitigen Verhältnisses in der Welt
und im Leben zogen, der Meinung war, daß ich ihn
auf der Stelle befolgen werde, weiß ich nicht, glaube
ich eigentlich auch nicht. Aber er rief mich auch nicht
zurück, als ich ihm von der Thürschwelle zumurrte:
,Moriturus te salutat!' Der gute Alte! Er hätte
freilich für seine dürren Subalternbeamtengefühle
einen strebenderen, einen weniger gemüthlichen, einen
weniger bequemen, einen weniger feisten Sprößling
verdient: aber konnte ich dafür, daß ich sein Sohn

W. Raabe. Stopfkuchen. 12

je beſteigen werde! Auch zur praktiſchen Ausübung
der Arzneikunſt reichte meine Kenntniß der Oſteologie
doch nicht aus. Meine Mutter war todt. Freunde
hatte ich nicht — auch Du theuerſter meiner Freunde,
warſt in der Ferne, wenn ich nicht irre bereits als
Schiffsarzt ununterbrochen auf dem Wege zwiſchen
Hamburg und New-York und New-York und Ham-
burg. Was mein Vater ſagte? nun ſo juckt es mich
natürlich, das meinige dazu zu bemerken; aber ich
laſſe es doch lieber. Es miſcht ſich da zum biſſigen Nach-
tragen doch etwas wie Gewiſſensbiſſe ein. Er war
recht grob und hatte ſehr das Recht dazu. Als er
mir erklärte, da die Welt nichts mit mir anzufangen
wiſſe, ſo könne ich nicht verlangen, daß er zum zehnten
Male den Verſuch mache, mit mir was zu beginnen,
war mir in der That nichts geblieben, was ich da-
gegen einwenden konnte. ‚Geh zu Deinem Mord-
bauern, dem Quakatz!‘ brauchte er gerade nicht mir
vorzuſchlagen; aber es war kein übler Rath. Ob er
an jenem unbehaglichen Abend, an welchem wir das
Fazit unſeres gegenſeitigen Verhältniſſes in der Welt
und im Leben zogen, der Meinung war, daß ich ihn
auf der Stelle befolgen werde, weiß ich nicht, glaube
ich eigentlich auch nicht. Aber er rief mich auch nicht
zurück, als ich ihm von der Thürſchwelle zumurrte:
‚Moriturus te salutat! Der gute Alte! Er hätte
freilich für ſeine dürren Subalternbeamtengefühle
einen ſtrebenderen, einen weniger gemüthlichen, einen
weniger bequemen, einen weniger feiſten Sprößling
verdient: aber konnte ich dafür, daß ich ſein Sohn

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[177/0187] je beſteigen werde! Auch zur praktiſchen Ausübung der Arzneikunſt reichte meine Kenntniß der Oſteologie doch nicht aus. Meine Mutter war todt. Freunde hatte ich nicht — auch Du theuerſter meiner Freunde, warſt in der Ferne, wenn ich nicht irre bereits als Schiffsarzt ununterbrochen auf dem Wege zwiſchen Hamburg und New-York und New-York und Ham- burg. Was mein Vater ſagte? nun ſo juckt es mich natürlich, das meinige dazu zu bemerken; aber ich laſſe es doch lieber. Es miſcht ſich da zum biſſigen Nach- tragen doch etwas wie Gewiſſensbiſſe ein. Er war recht grob und hatte ſehr das Recht dazu. Als er mir erklärte, da die Welt nichts mit mir anzufangen wiſſe, ſo könne ich nicht verlangen, daß er zum zehnten Male den Verſuch mache, mit mir was zu beginnen, war mir in der That nichts geblieben, was ich da- gegen einwenden konnte. ‚Geh zu Deinem Mord- bauern, dem Quakatz!‘ brauchte er gerade nicht mir vorzuſchlagen; aber es war kein übler Rath. Ob er an jenem unbehaglichen Abend, an welchem wir das Fazit unſeres gegenſeitigen Verhältniſſes in der Welt und im Leben zogen, der Meinung war, daß ich ihn auf der Stelle befolgen werde, weiß ich nicht, glaube ich eigentlich auch nicht. Aber er rief mich auch nicht zurück, als ich ihm von der Thürſchwelle zumurrte: ‚Moriturus te salutat!‘ Der gute Alte! Er hätte freilich für ſeine dürren Subalternbeamtengefühle einen ſtrebenderen, einen weniger gemüthlichen, einen weniger bequemen, einen weniger feiſten Sprößling verdient: aber konnte ich dafür, daß ich ſein Sohn W. Raabe. Stopfkuchen. 12

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/187>, abgerufen am 23.11.2024.