Gott sei Dank, erkannte er mich aber doch zuletzt und begriff, daß ich für diese Nacht eine Schlafstelle in seiner Burg brauche, und nahm die Hausmütze ab und murmelte: ,S'ist der dicke gelehrte Junge aus der Stadt! s'ist Heinrich! wenn er sein Latein bei sich hat, kann er dableiben. Gib ihm eine Birne, Tine und mach ihm ein Bett; aber gib ihm auch die Axt mit. Mit der soll er jedem den Schädel einschlagen, der sagt, daß ich Kienbaum todtgeschlagen habe.' -- Das sah selbst Tine ein, daß sie hier nichts weiter machen konnte, als mich machen zu lassen. Und es ging ja denn auch ganz gut. Ich bekam meine Schlafstelle zum erstenmal auf der rothen Schanze, und am andern Morgen schien die Sonne auf den Schnee, und -- ich werde heute noch poetisch! -- wie auf ein ausgebreitetes Brautkleid aus der Krinolinen- zeit. An diesem andern Morgen hatte das Herze na- türlich auch einen außergewöhnlich guten Kaffee ge- kocht, und bei demselben ließ ich das Ingesinde vortreten, und der Bauer auf der rothen Schanze stellte mich bei vollständig klarem Bewußtsein dem Reich als Major domus, oder, wie er sich ausdrückte, als den neuen Administrator vor. Das Gericht, das sich früher in seinem Leben so viel um ihn gekümmert hatte, schien ihn in der letzten Zeit gänzlich aus den Augen verloren zu haben. Es schien sein Interesse an ihm nur als an Kienbaums Mörder genommen zu haben; und das war jetzt und zwar was alle be- theiligten Parteien anging, ein Glück und ein Segen; wenn Du die Freundlichkeit haben willst, Eduard, nach
Gott ſei Dank, erkannte er mich aber doch zuletzt und begriff, daß ich für dieſe Nacht eine Schlafſtelle in ſeiner Burg brauche, und nahm die Hausmütze ab und murmelte: ‚S'iſt der dicke gelehrte Junge aus der Stadt! ſ'iſt Heinrich! wenn er ſein Latein bei ſich hat, kann er dableiben. Gib ihm eine Birne, Tine und mach ihm ein Bett; aber gib ihm auch die Axt mit. Mit der ſoll er jedem den Schädel einſchlagen, der ſagt, daß ich Kienbaum todtgeſchlagen habe.‘ — Das ſah ſelbſt Tine ein, daß ſie hier nichts weiter machen konnte, als mich machen zu laſſen. Und es ging ja denn auch ganz gut. Ich bekam meine Schlafſtelle zum erſtenmal auf der rothen Schanze, und am andern Morgen ſchien die Sonne auf den Schnee, und — ich werde heute noch poetiſch! — wie auf ein ausgebreitetes Brautkleid aus der Krinolinen- zeit. An dieſem andern Morgen hatte das Herze na- türlich auch einen außergewöhnlich guten Kaffee ge- kocht, und bei demſelben ließ ich das Ingeſinde vortreten, und der Bauer auf der rothen Schanze ſtellte mich bei vollſtändig klarem Bewußtſein dem Reich als Major domus, oder, wie er ſich ausdrückte, als den neuen Adminiſtrator vor. Das Gericht, das ſich früher in ſeinem Leben ſo viel um ihn gekümmert hatte, ſchien ihn in der letzten Zeit gänzlich aus den Augen verloren zu haben. Es ſchien ſein Intereſſe an ihm nur als an Kienbaums Mörder genommen zu haben; und das war jetzt und zwar was alle be- theiligten Parteien anging, ein Glück und ein Segen; wenn Du die Freundlichkeit haben willſt, Eduard, nach
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Gott ſei Dank, erkannte er mich aber doch zuletzt und
begriff, daß ich für dieſe Nacht eine Schlafſtelle in ſeiner
Burg brauche, und nahm die Hausmütze ab und
murmelte: ‚S'iſt der dicke gelehrte Junge aus der
Stadt! ſ'iſt Heinrich! wenn er ſein Latein bei ſich
hat, kann er dableiben. Gib ihm eine Birne, Tine
und mach ihm ein Bett; aber gib ihm auch die Axt
mit. Mit der ſoll er jedem den Schädel einſchlagen,
der ſagt, daß ich Kienbaum todtgeſchlagen habe.‘ —
Das ſah ſelbſt Tine ein, daß ſie hier nichts weiter
machen konnte, als mich machen zu laſſen. Und es
ging ja denn auch ganz gut. Ich bekam meine
Schlafſtelle zum erſtenmal auf der rothen Schanze,
und am andern Morgen ſchien die Sonne auf den
Schnee, und — ich werde heute noch poetiſch! — wie
auf ein ausgebreitetes Brautkleid aus der Krinolinen-
zeit. An dieſem andern Morgen hatte das Herze na-
türlich auch einen außergewöhnlich guten Kaffee ge-
kocht, und bei demſelben ließ ich das Ingeſinde
vortreten, und der Bauer auf der rothen Schanze ſtellte
mich bei vollſtändig klarem Bewußtſein dem Reich
als Major domus, oder, wie er ſich ausdrückte, als
den neuen Adminiſtrator vor. Das Gericht, das ſich
früher in ſeinem Leben ſo viel um ihn gekümmert
hatte, ſchien ihn in der letzten Zeit gänzlich aus den
Augen verloren zu haben. Es ſchien ſein Intereſſe
an ihm nur als an Kienbaums Mörder genommen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/197>, abgerufen am 23.11.2024.
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