kommen; und wenn es nicht eine so schauderhafte That wäre, wäre garnichts Besonderes dran. O Du lieber, barmherziger Himmel, wovon hängt es doch ab, daß der Mensch seine ruhigen Lebensstunden und Nächte und sein reines Gewissen behält; oder sie sich oder einem Andern wie Ihrem Herrn Schwiegervater, Herr Schau- mann, hier sein ganzes Dasein verderben muß? Gerad so ein schöner Abend wie heute war's, bloß ein bißchen gewitterschwüler als wie heute. Und ich hatte einen sauern Tag gehabt -- die Tasche voll und dazu ein halb Dutzend Geldbriefe, was mir immer das Beschwerlichste gewesen ist, von wegen der Ver- antwortlichkeit und genauer Eintragung und nach- heriger Abrechnung im Bureau. Ich fühle es durch alle Knochen, wie ich von Kräften bin, und schleiche her und komme hierher in den Papenbusch, als die Dämmerung sich eben ins Gehölz genistet hat. ,Der ewige Jude bist Du doch nicht, Störzer,' sage ich mir. ,Fünf Minuten wird's ja mal Zeit haben,' und da faßt mich der Teufel, oder der liebe Herrgott will's, und ich setze mich die fünf Minuten hier auf den Grabenrand: o hätte mir doch der Himmel lieber fünf Minuten vorher einen durchgehenden, vier- spännigen Heuwagen über den Leib gehen lassen! ,Und jetzt fehlte Dir noch Kienbaum bei Deinem jetzigen Kaputsein,' muß ich auch noch sagen. Und in dem nämlichen Augenblick muß ich auch schon aufhorchen, denn dort um die Ecke her kommt Räderwerk, und ich höre schon von Weitem wie Einer auf seine Gäule haut und schreit; ,Verfluchte Karnaljen!' Da fährt's
kommen; und wenn es nicht eine ſo ſchauderhafte That wäre, wäre garnichts Beſonderes dran. O Du lieber, barmherziger Himmel, wovon hängt es doch ab, daß der Menſch ſeine ruhigen Lebensſtunden und Nächte und ſein reines Gewiſſen behält; oder ſie ſich oder einem Andern wie Ihrem Herrn Schwiegervater, Herr Schau- mann, hier ſein ganzes Daſein verderben muß? Gerad ſo ein ſchöner Abend wie heute war's, bloß ein bißchen gewitterſchwüler als wie heute. Und ich hatte einen ſauern Tag gehabt — die Taſche voll und dazu ein halb Dutzend Geldbriefe, was mir immer das Beſchwerlichſte geweſen iſt, von wegen der Ver- antwortlichkeit und genauer Eintragung und nach- heriger Abrechnung im Bureau. Ich fühle es durch alle Knochen, wie ich von Kräften bin, und ſchleiche her und komme hierher in den Papenbuſch, als die Dämmerung ſich eben ins Gehölz geniſtet hat. ‚Der ewige Jude biſt Du doch nicht, Störzer,‘ ſage ich mir. ‚Fünf Minuten wird's ja mal Zeit haben,‘ und da faßt mich der Teufel, oder der liebe Herrgott will's, und ich ſetze mich die fünf Minuten hier auf den Grabenrand: o hätte mir doch der Himmel lieber fünf Minuten vorher einen durchgehenden, vier- ſpännigen Heuwagen über den Leib gehen laſſen! ‚Und jetzt fehlte Dir noch Kienbaum bei Deinem jetzigen Kaputſein,‘ muß ich auch noch ſagen. Und in dem nämlichen Augenblick muß ich auch ſchon aufhorchen, denn dort um die Ecke her kommt Räderwerk, und ich höre ſchon von Weitem wie Einer auf ſeine Gäule haut und ſchreit; ‚Verfluchte Karnaljen!‘ Da fährt's
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kommen; und wenn es nicht eine ſo ſchauderhafte
That wäre, wäre garnichts Beſonderes dran. O Du
lieber, barmherziger Himmel, wovon hängt es doch ab,
daß der Menſch ſeine ruhigen Lebensſtunden und Nächte
und ſein reines Gewiſſen behält; oder ſie ſich oder einem
Andern wie Ihrem Herrn Schwiegervater, Herr Schau-
mann, hier ſein ganzes Daſein verderben muß? Gerad
ſo ein ſchöner Abend wie heute war's, bloß ein
bißchen gewitterſchwüler als wie heute. Und ich hatte
einen ſauern Tag gehabt — die Taſche voll und
dazu ein halb Dutzend Geldbriefe, was mir immer
das Beſchwerlichſte geweſen iſt, von wegen der Ver-
antwortlichkeit und genauer Eintragung und nach-
heriger Abrechnung im Bureau. Ich fühle es durch
alle Knochen, wie ich von Kräften bin, und ſchleiche
her und komme hierher in den Papenbuſch, als die
Dämmerung ſich eben ins Gehölz geniſtet hat. ‚Der
ewige Jude biſt Du doch nicht, Störzer,‘ ſage ich
mir. ‚Fünf Minuten wird's ja mal Zeit haben,‘ und
da faßt mich der Teufel, oder der liebe Herrgott
will's, und ich ſetze mich die fünf Minuten hier
auf den Grabenrand: o hätte mir doch der Himmel
lieber fünf Minuten vorher einen durchgehenden, vier-
ſpännigen Heuwagen über den Leib gehen laſſen!
‚Und jetzt fehlte Dir noch Kienbaum bei Deinem jetzigen
Kaputſein,‘ muß ich auch noch ſagen. Und in dem
nämlichen Augenblick muß ich auch ſchon aufhorchen,
denn dort um die Ecke her kommt Räderwerk, und
ich höre ſchon von Weitem wie Einer auf ſeine Gäule
haut und ſchreit; ‚Verfluchte Karnaljen!‘ Da fährt's
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/270>, abgerufen am 21.11.2024.
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