Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

Es freut mich sehr, daß ich Dich eben noch getroffen
habe, um auch Dir für diesmal aufs Herzlichste Lebe-
wohl zu sagen."

"Aber Eduard? Eduard, Du scherzest! wie kommt
denn das so rasch, so plötzlich?"

Glücklicherweise kam in diesem Augenblick der
kümmerliche, ärmliche Leichenzug um die Ecke und
überhob mich der Antwort. Der so wunderlich aller
irdischen Sühne entschlüpfte Todtschläger ging dem
Freunde doch noch mehr über allen Spaß als wie
meine plötzliche Abreise. Das Schauspiel fesselte so
sehr seine ganze Aufmerksamkeit, daß ich gleichfalls
entschlüpfen konnte, nachdem auch ich dem Sarge
meines ältesten Freundes in der Stadt noch einen
letzten kurzen Blick hatte schenken können.

Dieser arme Sarg -- jetzt mit einem Gefolge,
das nur aus einer Frau mit einem Kinde auf dem
Arme und einem an der Schürze bestand! . . .

Sie hatten alle das Geleit verweigert, die sonst
wohl dazu gehört haben würden. Auch die kaiserliche
Post hatte es nicht mehr für schicklich erachtet, ihre
niedern Bediensteten dem alten Weltwanderer, dem
guten Beamten aber sehr verstohlenen Mordgesellen
hinterdrein zu schicken; und sie war ganz gewiß dabei
nicht im Unrecht, sie hatte vollkommen Recht.

"Nun, er hat es sich und dem unglücklichen
Frauenzimmer ja schon gestern Abend versprochen,
hier an Kinder und Enkel zu denken," sagte ich, den
Bahnhof erreichend. Es ging gerade ein früher Ver-
gnügungszug südwärts durch, und es wimmelte von

Es freut mich ſehr, daß ich Dich eben noch getroffen
habe, um auch Dir für diesmal aufs Herzlichſte Lebe-
wohl zu ſagen.“

„Aber Eduard? Eduard, Du ſcherzeſt! wie kommt
denn das ſo raſch, ſo plötzlich?“

Glücklicherweiſe kam in dieſem Augenblick der
kümmerliche, ärmliche Leichenzug um die Ecke und
überhob mich der Antwort. Der ſo wunderlich aller
irdiſchen Sühne entſchlüpfte Todtſchläger ging dem
Freunde doch noch mehr über allen Spaß als wie
meine plötzliche Abreiſe. Das Schauſpiel feſſelte ſo
ſehr ſeine ganze Aufmerkſamkeit, daß ich gleichfalls
entſchlüpfen konnte, nachdem auch ich dem Sarge
meines älteſten Freundes in der Stadt noch einen
letzten kurzen Blick hatte ſchenken können.

Dieſer arme Sarg — jetzt mit einem Gefolge,
das nur aus einer Frau mit einem Kinde auf dem
Arme und einem an der Schürze beſtand! . . .

Sie hatten alle das Geleit verweigert, die ſonſt
wohl dazu gehört haben würden. Auch die kaiſerliche
Poſt hatte es nicht mehr für ſchicklich erachtet, ihre
niedern Bedienſteten dem alten Weltwanderer, dem
guten Beamten aber ſehr verſtohlenen Mordgeſellen
hinterdrein zu ſchicken; und ſie war ganz gewiß dabei
nicht im Unrecht, ſie hatte vollkommen Recht.

„Nun, er hat es ſich und dem unglücklichen
Frauenzimmer ja ſchon geſtern Abend verſprochen,
hier an Kinder und Enkel zu denken,“ ſagte ich, den
Bahnhof erreichend. Es ging gerade ein früher Ver-
gnügungszug ſüdwärts durch, und es wimmelte von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0288" n="278"/>
Es freut mich &#x017F;ehr, daß ich Dich eben noch getroffen<lb/>
habe, um auch Dir für diesmal aufs Herzlich&#x017F;te Lebe-<lb/>
wohl zu &#x017F;agen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber Eduard? Eduard, Du &#x017F;cherze&#x017F;t! wie kommt<lb/>
denn das &#x017F;o ra&#x017F;ch, &#x017F;o plötzlich?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Glücklicherwei&#x017F;e kam in die&#x017F;em Augenblick der<lb/>
kümmerliche, ärmliche Leichenzug um die Ecke und<lb/>
überhob mich der Antwort. Der &#x017F;o wunderlich aller<lb/>
irdi&#x017F;chen Sühne ent&#x017F;chlüpfte Todt&#x017F;chläger ging dem<lb/>
Freunde doch noch mehr über allen Spaß als wie<lb/>
meine plötzliche Abrei&#x017F;e. Das Schau&#x017F;piel fe&#x017F;&#x017F;elte &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ehr &#x017F;eine ganze Aufmerk&#x017F;amkeit, daß ich gleichfalls<lb/>
ent&#x017F;chlüpfen konnte, nachdem auch ich dem Sarge<lb/>
meines älte&#x017F;ten Freundes in der Stadt noch einen<lb/>
letzten kurzen Blick hatte &#x017F;chenken können.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;er arme Sarg &#x2014; jetzt mit einem Gefolge,<lb/>
das nur aus einer Frau mit einem Kinde auf dem<lb/>
Arme und einem an der Schürze be&#x017F;tand! . . .</p><lb/>
        <p>Sie hatten alle das Geleit verweigert, die &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
wohl dazu gehört haben würden. Auch die kai&#x017F;erliche<lb/>
Po&#x017F;t hatte es nicht mehr für &#x017F;chicklich erachtet, ihre<lb/>
niedern Bedien&#x017F;teten dem alten Weltwanderer, dem<lb/>
guten Beamten aber &#x017F;ehr ver&#x017F;tohlenen Mordge&#x017F;ellen<lb/>
hinterdrein zu &#x017F;chicken; und &#x017F;ie war ganz gewiß dabei<lb/>
nicht im Unrecht, &#x017F;ie hatte vollkommen Recht.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nun, er hat es &#x017F;ich und dem unglücklichen<lb/>
Frauenzimmer ja &#x017F;chon ge&#x017F;tern Abend ver&#x017F;prochen,<lb/>
hier an Kinder und Enkel zu denken,&#x201C; &#x017F;agte ich, den<lb/>
Bahnhof erreichend. Es ging gerade ein früher Ver-<lb/>
gnügungszug &#x017F;üdwärts durch, und es wimmelte von<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0288] Es freut mich ſehr, daß ich Dich eben noch getroffen habe, um auch Dir für diesmal aufs Herzlichſte Lebe- wohl zu ſagen.“ „Aber Eduard? Eduard, Du ſcherzeſt! wie kommt denn das ſo raſch, ſo plötzlich?“ Glücklicherweiſe kam in dieſem Augenblick der kümmerliche, ärmliche Leichenzug um die Ecke und überhob mich der Antwort. Der ſo wunderlich aller irdiſchen Sühne entſchlüpfte Todtſchläger ging dem Freunde doch noch mehr über allen Spaß als wie meine plötzliche Abreiſe. Das Schauſpiel feſſelte ſo ſehr ſeine ganze Aufmerkſamkeit, daß ich gleichfalls entſchlüpfen konnte, nachdem auch ich dem Sarge meines älteſten Freundes in der Stadt noch einen letzten kurzen Blick hatte ſchenken können. Dieſer arme Sarg — jetzt mit einem Gefolge, das nur aus einer Frau mit einem Kinde auf dem Arme und einem an der Schürze beſtand! . . . Sie hatten alle das Geleit verweigert, die ſonſt wohl dazu gehört haben würden. Auch die kaiſerliche Poſt hatte es nicht mehr für ſchicklich erachtet, ihre niedern Bedienſteten dem alten Weltwanderer, dem guten Beamten aber ſehr verſtohlenen Mordgeſellen hinterdrein zu ſchicken; und ſie war ganz gewiß dabei nicht im Unrecht, ſie hatte vollkommen Recht. „Nun, er hat es ſich und dem unglücklichen Frauenzimmer ja ſchon geſtern Abend verſprochen, hier an Kinder und Enkel zu denken,“ ſagte ich, den Bahnhof erreichend. Es ging gerade ein früher Ver- gnügungszug ſüdwärts durch, und es wimmelte von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/288
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/288>, abgerufen am 24.11.2024.