Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

hob es hinter dem Bauerneßtisch hervor, er trug es
weg, trug es aus dem Hause und setzte es wieder
hin auf den Wall des Prinzen Xaver von Sachsen.
Valentine ließ es sich ruhig gefallen, und ich -- ich
folgte verblüfft, betäubt, zweifelnd -- kurz, Stopf-
kuchen hätte gesagt: "wie ein Schaf!" Wenn aber
Stopfkuchen jetzt auch noch Flügel entfaltet hätte und
mit der Erbtochter von der rothen Schanze, mit dem
Kinde von Kienbaums Mörder langsam, aber immer
höher, höher, höher in den blauen Frühlingshimmel
aufgestiegen wäre, so hätte ich willenlos mir auch
das gefallen lassen müssen und hätte höchstens fragen
dürfen: "Ist es denn die Möglichkeit?"

Wir standen wieder auf der grüngrasigen Wall-
höhe des alten Kriegskunststücks des Herrn Grafen
von der Lausitz -- wir beiden angehenden Studenten
und Valentine Quakatz: Heinrich und Tinchen Arm
in Arm.

Plötzlich stieß der närrische Mensch, Stopfkuchen,
einen jauchzenden Ruf aus, schlug mich auf die
Schulter, daß ich in die Kniee schoß und sagte wie
aus tiefstem Magen heraus:

"Und es ist, Eines ins Andere gerechnet, doch
so ungemüthlich nicht, daß der Sachse und der Franzos
Anno Siebenzehnhunderteinundsechzig das Nest da
unten nicht gänzlich ausgerottet, und also auch uns
unmöglich gemacht haben. Wie nett es eigentlich,
so im Ganzen, da doch liegt und durch die Güte des
Herrn dem siebenjährigen Kriege zum Trotz liegen
geblieben ist. Ja, Flur, wo wir als Knaben spielten --

hob es hinter dem Bauerneßtiſch hervor, er trug es
weg, trug es aus dem Hauſe und ſetzte es wieder
hin auf den Wall des Prinzen Xaver von Sachſen.
Valentine ließ es ſich ruhig gefallen, und ich — ich
folgte verblüfft, betäubt, zweifelnd — kurz, Stopf-
kuchen hätte geſagt: „wie ein Schaf!“ Wenn aber
Stopfkuchen jetzt auch noch Flügel entfaltet hätte und
mit der Erbtochter von der rothen Schanze, mit dem
Kinde von Kienbaums Mörder langſam, aber immer
höher, höher, höher in den blauen Frühlingshimmel
aufgeſtiegen wäre, ſo hätte ich willenlos mir auch
das gefallen laſſen müſſen und hätte höchſtens fragen
dürfen: „Iſt es denn die Möglichkeit?“

Wir ſtanden wieder auf der grüngraſigen Wall-
höhe des alten Kriegskunſtſtücks des Herrn Grafen
von der Lauſitz — wir beiden angehenden Studenten
und Valentine Quakatz: Heinrich und Tinchen Arm
in Arm.

Plötzlich ſtieß der närriſche Menſch, Stopfkuchen,
einen jauchzenden Ruf aus, ſchlug mich auf die
Schulter, daß ich in die Kniee ſchoß und ſagte wie
aus tiefſtem Magen heraus:

„Und es iſt, Eines ins Andere gerechnet, doch
ſo ungemüthlich nicht, daß der Sachſe und der Franzos
Anno Siebenzehnhunderteinundſechzig das Neſt da
unten nicht gänzlich ausgerottet, und alſo auch uns
unmöglich gemacht haben. Wie nett es eigentlich,
ſo im Ganzen, da doch liegt und durch die Güte des
Herrn dem ſiebenjährigen Kriege zum Trotz liegen
geblieben iſt. Ja, Flur, wo wir als Knaben ſpielten —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0065" n="55"/>
hob es hinter dem Bauerneßti&#x017F;ch hervor, er trug es<lb/>
weg, trug es aus dem Hau&#x017F;e und &#x017F;etzte es wieder<lb/>
hin auf den Wall des <choice><sic>Prinzeu</sic><corr>Prinzen</corr></choice> Xaver von Sach&#x017F;en.<lb/>
Valentine ließ es &#x017F;ich ruhig gefallen, und ich &#x2014; ich<lb/>
folgte verblüfft, betäubt, zweifelnd &#x2014; kurz, Stopf-<lb/>
kuchen hätte ge&#x017F;agt: &#x201E;wie ein Schaf!&#x201C; Wenn aber<lb/>
Stopfkuchen jetzt auch noch Flügel entfaltet hätte und<lb/>
mit der Erbtochter von der rothen Schanze, mit dem<lb/>
Kinde von Kienbaums Mörder lang&#x017F;am, aber immer<lb/>
höher, höher, höher in den blauen Frühlingshimmel<lb/>
aufge&#x017F;tiegen wäre, &#x017F;o hätte ich willenlos mir auch<lb/><hi rendition="#g">das</hi> gefallen la&#x017F;&#x017F;en mü&#x017F;&#x017F;en und hätte höch&#x017F;tens fragen<lb/>
dürfen: &#x201E;I&#x017F;t es denn die Möglichkeit?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wir &#x017F;tanden wieder auf der grüngra&#x017F;igen Wall-<lb/>
höhe des alten Kriegskun&#x017F;t&#x017F;tücks des Herrn Grafen<lb/>
von der Lau&#x017F;itz &#x2014; wir beiden angehenden Studenten<lb/>
und Valentine Quakatz: Heinrich und Tinchen Arm<lb/>
in Arm.</p><lb/>
        <p>Plötzlich &#x017F;tieß der närri&#x017F;che Men&#x017F;ch, Stopfkuchen,<lb/>
einen jauchzenden Ruf aus, &#x017F;chlug mich auf die<lb/>
Schulter, daß ich in die Kniee &#x017F;choß und &#x017F;agte wie<lb/>
aus tief&#x017F;tem Magen heraus:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und es i&#x017F;t, Eines ins Andere gerechnet, doch<lb/>
&#x017F;o ungemüthlich nicht, daß der Sach&#x017F;e und der Franzos<lb/>
Anno Siebenzehnhunderteinund&#x017F;echzig das Ne&#x017F;t da<lb/>
unten nicht gänzlich ausgerottet, und al&#x017F;o auch uns<lb/>
unmöglich gemacht haben. Wie nett es eigentlich,<lb/>
&#x017F;o im Ganzen, da doch liegt und durch die Güte des<lb/>
Herrn dem &#x017F;iebenjährigen Kriege zum Trotz liegen<lb/>
geblieben i&#x017F;t. Ja, Flur, wo wir als Knaben &#x017F;pielten &#x2014;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0065] hob es hinter dem Bauerneßtiſch hervor, er trug es weg, trug es aus dem Hauſe und ſetzte es wieder hin auf den Wall des Prinzen Xaver von Sachſen. Valentine ließ es ſich ruhig gefallen, und ich — ich folgte verblüfft, betäubt, zweifelnd — kurz, Stopf- kuchen hätte geſagt: „wie ein Schaf!“ Wenn aber Stopfkuchen jetzt auch noch Flügel entfaltet hätte und mit der Erbtochter von der rothen Schanze, mit dem Kinde von Kienbaums Mörder langſam, aber immer höher, höher, höher in den blauen Frühlingshimmel aufgeſtiegen wäre, ſo hätte ich willenlos mir auch das gefallen laſſen müſſen und hätte höchſtens fragen dürfen: „Iſt es denn die Möglichkeit?“ Wir ſtanden wieder auf der grüngraſigen Wall- höhe des alten Kriegskunſtſtücks des Herrn Grafen von der Lauſitz — wir beiden angehenden Studenten und Valentine Quakatz: Heinrich und Tinchen Arm in Arm. Plötzlich ſtieß der närriſche Menſch, Stopfkuchen, einen jauchzenden Ruf aus, ſchlug mich auf die Schulter, daß ich in die Kniee ſchoß und ſagte wie aus tiefſtem Magen heraus: „Und es iſt, Eines ins Andere gerechnet, doch ſo ungemüthlich nicht, daß der Sachſe und der Franzos Anno Siebenzehnhunderteinundſechzig das Neſt da unten nicht gänzlich ausgerottet, und alſo auch uns unmöglich gemacht haben. Wie nett es eigentlich, ſo im Ganzen, da doch liegt und durch die Güte des Herrn dem ſiebenjährigen Kriege zum Trotz liegen geblieben iſt. Ja, Flur, wo wir als Knaben ſpielten —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/65
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/65>, abgerufen am 04.12.2024.