[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.Lebenslauf schön wäre? Jch sagte: Nein; und dieses brachtemich um alle mütterliche Liebe. Sie konnte mich nicht länger um sich leiden, und es ward beschlos- sen, mich auf eine Schule zu thun. Es geschah auch, und ich kam an einen Ort, wo ich etliche Jahre lang die Gründe der Sprache lernte. Man fand es für gut, mich auf eine andre Schule zu bringen; ich folgte willig, und man war anfäng- lich wohl mit mir zufrieden; es dauerte aber nicht lange. Einige meiner Mitschüler waren faul; ich verwies ihnen ihre Faulheit. Einige legten sich mit großem Eifer auf die Erlernung solcher Wissen- schaften, von denen ich glaubte, daß sie abgeschmackt, und einem Gelehrten nur zur Last wären. Einige waren hochmüthig, weil sie auf lateinisch und grie- chisch zu sagen wußten, wer sie erschaffen hätte. Diese versicherte ich, daß ich sie ohne Lachen nicht ansehen könnte. Keiner aber dankte mir wegen meiner Freymüthigkeit, und alle machte ich mir zu Feinden. Der Zorn eines meiner Lehrer, von dem ich das gegründete Urtheil fällte, er habe mehr Stär- ke in der Faust, als in der Gelehrsamkeit; dieser Zorn, sage ich, war so nachdrücklich, daß ich alsbald die Schule räumen, und in einer öffentlichen Ab- bitte mich bedanken mußte, daß man mich ohne wei- tern Schimpf gehen ließ. Dieser unvermuthete Streich hätte mich bald wieder
Lebenslauf ſchoͤn waͤre? Jch ſagte: Nein; und dieſes brachtemich um alle muͤtterliche Liebe. Sie konnte mich nicht laͤnger um ſich leiden, und es ward beſchloſ- ſen, mich auf eine Schule zu thun. Es geſchah auch, und ich kam an einen Ort, wo ich etliche Jahre lang die Gruͤnde der Sprache lernte. Man fand es fuͤr gut, mich auf eine andre Schule zu bringen; ich folgte willig, und man war anfaͤng- lich wohl mit mir zufrieden; es dauerte aber nicht lange. Einige meiner Mitſchuͤler waren faul; ich verwies ihnen ihre Faulheit. Einige legten ſich mit großem Eifer auf die Erlernung ſolcher Wiſſen- ſchaften, von denen ich glaubte, daß ſie abgeſchmackt, und einem Gelehrten nur zur Laſt waͤren. Einige waren hochmuͤthig, weil ſie auf lateiniſch und grie- chiſch zu ſagen wußten, wer ſie erſchaffen haͤtte. Dieſe verſicherte ich, daß ich ſie ohne Lachen nicht anſehen koͤnnte. Keiner aber dankte mir wegen meiner Freymuͤthigkeit, und alle machte ich mir zu Feinden. Der Zorn eines meiner Lehrer, von dem ich das gegruͤndete Urtheil faͤllte, er habe mehr Staͤr- ke in der Fauſt, als in der Gelehrſamkeit; dieſer Zorn, ſage ich, war ſo nachdruͤcklich, daß ich alsbald die Schule raͤumen, und in einer oͤffentlichen Ab- bitte mich bedanken mußte, daß man mich ohne wei- tern Schimpf gehen ließ. Dieſer unvermuthete Streich haͤtte mich bald wieder
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Lebenslauf
ſchoͤn waͤre? Jch ſagte: Nein; und dieſes brachte
mich um alle muͤtterliche Liebe. Sie konnte mich
nicht laͤnger um ſich leiden, und es ward beſchloſ-
ſen, mich auf eine Schule zu thun. Es geſchah
auch, und ich kam an einen Ort, wo ich etliche
Jahre lang die Gruͤnde der Sprache lernte. Man
fand es fuͤr gut, mich auf eine andre Schule zu
bringen; ich folgte willig, und man war anfaͤng-
lich wohl mit mir zufrieden; es dauerte aber nicht
lange. Einige meiner Mitſchuͤler waren faul; ich
verwies ihnen ihre Faulheit. Einige legten ſich
mit großem Eifer auf die Erlernung ſolcher Wiſſen-
ſchaften, von denen ich glaubte, daß ſie abgeſchmackt,
und einem Gelehrten nur zur Laſt waͤren. Einige
waren hochmuͤthig, weil ſie auf lateiniſch und grie-
chiſch zu ſagen wußten, wer ſie erſchaffen haͤtte.
Dieſe verſicherte ich, daß ich ſie ohne Lachen nicht
anſehen koͤnnte. Keiner aber dankte mir wegen
meiner Freymuͤthigkeit, und alle machte ich mir zu
Feinden. Der Zorn eines meiner Lehrer, von dem
ich das gegruͤndete Urtheil faͤllte, er habe mehr Staͤr-
ke in der Fauſt, als in der Gelehrſamkeit; dieſer
Zorn, ſage ich, war ſo nachdruͤcklich, daß ich alsbald
die Schule raͤumen, und in einer oͤffentlichen Ab-
bitte mich bedanken mußte, daß man mich ohne wei-
tern Schimpf gehen ließ.
Dieſer unvermuthete Streich haͤtte mich bald
zum Mammelucken gemacht. Jm erſten Schrecken
nahm ich mir feſt vor, die Wahrheit nimmermehr
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Zitationshilfe: | [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/198>, abgerufen am 16.02.2025. |