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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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Von der Zuläßigkeit
von eben dem habe ich auch den Beruf, Satyren
zu verfertigen. Daß ich selbst nicht ohne Fehler
bin, solches benimmt dem Werthe der Sache nichts.
Mancher zeigt den Menschen den Weg zum Him-
mel, den er vielleicht selbst nicht geht, und den-
noch bleibt sein Vortrag eine göttliche Wahrheit,
welcher ich zu folgen verbunden bin. Die Er-
bauung muß allezeit die Hauptabsicht einer Sa-
tyre seyn. Daß ich aber über die Fehler lache; daß
ich sie andern lächerlich mache; dieses ist ein un-
schuldiges Vergnügen, welches man mir wohl gön-
nen kann.

Auf solche Art würde ich die Einwürfe beant-
worten: wir wollen aber doch auch denjenigen ken-
nen lernen, welcher sie gemacht hat. Es ist nie-
mand anders, als der, welcher sich getroffen merkt.
Prüfen Sie diese Grundregel, Sie werden sie allemal
wahr befinden. Jch will bey meinem obigen Exempel
bleiben. Wer wird über die Fabel vom Hunde
schreyen? Gewiß nicht der junge Herr. Dieser
wollüstige Verschwender hält einen Geizigen für
seinen Todfeind. Er würde darüber gelacht ha-
ben, wenn er auch seinen eignen Vater darinnen
abgeschildert gefunden hätte. Harpax sieht sein
Bildniß; er erblickt sich in seiner natürlichen Ge-
stalt; diese kömmt ihm abscheulich vor. Er schmäht
auf den Spiegel; er flucht demjenigen, der ihm sol-
chen vorhält. Harpax ist der einzige, welcher Jhren
Beruf hierzu wissen will, welcher Jhnen Jhre eig-
nen Unvollkommenheiten vorwirft, welcher Jhre
Absichten tadelhaft macht.

Allein,

Von der Zulaͤßigkeit
von eben dem habe ich auch den Beruf, Satyren
zu verfertigen. Daß ich ſelbſt nicht ohne Fehler
bin, ſolches benimmt dem Werthe der Sache nichts.
Mancher zeigt den Menſchen den Weg zum Him-
mel, den er vielleicht ſelbſt nicht geht, und den-
noch bleibt ſein Vortrag eine goͤttliche Wahrheit,
welcher ich zu folgen verbunden bin. Die Er-
bauung muß allezeit die Hauptabſicht einer Sa-
tyre ſeyn. Daß ich aber uͤber die Fehler lache; daß
ich ſie andern laͤcherlich mache; dieſes iſt ein un-
ſchuldiges Vergnuͤgen, welches man mir wohl goͤn-
nen kann.

Auf ſolche Art wuͤrde ich die Einwuͤrfe beant-
worten: wir wollen aber doch auch denjenigen ken-
nen lernen, welcher ſie gemacht hat. Es iſt nie-
mand anders, als der, welcher ſich getroffen merkt.
Pruͤfen Sie dieſe Grundregel, Sie werden ſie allemal
wahr befinden. Jch will bey meinem obigen Exempel
bleiben. Wer wird uͤber die Fabel vom Hunde
ſchreyen? Gewiß nicht der junge Herr. Dieſer
wolluͤſtige Verſchwender haͤlt einen Geizigen fuͤr
ſeinen Todfeind. Er wuͤrde daruͤber gelacht ha-
ben, wenn er auch ſeinen eignen Vater darinnen
abgeſchildert gefunden haͤtte. Harpax ſieht ſein
Bildniß; er erblickt ſich in ſeiner natuͤrlichen Ge-
ſtalt; dieſe koͤmmt ihm abſcheulich vor. Er ſchmaͤht
auf den Spiegel; er flucht demjenigen, der ihm ſol-
chen vorhaͤlt. Harpax iſt der einzige, welcher Jhren
Beruf hierzu wiſſen will, welcher Jhnen Jhre eig-
nen Unvollkommenheiten vorwirft, welcher Jhre
Abſichten tadelhaft macht.

Allein,
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[138/0212] Von der Zulaͤßigkeit von eben dem habe ich auch den Beruf, Satyren zu verfertigen. Daß ich ſelbſt nicht ohne Fehler bin, ſolches benimmt dem Werthe der Sache nichts. Mancher zeigt den Menſchen den Weg zum Him- mel, den er vielleicht ſelbſt nicht geht, und den- noch bleibt ſein Vortrag eine goͤttliche Wahrheit, welcher ich zu folgen verbunden bin. Die Er- bauung muß allezeit die Hauptabſicht einer Sa- tyre ſeyn. Daß ich aber uͤber die Fehler lache; daß ich ſie andern laͤcherlich mache; dieſes iſt ein un- ſchuldiges Vergnuͤgen, welches man mir wohl goͤn- nen kann. Auf ſolche Art wuͤrde ich die Einwuͤrfe beant- worten: wir wollen aber doch auch denjenigen ken- nen lernen, welcher ſie gemacht hat. Es iſt nie- mand anders, als der, welcher ſich getroffen merkt. Pruͤfen Sie dieſe Grundregel, Sie werden ſie allemal wahr befinden. Jch will bey meinem obigen Exempel bleiben. Wer wird uͤber die Fabel vom Hunde ſchreyen? Gewiß nicht der junge Herr. Dieſer wolluͤſtige Verſchwender haͤlt einen Geizigen fuͤr ſeinen Todfeind. Er wuͤrde daruͤber gelacht ha- ben, wenn er auch ſeinen eignen Vater darinnen abgeſchildert gefunden haͤtte. Harpax ſieht ſein Bildniß; er erblickt ſich in ſeiner natuͤrlichen Ge- ſtalt; dieſe koͤmmt ihm abſcheulich vor. Er ſchmaͤht auf den Spiegel; er flucht demjenigen, der ihm ſol- chen vorhaͤlt. Harpax iſt der einzige, welcher Jhren Beruf hierzu wiſſen will, welcher Jhnen Jhre eig- nen Unvollkommenheiten vorwirft, welcher Jhre Abſichten tadelhaft macht. Allein,

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/212>, abgerufen am 24.11.2024.