[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.
Eine Todtenliste ein ansehnliches Vermögen. Kaum war er in demBesitze desselben, als er einen innerlichen Beruf empfand, ein großer Mann zu werden. Was er in seinem Kopfe vermißte, das fand er in dem Geldkasten seines Vetters. Der Titel eines Strandraths hatte ihm von Jugend auf gefallen. Er glaubte, wer die Fähigkeiten besitze, jährlich drey tausend Thaler Renten zu heben, und ein sammtnes Kleid zu tragen, der habe Geschicklich- keit genug, ein Strandrath zu werden. Um des- willen fand er kein Bedenken, sich diesen Titel zu kaufen. Die Last, welche nunmehr Jhro Excel- lenz, der Herr Strandrath, auf seinen Schultern fühlte, drückte ihn viel zu sehr, als daß er länger vermögend gewesen wäre, sich auf den Füßen zu erhalten. Er setzte sich also in einen Wagen, und zwey muntre Pferde schienen recht stolz zu seyn, daß ihnen die Ehre gegönnt ward, diesen theuern Mann, diese Zierde des Vaterlandes, durch die Gassen zu schleppen. Er hatte sich eine ernsthafte und tiefsinnige Gesichtsbildung zugelegt; in seinem Umgange that er sehr geschäfftig; er hatte aber in der That itzt viel weniger zu thun, als ehedem in seines Vaters Hause, weil er damals eine ganze Heerde Hühner füttern, nunmehr aber seinen Mops abrichten mußte, an dem er einen guten natürlichen Verstand zu verspüren glaubte, welchen er niemals, ohne eine kleine Eifersucht zu empfinden, bewun- derte. Die Gelehrten nannte er nur Grillenfän- ger und Pedanten. Er versicherte, daß er niemals an den Wissenschaften einen Geschmack gefunden, und
Eine Todtenliſte ein anſehnliches Vermoͤgen. Kaum war er in demBeſitze deſſelben, als er einen innerlichen Beruf empfand, ein großer Mann zu werden. Was er in ſeinem Kopfe vermißte, das fand er in dem Geldkaſten ſeines Vetters. Der Titel eines Strandraths hatte ihm von Jugend auf gefallen. Er glaubte, wer die Faͤhigkeiten beſitze, jaͤhrlich drey tauſend Thaler Renten zu heben, und ein ſammtnes Kleid zu tragen, der habe Geſchicklich- keit genug, ein Strandrath zu werden. Um des- willen fand er kein Bedenken, ſich dieſen Titel zu kaufen. Die Laſt, welche nunmehr Jhro Excel- lenz, der Herr Strandrath, auf ſeinen Schultern fuͤhlte, druͤckte ihn viel zu ſehr, als daß er laͤnger vermoͤgend geweſen waͤre, ſich auf den Fuͤßen zu erhalten. Er ſetzte ſich alſo in einen Wagen, und zwey muntre Pferde ſchienen recht ſtolz zu ſeyn, daß ihnen die Ehre gegoͤnnt ward, dieſen theuern Mann, dieſe Zierde des Vaterlandes, durch die Gaſſen zu ſchleppen. Er hatte ſich eine ernſthafte und tiefſinnige Geſichtsbildung zugelegt; in ſeinem Umgange that er ſehr geſchaͤfftig; er hatte aber in der That itzt viel weniger zu thun, als ehedem in ſeines Vaters Hauſe, weil er damals eine ganze Heerde Huͤhner fuͤttern, nunmehr aber ſeinen Mops abrichten mußte, an dem er einen guten natuͤrlichen Verſtand zu verſpuͤren glaubte, welchen er niemals, ohne eine kleine Eiferſucht zu empfinden, bewun- derte. Die Gelehrten nannte er nur Grillenfaͤn- ger und Pedanten. Er verſicherte, daß er niemals an den Wiſſenſchaften einen Geſchmack gefunden, und
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div> <p><pb facs="#f0258" n="184"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Eine Todtenliſte</hi></fw><lb/> ein anſehnliches Vermoͤgen. Kaum war er in dem<lb/> Beſitze deſſelben, als er einen innerlichen Beruf<lb/> empfand, ein großer Mann zu werden. Was er<lb/> in ſeinem Kopfe vermißte, das fand er in dem<lb/> Geldkaſten ſeines Vetters. Der Titel eines<lb/> Strandraths hatte ihm von Jugend auf gefallen.<lb/> Er glaubte, wer die Faͤhigkeiten beſitze, jaͤhrlich<lb/> drey tauſend Thaler Renten zu heben, und ein<lb/> ſammtnes Kleid zu tragen, der habe Geſchicklich-<lb/> keit genug, ein Strandrath zu werden. Um des-<lb/> willen fand er kein Bedenken, ſich dieſen Titel zu<lb/> kaufen. Die Laſt, welche nunmehr Jhro Excel-<lb/> lenz, der Herr Strandrath, auf ſeinen Schultern<lb/> fuͤhlte, druͤckte ihn viel zu ſehr, als daß er laͤnger<lb/> vermoͤgend geweſen waͤre, ſich auf den Fuͤßen zu<lb/> erhalten. Er ſetzte ſich alſo in einen Wagen, und<lb/> zwey muntre Pferde ſchienen recht ſtolz zu ſeyn,<lb/> daß ihnen die Ehre gegoͤnnt ward, dieſen theuern<lb/> Mann, dieſe Zierde des Vaterlandes, durch die<lb/> Gaſſen zu ſchleppen. Er hatte ſich eine ernſthafte<lb/> und tiefſinnige Geſichtsbildung zugelegt; in ſeinem<lb/> Umgange that er ſehr geſchaͤfftig; er hatte aber in<lb/> der That itzt viel weniger zu thun, als ehedem in<lb/> ſeines Vaters Hauſe, weil er damals eine ganze<lb/> Heerde Huͤhner fuͤttern, nunmehr aber ſeinen Mops<lb/> abrichten mußte, an dem er einen guten natuͤrlichen<lb/> Verſtand zu verſpuͤren glaubte, welchen er niemals,<lb/> ohne eine kleine Eiferſucht zu empfinden, bewun-<lb/> derte. Die Gelehrten nannte er nur Grillenfaͤn-<lb/> ger und Pedanten. Er verſicherte, daß er niemals<lb/> an den Wiſſenſchaften einen Geſchmack gefunden,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [184/0258]
Eine Todtenliſte
ein anſehnliches Vermoͤgen. Kaum war er in dem
Beſitze deſſelben, als er einen innerlichen Beruf
empfand, ein großer Mann zu werden. Was er
in ſeinem Kopfe vermißte, das fand er in dem
Geldkaſten ſeines Vetters. Der Titel eines
Strandraths hatte ihm von Jugend auf gefallen.
Er glaubte, wer die Faͤhigkeiten beſitze, jaͤhrlich
drey tauſend Thaler Renten zu heben, und ein
ſammtnes Kleid zu tragen, der habe Geſchicklich-
keit genug, ein Strandrath zu werden. Um des-
willen fand er kein Bedenken, ſich dieſen Titel zu
kaufen. Die Laſt, welche nunmehr Jhro Excel-
lenz, der Herr Strandrath, auf ſeinen Schultern
fuͤhlte, druͤckte ihn viel zu ſehr, als daß er laͤnger
vermoͤgend geweſen waͤre, ſich auf den Fuͤßen zu
erhalten. Er ſetzte ſich alſo in einen Wagen, und
zwey muntre Pferde ſchienen recht ſtolz zu ſeyn,
daß ihnen die Ehre gegoͤnnt ward, dieſen theuern
Mann, dieſe Zierde des Vaterlandes, durch die
Gaſſen zu ſchleppen. Er hatte ſich eine ernſthafte
und tiefſinnige Geſichtsbildung zugelegt; in ſeinem
Umgange that er ſehr geſchaͤfftig; er hatte aber in
der That itzt viel weniger zu thun, als ehedem in
ſeines Vaters Hauſe, weil er damals eine ganze
Heerde Huͤhner fuͤttern, nunmehr aber ſeinen Mops
abrichten mußte, an dem er einen guten natuͤrlichen
Verſtand zu verſpuͤren glaubte, welchen er niemals,
ohne eine kleine Eiferſucht zu empfinden, bewun-
derte. Die Gelehrten nannte er nur Grillenfaͤn-
ger und Pedanten. Er verſicherte, daß er niemals
an den Wiſſenſchaften einen Geſchmack gefunden,
und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/258 |
| Zitationshilfe: | [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/258>, abgerufen am 24.11.2024. |
