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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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Eine Todtenliste
beständig über die nahrlosen Zeiten und die erhöhten
Abgaben, welche ihm noch zum Bettler machen
würden. Mit seinem Schöpfer war er gar nicht
zufrieden, daß er ihm einen Magen gegeben hatte;
denn er glaubte, der Mensch würde viel ersparen
können, wenn ihn nicht hungerte. Er konnte sich
gewaltig ereifern, wenn er auf die Kleiderpracht
zu reden kam, und eine gestickte Weste hielt er für
eine Todsünde. Seiner Meynung nach waren
die Kleider zu nichts nütze, als daß sie uns an den
kläglichen Fall der erstern Aeltern, und an den Ver-
lust derjenigen Glückseligkeit erinnern sollten, da
wir keine Kleider würden nöthig gehabt haben.
Um deswillen flickte er sich weder Strümpfe noch
Hosen; und je mehr diese zerlöchert waren, desto
näher glaubte er dem Stande der Unschuld zu kom-
men. Alle seine Ausgaben rechnere er nach Pro-
centen, und betete nicht einmal ein Vater Unser
umsonst; denn die Gottseligkeit, sagte er, sey zu
allen Dingen nütze. Ward er ja einmal aufs äu-
serste gebracht, und genöthigt, Ehrenhalber einen
Thaler Geld zu verthun, so brach er es gewiß ent-
weder dem Pfarrer, oder seinem Gesinde am Lohne
wieder ab. Die Haut schauerte ihm, wenn ihn ein
ein Dürftiger um einen Bissen Brod ansprach.
Nichts war ihm unbegreiflicher, als die Langmuth
des Himmels, welche diese nichtswürdigen Müßig-
gänger auf dem Erdboden duldete. So oft ihm
seine Frau ein Kind zur Welt brachte, so oft klagte
er, daß er in seiner Nahrung einen empfindlichen
Stoß erlitte; denn Kinder wären fressende Capi-

talien.

Eine Todtenliſte
beſtaͤndig uͤber die nahrloſen Zeiten und die erhoͤhten
Abgaben, welche ihm noch zum Bettler machen
wuͤrden. Mit ſeinem Schoͤpfer war er gar nicht
zufrieden, daß er ihm einen Magen gegeben hatte;
denn er glaubte, der Menſch wuͤrde viel erſparen
koͤnnen, wenn ihn nicht hungerte. Er konnte ſich
gewaltig ereifern, wenn er auf die Kleiderpracht
zu reden kam, und eine geſtickte Weſte hielt er fuͤr
eine Todſuͤnde. Seiner Meynung nach waren
die Kleider zu nichts nuͤtze, als daß ſie uns an den
klaͤglichen Fall der erſtern Aeltern, und an den Ver-
luſt derjenigen Gluͤckſeligkeit erinnern ſollten, da
wir keine Kleider wuͤrden noͤthig gehabt haben.
Um deswillen flickte er ſich weder Struͤmpfe noch
Hoſen; und je mehr dieſe zerloͤchert waren, deſto
naͤher glaubte er dem Stande der Unſchuld zu kom-
men. Alle ſeine Ausgaben rechnere er nach Pro-
centen, und betete nicht einmal ein Vater Unſer
umſonſt; denn die Gottſeligkeit, ſagte er, ſey zu
allen Dingen nuͤtze. Ward er ja einmal aufs aͤu-
ſerſte gebracht, und genoͤthigt, Ehrenhalber einen
Thaler Geld zu verthun, ſo brach er es gewiß ent-
weder dem Pfarrer, oder ſeinem Geſinde am Lohne
wieder ab. Die Haut ſchauerte ihm, wenn ihn ein
ein Duͤrftiger um einen Biſſen Brod anſprach.
Nichts war ihm unbegreiflicher, als die Langmuth
des Himmels, welche dieſe nichtswuͤrdigen Muͤßig-
gaͤnger auf dem Erdboden duldete. So oft ihm
ſeine Frau ein Kind zur Welt brachte, ſo oft klagte
er, daß er in ſeiner Nahrung einen empfindlichen
Stoß erlitte; denn Kinder waͤren freſſende Capi-

talien.
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[186/0260] Eine Todtenliſte beſtaͤndig uͤber die nahrloſen Zeiten und die erhoͤhten Abgaben, welche ihm noch zum Bettler machen wuͤrden. Mit ſeinem Schoͤpfer war er gar nicht zufrieden, daß er ihm einen Magen gegeben hatte; denn er glaubte, der Menſch wuͤrde viel erſparen koͤnnen, wenn ihn nicht hungerte. Er konnte ſich gewaltig ereifern, wenn er auf die Kleiderpracht zu reden kam, und eine geſtickte Weſte hielt er fuͤr eine Todſuͤnde. Seiner Meynung nach waren die Kleider zu nichts nuͤtze, als daß ſie uns an den klaͤglichen Fall der erſtern Aeltern, und an den Ver- luſt derjenigen Gluͤckſeligkeit erinnern ſollten, da wir keine Kleider wuͤrden noͤthig gehabt haben. Um deswillen flickte er ſich weder Struͤmpfe noch Hoſen; und je mehr dieſe zerloͤchert waren, deſto naͤher glaubte er dem Stande der Unſchuld zu kom- men. Alle ſeine Ausgaben rechnere er nach Pro- centen, und betete nicht einmal ein Vater Unſer umſonſt; denn die Gottſeligkeit, ſagte er, ſey zu allen Dingen nuͤtze. Ward er ja einmal aufs aͤu- ſerſte gebracht, und genoͤthigt, Ehrenhalber einen Thaler Geld zu verthun, ſo brach er es gewiß ent- weder dem Pfarrer, oder ſeinem Geſinde am Lohne wieder ab. Die Haut ſchauerte ihm, wenn ihn ein ein Duͤrftiger um einen Biſſen Brod anſprach. Nichts war ihm unbegreiflicher, als die Langmuth des Himmels, welche dieſe nichtswuͤrdigen Muͤßig- gaͤnger auf dem Erdboden duldete. So oft ihm ſeine Frau ein Kind zur Welt brachte, ſo oft klagte er, daß er in ſeiner Nahrung einen empfindlichen Stoß erlitte; denn Kinder waͤren freſſende Capi- talien.

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/260>, abgerufen am 24.11.2024.