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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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Die Unentbehrlichkeit der Reime
Vor diesem, wenn Lucil von Versen übel sprach,
So schlich ihm unvermerkt mein junger Satyr nach,
Und riß, durch Zorn beherzt, dem Spötter der Gedichte,
Mit ungestrafter Hand die Larve vom Gesichte.
Das aber wagt ich nur, als ich ein Jüngling war;
Mein reifender Verstand bemerkte die Gefahr.
Mein scheuer Satyr sah das klägliche Geschicke,
Das Vers und Wahrheit traf; bestürzt wich er zurücke,
Warf seine Geißel hin, und fluchte seiner Kunst.
Die Muse winkte mir, und hielt mir ihre Gunst,
Und mein Versprechen vor; sie drohte, mich zu hassen,
Verhieß, und bat. Umsonst! Jch schwur, sie zu verlassen;
Jch schwur, und hielt es auch. Doch endlich siegt die Pflicht;
Jch breche meinen Schwur, und schweige länger nicht.
Die größten Flecken sucht, durch freches Splitterrichten,
Der schönsten Poesie der Tadler anzudichten.
Will ein erhabner Geist, ein zweyter Lohenstein,
Des Phöbus Hofpoet, und erster Günstling seyn,
Und der geneunten Zahl, mit reingewaschner Lippe,
Jm gläserhellen Qvell des Pferdebrunns Enippe,
Der Andacht Weihrauch streun; bricht sein erhitzter Muth,
Beschwängert von der Kunst, durch Flammen, Blitz und Glut;
Ruft er der Schwefelbrunst der donnerharten Flammen,
Und ruft Megärens Zunft, und ruft den Styr zusammen;
Tanzt er auf Stelzen her, wenn er Gewitter wälzt,
Und eine Feuersbrunst des Herzens Marmor schmelzt;
Läßt er rund um sich her des Unglücks Nordlicht glänzen;
Lacht er in Gleichnissen, seufzt Chrien, weint Sentenzen:
So kömmt ein Zoilus, und ruft: Der Dichter schwillt?
Sein ganzer Vers ist Rauch, sein Kopf mit Dunst erfüllt.
Seht, wie er die Vernunft in Demantketten führet,
Jm Paroxysmus singt, und Oden phantasieret.
Wenn
Die Unentbehrlichkeit der Reime
Vor dieſem, wenn Lucil von Verſen uͤbel ſprach,
So ſchlich ihm unvermerkt mein junger Satyr nach,
Und riß, durch Zorn beherzt, dem Spoͤtter der Gedichte,
Mit ungeſtrafter Hand die Larve vom Geſichte.
Das aber wagt ich nur, als ich ein Juͤngling war;
Mein reifender Verſtand bemerkte die Gefahr.
Mein ſcheuer Satyr ſah das klaͤgliche Geſchicke,
Das Vers und Wahrheit traf; beſtuͤrzt wich er zuruͤcke,
Warf ſeine Geißel hin, und fluchte ſeiner Kunſt.
Die Muſe winkte mir, und hielt mir ihre Gunſt,
Und mein Verſprechen vor; ſie drohte, mich zu haſſen,
Verhieß, und bat. Umſonſt! Jch ſchwur, ſie zu verlaſſen;
Jch ſchwur, und hielt es auch. Doch endlich ſiegt die Pflicht;
Jch breche meinen Schwur, und ſchweige laͤnger nicht.
Die groͤßten Flecken ſucht, durch freches Splitterrichten,
Der ſchoͤnſten Poeſie der Tadler anzudichten.
Will ein erhabner Geiſt, ein zweyter Lohenſtein,
Des Phoͤbus Hofpoet, und erſter Guͤnſtling ſeyn,
Und der geneunten Zahl, mit reingewaſchner Lippe,
Jm glaͤſerhellen Qvell des Pferdebrunns Enippe,
Der Andacht Weihrauch ſtreun; bricht ſein erhitzter Muth,
Beſchwaͤngert von der Kunſt, durch Flammen, Blitz und Glut;
Ruft er der Schwefelbrunſt der donnerharten Flammen,
Und ruft Megaͤrens Zunft, und ruft den Styr zuſammen;
Tanzt er auf Stelzen her, wenn er Gewitter waͤlzt,
Und eine Feuersbrunſt des Herzens Marmor ſchmelzt;
Laͤßt er rund um ſich her des Ungluͤcks Nordlicht glaͤnzen;
Lacht er in Gleichniſſen, ſeufzt Chrien, weint Sentenzen:
So koͤmmt ein Zoilus, und ruft: Der Dichter ſchwillt?
Sein ganzer Vers iſt Rauch, ſein Kopf mit Dunſt erfuͤllt.
Seht, wie er die Vernunft in Demantketten fuͤhret,
Jm Paroxysmus ſingt, und Oden phantaſieret.
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[4/0004] Die Unentbehrlichkeit der Reime Vor dieſem, wenn Lucil von Verſen uͤbel ſprach, So ſchlich ihm unvermerkt mein junger Satyr nach, Und riß, durch Zorn beherzt, dem Spoͤtter der Gedichte, Mit ungeſtrafter Hand die Larve vom Geſichte. Das aber wagt ich nur, als ich ein Juͤngling war; Mein reifender Verſtand bemerkte die Gefahr. Mein ſcheuer Satyr ſah das klaͤgliche Geſchicke, Das Vers und Wahrheit traf; beſtuͤrzt wich er zuruͤcke, Warf ſeine Geißel hin, und fluchte ſeiner Kunſt. Die Muſe winkte mir, und hielt mir ihre Gunſt, Und mein Verſprechen vor; ſie drohte, mich zu haſſen, Verhieß, und bat. Umſonſt! Jch ſchwur, ſie zu verlaſſen; Jch ſchwur, und hielt es auch. Doch endlich ſiegt die Pflicht; Jch breche meinen Schwur, und ſchweige laͤnger nicht. Die groͤßten Flecken ſucht, durch freches Splitterrichten, Der ſchoͤnſten Poeſie der Tadler anzudichten. Will ein erhabner Geiſt, ein zweyter Lohenſtein, Des Phoͤbus Hofpoet, und erſter Guͤnſtling ſeyn, Und der geneunten Zahl, mit reingewaſchner Lippe, Jm glaͤſerhellen Qvell des Pferdebrunns Enippe, Der Andacht Weihrauch ſtreun; bricht ſein erhitzter Muth, Beſchwaͤngert von der Kunſt, durch Flammen, Blitz und Glut; Ruft er der Schwefelbrunſt der donnerharten Flammen, Und ruft Megaͤrens Zunft, und ruft den Styr zuſammen; Tanzt er auf Stelzen her, wenn er Gewitter waͤlzt, Und eine Feuersbrunſt des Herzens Marmor ſchmelzt; Laͤßt er rund um ſich her des Ungluͤcks Nordlicht glaͤnzen; Lacht er in Gleichniſſen, ſeufzt Chrien, weint Sentenzen: So koͤmmt ein Zoilus, und ruft: Der Dichter ſchwillt? Sein ganzer Vers iſt Rauch, ſein Kopf mit Dunſt erfuͤllt. Seht, wie er die Vernunft in Demantketten fuͤhret, Jm Paroxysmus ſingt, und Oden phantaſieret. Wenn

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/4>, abgerufen am 29.04.2024.